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Arktis erwärmt sich rasant und verändert unser Wetter

Ein Jahr war der Eisbrecher "Polarstern" in der Arktis unterwegs. An Bord waren auch Forscher aus Sachsen. Jetzt hat die Expedition überraschende Daten veröffentlicht.

Von Stephan Schön
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Eingefroren im Eis der Arktis. Forscher aus aller Welt haben dabei einmalige Daten sammeln können.
Eingefroren im Eis der Arktis. Forscher aus aller Welt haben dabei einmalige Daten sammeln können. © Ester Horvath

Es war die aufwendigste Reise der Menschheit ins Nordpolargebiet. Mosaic war eine Expedition der Superlative, die größte Polarexpedition in die Arktis, die es je gegeben hat. Von September 2019 bis Oktober 2020 ließ sich der deutsche Eisbrecher Polarstern einfrieren und mit dem Eis treiben. Und mit ihm unterwegs die Polarflugzeuge, Drohnen, Ballons und Satelliten weit darüber.

Ein internationales 150 Millionen-Euro-Projekt. Deutschland hatte alles organisiert, USA, Russland, China waren dabei. Selbst in einer neuen politischen Eiszeit gelang dies über alle politischen Grenzen hinweg: 20 Länder, 80 Institute.

So viele Messwerte wie nie

Hunderte Forscher haben monatelang ihre Daten seitdem analysiert. Diesen Montag nun gab es den ersten gemeinsamen Blick aufs Resultat. Zusammen haben sie drei wissenschaftliche Übersichtsarbeiten in der Fachzeitschrift Elementa veröffentlicht. Es ist die erste große Zusammenfassung der drei Bereiche Atmosphäre, Eis und Ozean. Bei den ersten beiden waren sächsische Wissenschaftler maßgeblich mit dabei.

Es taut. Schneller als erwartet war das Packeis um das Schiff verschwunden. Aus Schmelztümpeln wurden offene Wasserflächen.
Es taut. Schneller als erwartet war das Packeis um das Schiff verschwunden. Aus Schmelztümpeln wurden offene Wasserflächen. © Alfred-Wegener-Institut

Es sind die Daten einer bislang so nicht gekannten internationalen Zusammenarbeit. Es gibt nun erstmals ein vollständiges Bild der Klimaprozesse in der zentralen Arktis über ein Jahr. Die zentrale Aussage hier in zwei Sätzen zusammengefasst: Die Arktis erwärmt sich doppelt so schnell wie der Rest des Planeten. Diese Veränderungen beeinflussen direkt unser Wetter und Klima, auch hier in Deutschland.

Der Rückgang des Meereises ist das sichtbarste Zeichen für die anhaltende globale Erwärmung: In der Arktis hat sich die Ausdehnung des Meereises im Sommer seit Beginn der Satellitenaufzeichnungen in den 1980er Jahren fast halbiert. Was indes bisher kaum bekannt war, sind die Dicke und andere Eigenschaften des Eises. Auch hier eine Erkenntnis: Dickes, stabiles mehrjähriges Eis hat entscheidend abgenommen. Umso instabiler wird die Eisfläche bei Warmlufteinbrüchen.

Einmal eingefroren an der Scholle lief es dann doch ganz anders als geplant: "Wir fanden dynamischeres und schneller driftendes Packeis vor als erwartet", berichtet Marcel Nicolaus, Meereisphysiker am Alfred-Wegener-Institut, Helmholtz-Zentrum für Polar- und Meeresforschung (AWI). "Das führte vor allem zu veränderten Meereis-Eigenschaften und Meereis-Dickenverteilungen."

Mehr Stürme als erwartet

Einen der Gründe für die schnelle Drift liefert nun die Analyse des Atmosphären-Forschungsteams: "In Oberflächennähe herrschten in den Wintermonaten besonders niedrige Temperaturen und damit verbunden anhaltend starke Winde, die Polarstern schneller als erwartet vorantrieben", erklärt Matthew Shupe, Atmosphärenforscher an der Universität von Colorado. Der Eisbrecher war daher Wochen zeitiger als geplant an der Eiskante angekommen. Die Expedition nahm daher noch einmal Kurs auf den Nordpol.

Letztlich beobachteten die Wissenschaftler die Entstehung eines rekordverdächtigen Ozonlochs in der arktischen Stratosphäre. Eine Erklärung für den massiven Ozonschwund liefern Leipziger Wissenschaftler vom Leibniz-Institut für Troposphärenforschung (Tropos). Sie waren mit mehreren Messgeräten und einem großen Fesselballon mit an Bord. Die entscheidenden Daten zur Ursache des großen Ozonlochs aber gab ein Laserinstrument, das Lidar-System. Es hat mit seinen Radarstrahlen die Atmosphäre bis auf 30 Kilometer Höhe abgetastet – und dort Rauchpartikel entdeckt.

Der, so konnten die Tropos-Forscher nachweisen, stammte von den gigantischen Waldbränden in Sibirien. Wälder Sibiriens in einem nicht gekannten Maße. Die Forscher gehen davon aus, dass diese Partikel ein wesentlicher Grund für das sich in letzter Zeit wieder vergrößernde Ozonloch über der Arktis sind. Die Ozonschicht in 15 bis 30 Kilometern Höhe ist lebenswichtig. Sie schützt alles Leben auf der Erde vor der schädigenden Wirkung der energiereichen UV-Strahlung der Sonne.

Von Spitzbergen hier im Bild bis an den Nordpol reichte das Forschungsgebiet der Mosaic-Expedition
Von Spitzbergen hier im Bild bis an den Nordpol reichte das Forschungsgebiet der Mosaic-Expedition © SZ/Stephan Schön

Das Ozeanografie-Team entdeckte, wie die Veränderungen der Atmosphäre mit dem Meereis, der Wassertemperatur und dem Salzgehalt zusammenhängen. "Wir beobachten eine zunehmende Verbindung zwischen dem oberen Ozean und den tieferen warmen Wasserschichten im zentralen Arktischen Ozean, und zwar das ganze Jahr über", nun Céline Heuzé, Ozeanografin an der Universität Göteborg.

"Während der Expedition konnten wir Ozeanwirbel über einen kompletten Jahreszyklus hinweg vollständig kartieren. Nahezu gleichzeitige Messungen von Polarstern, unserem daneben auf dem Eis errichteten Camp und dem verteilten Netzwerk in bis zu 50 Kilometern Entfernung vom Schiff ermöglichen eine erste Bewertung von kleinräumigen Ereignissen bis hin zur regionalen Skala", fügt Ozeanograf Benjamin Rabe vom AWI hinzu.

Das Wetter wird in der Arktis gemacht

Autonome Sensoren wurden auf, im und unter dem Eis angebracht. Tausende Messungen von Temperatur, Wind und Strömung in der Atmosphäre, im Meereis und bis in mehrere hundert Meter Tiefe im Ozean sind nun vorhanden, erklärt Expeditionsleiter Markus Rex vom AWI. Diese Daten sollen in einem nächsten Schritt nun so aufgearbeitet werden, dass sie unsere Klimamodelle verbessern.

Auch werden dadurch Wettervorhersagen genauer. "Wir haben größere räumliche Schwankungen in der Schneedecke gefunden als erwartet", berichtet Marcel Nicolaus. Diese extreme Variabilität bedeutet, dass wir den Schnee für zukünftige Modellsimulationen und die Interpretation von Satellitenbeobachtungen viel detaillierter betrachten müssen.

Matthew Shupe fügt hinzu: "Während Mosaic haben wir mehr als 20 arktische Zyklone oder Stürme unterschiedlichen Ausmaßes beobachtet, die über unsere Eisscholle hinwegzogen. Wir haben diese Ereignisse in noch nie dagewesener Ausführlichkeit beschrieben.

Zwei Polarflugzeuge, stationiert auf Spitzbergen, haben die Atmosphäre in unterschiedlichen Höhen analysiert.
Zwei Polarflugzeuge, stationiert auf Spitzbergen, haben die Atmosphäre in unterschiedlichen Höhen analysiert. © SZ/Stephan Schön

Wesentlicher Bestandteil der Expedition waren die Polarflugzeuge. Co-Chef der Flugmission war Meteorologie-Professor Manfred Wendisch von der Universität Leipzig. Stationiert waren die Flugzeuge für Mosaic auf Spitzbergen. Mit dem Leipziger Team vom Sonderforschungsbereich AC3 war die Sächsische Zeitung gemeinsam dort unterwegs, exklusiv und offizielles Expeditionsmitglied von Mosaic.

Bakterien und Algen bilden Wolken

Aus all dem, aus Lidar-Messungen, Ballonaufstiegen und Flugrouten durch die Wolken entstand ein neues Bild von der arktischen Atmosphäre. Die Frage, was lässt Wolken in der Arktis entstehen und welchen Einfluss haben sie? Kühlen sie oder heizen sie die Atmosphäre? Letztlich beides, es hängt ganz vom Wasser- und Eisgehalt ab. Der wiederum richtet sich nach Temperatur und Art der Wolkenkeime.

SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön war Mitglied der internationalen Polarexpedition Mosaic und dort bei den Polarfliegern dabei.
SZ-Wissenschaftsredakteur Stephan Schön war Mitglied der internationalen Polarexpedition Mosaic und dort bei den Polarfliegern dabei. © SZ

Bisher gab es kaum Daten, woher diese Aerosole in der zentralen Arktis überhaupt kommen. Mosaic bringt da neue Erkenntnisse. Biogene Partikel, also winzigstes Biomaterial von zerfallenen Algen bis hin zu Bakterien, gelangen aus dem Meer und aus Schmelztümpeln auf dem Eis in die Atmosphäre. Mit Luftbläschen steigen diese Bio-Teilchen im Wasser bis an die Oberfläche. Wind trägt sie dann hunderte Meter hinauf.

"Es ist faszinierend, wie genau wir einzelne Prozesse abbilden und in Beziehung zueinander setzen können", sagt Mosaic-Expeditionsleiter Markus Rex, Professor für Atmosphärenforschung. "Die internationale Zusammenarbeit mit Expeditionsteilnehmern aus so vielen Ländern läuft auch nach mehr als einem Jahr produktiv und gut koordiniert weiter. Auf diese Weise können wir immer mehr wichtige Erkenntnisse über den Klimawandel liefern."