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Die Greifer: Straßenwärter kämpfen in Pirna gegen die Müllflut

Was die Männer der Straßenmeisterei Dohma am Fahrbahnrand finden, ist ärgerlich bis eklig. Und das Schlimmste: Es nimmt kein Ende.

Von Jörg Stock
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"Es muss eben gemacht werden." Die Straßenwärter Holger Winkler (r.) und Norbert Ernst (l.) mit gut gefüllten Unratsäcken. Reporter Jörg Stock putzt mit.
"Es muss eben gemacht werden." Die Straßenwärter Holger Winkler (r.) und Norbert Ernst (l.) mit gut gefüllten Unratsäcken. Reporter Jörg Stock putzt mit. © Daniel Schäfer

Der Straßenmeister hat noch ein paar ernste Worte für mich, denn er will, dass ich gesund zurückkomme. Vor allem soll ich keine unbekannten Sachen anfassen. Erst die Kollegen fragen, die kennen sich aus. "Und Vorsicht vor den berühmten Truckertoiletten." Kollege Norbert nickt ernst. Gestern hat er wieder drei solche Flaschen gefunden. Kollege Holger feixt vielsagend. "Bitte nicht austrinken!"

Norbert Ernst und Holger Winkler sind Männer der Straßenmeisterei Dohma. Ihr Betrieb an den südlichen Ausläufern Pirnas kümmert sich um 333 Straßenkilometer, vorrangig linkselbisch, zwischen Sächsischer Schweiz, Müglitztal und der tschechischen Grenze. Heute ist für die beiden Müll sammeln angesagt. Und ich bin ihr dritter Mann.

Sicherheit zuerst: Bevor die Müllsammelei beginnt, bringt Straßenwärter Norbert Ernst Warnschild und Kegel in Stellung.
Sicherheit zuerst: Bevor die Müllsammelei beginnt, bringt Straßenwärter Norbert Ernst Warnschild und Kegel in Stellung. © SZ/Jörg Stock

Der Zeitpunkt ist günstig. Der Winter ist weg, der Frühling noch nicht da. Wuchert erst das Gras, wäre der Unrat nicht mehr zu fassen. Das Mähgerät würde ihn in Schnipsel schlagen oder sich darin verheddern. Deshalb schickt Steffen Estel, der Straßenmeister, seine Jungs in die Spur. "Wir versuchen, noch vor der Mähsaison so viel wie möglich abzuräumen."

Steffen Estel ist 38 Jahre bei der Straße, davon 31 als Meister. Geändert hat sich so einiges, aber eins nicht: der Müll. Die Straßenränder werden als Kippe missbraucht, heute vielleicht noch mehr als früher, findet er. Unten im Hof steht ein fünf Kubikmeter großer Container, in den man die Funde entsorgt. Zweimal wurde er dieses Jahr schon abgeholt.

Die Entsorgungskosten summieren sich in Estels Betrieb auf anderthalb-, zweitausend Euro jährlich, zuzüglich Arbeitszeit. Betrachtet man die vier Meistereien des Landkreises insgesamt, so liegt der jährliche Müllbeseitigungsaufwand zwischen 8.000 und 20.000 Euro. Bis zu dreihundert Kubikmeter Müll werden pro Jahr aus der Landschaft geborgen.

Auf Müllpirsch an der S 177 in Pirna-Copitz. Geleerte Kaffeebecher sind ein Massenphänomen am Straßenrand.
Auf Müllpirsch an der S 177 in Pirna-Copitz. Geleerte Kaffeebecher sind ein Massenphänomen am Straßenrand. © Daniel Schäfer

Wenn Steffen Estel daran denkt, kann er bloß den Kopf schütteln. "Das ärgert uns maßlos." Gefunden wird bei Weitem nicht nur Kleinkram, wozu auch die "Truckertoiletten" zählen, leere Getränkeflaschen, in die eilige Fahrer ihren Urin ablassen. Mit dem Saisonwechsel werden wieder alte Reifen auftauchen. Gern liegt auch mal ein Kühlschrank an offener Strecke.

Unrat in die Landschaft schmeißen ist verboten und kann Strafe kosten. Ob die Betreffenden das wissen und was ihnen überhaupt durch den Kopf geht, davon hat der Straßenmeister keine Vorstellung. Er würde gern mal einen fragen. Aber er hat noch keinen erwischt. Wahrscheinlich ist reden sowieso zwecklos, vielleicht sogar riskant. "Die Aggressivität der Leute ist heutzutage sehr hoch."

Lieber wegschmeißen als Pfand kassieren? Die acht Cent für diese Pulle waren dem Trinker offenbar schnuppe.
Lieber wegschmeißen als Pfand kassieren? Die acht Cent für diese Pulle waren dem Trinker offenbar schnuppe. © Daniel Schäfer

Holger und Norbert besteigen ihr oranges Dienstfahrzeug, an Bord reichlich Müllsäcke, Kehrgerätschaften und Greifzangen sowie Händewaschwasser in Kanistern, für den Notfall. Die Frage, ob man sich auf einen Job wie diesen freut, beantwortet Holger ironisch. "Es gibt nichts Besseres!" Die Wahrheit ist simpel. "Es muss haltgemacht werden, da spielt es keine Rolle, ob es Spaß macht oder nicht."

Statt Schätze: Portmonees ohne Geld

Die Fahrt geht nach Pirna, über die Elbe weg, zur Staatsstraße 177. Die Piste, die einmal Teil von Dresdens Südumfahrung sein soll, ist ein Hotspot der Vermüllung, insbesondere die Anschlussstellen der Schnellstraße, wo das Tempo der Autos noch nicht so hoch ist oder wieder runtergeht. Anderthalb Säcke können an einer einzigen Auf- und Abfahrt schon zusammenkommen, sagt Norbert.

Diese Zierradblende könnte ausnahmsweise ohne Absicht in der Botanik gelandet sein.
Diese Zierradblende könnte ausnahmsweise ohne Absicht in der Botanik gelandet sein. © Daniel Schäfer

Der 47-Jährige ist 25 Jahre Straßenwärter. Sein Kollege Holger hat zuvor bei der Dresdner Stadtreinigung gearbeitet. Beide haben schon Weggeschmissenes aller Art gesehen. War auch mal was Wertvolles dabei? Holger feixt. Nein, Goldklumpen schmeißen die Leute komischerweise nicht aus dem Fenster. Norbert hat mehrmals Geldbörsen gefunden. Mit Papieren, aber ohne Geld. Vermutlich geklaut. Die Polizei hat sich darum gekümmert.

Ankunft am Arbeitsplatz Anschlussstelle Copitz. Nachdem Baumännelschild und Blitzerkegel in Position gebracht sind, für die Sicherheit, geht es ran an die Greifzangen. Die zweifingrige Kralle schont den Rücken und verhindert den direkten Kontakt mit Unrat. Sie fasst akkurat zu, kann selbst Kippenstummel packen. Aber dafür reicht die Zeit nicht, sagt Norbert. "Das wäre eine Sisyphusarbeit."

Rausgewachsen? Hier hatte jemand seine Hose satt.
Rausgewachsen? Hier hatte jemand seine Hose satt. © Daniel Schäfer

Größere Stücke muss man nicht lange suchen. Kaffeebecher aus Pappe samt Plastedeckel liegen um uns her. Und Flaschen. Mit Radeberger, Feldi und einer Goldkrone habe ich nach fünf Minuten schon einen guten Querschnitt sächsischer Alkoholika im Sack. Holger pickt ein Exemplar Red Bull auf.

Vorsicht vor dem Brummi-Sog

Bald dürfte in unseren Tüten umgerechnet ein ganzer Euro liegen. Er wird im Container verschwinden. Eigentlich schade drum, sagen die Straßenwärter. Doch den Müll zu sortieren, schaffen sie nicht. Das Pfandgeld müsste steigen, findet Holger, wobei er nicht sicher ist, ob das wirkt. "Die würden auch einen Euro noch wegschmeißen."

Nichts für nervöse Mägen: Auch diesen Fuchs haben die Straßenwärter bei ihrer Sammeltour eingepackt.
Nichts für nervöse Mägen: Auch diesen Fuchs haben die Straßenwärter bei ihrer Sammeltour eingepackt. © SZ/Jörg Stock

Weiter geht's, immer den Grünstreifen entlang, immer der Spur nach, die Schnapspullis, Zigarettenschachteln, Kaugummidosen und Foliefetzen durchs Gelände ziehen. Hose und Pullover sacken wir ein und eine recht schicke Radkappe. Holger hat einen Streifen Tabletten entdeckt. Wer schmeißt hier seine Medizin weg? "Die Geschichten dahinter würde man manchmal gern wissen."

Während wir arbeiten, brausen die Autos ungerührt vorbei. Die Mission ist nicht ungefährlich. Laster schneiden gern mal die Kurve. Auch vor dem Sog der Dicken muss man sich hüten. Ob die Fahrer gut finden, was wir machen, bleibt offen. Kein Daumen hoch, kein Lächeln. Norbert erwartet nichts anderes. "Es ist ganz, ganz, ganz selten, dass mal eine Anerkennung kommt."

Weg mit dem Dreck: Holger Winkler befördert die Müllausbeute des Tages in den Sammelcontainer der Straßenmeisterei.
Weg mit dem Dreck: Holger Winkler befördert die Müllausbeute des Tages in den Sammelcontainer der Straßenmeisterei. © SZ/Jörg Stock

Eine halbe Stunde ist rum, die Anschlussstelle ist gereinigt. "Sieht doch wieder viel freundlicher aus", findet Holger. Tatsächlich haben wir die geschätzten anderthalb Säcke Unrat zusammengekriegt. Bis zum Mittag werden es dreieinhalb Säcke sein, und ein toter Fuchs.

Sauber machen fühlt sich gut an. Stimmt, sagt Holger. Es ist ein Erfolgserlebnis. Aber eins mit kurzer Haltbarkeit. "Es ist eine Momentaufnahme." In drei, vier Wochen, da ist er sicher, wird es hier aussehen, als wären wir gar nicht da gewesen.