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Wie es den Menschen an Neiße und Oder geht

Der Leipziger Fotograf Bernd Cramer hat die Menschen im Grenzland zu Polen zehn Jahre begleitet. Die Zittauer Museen zeigen jetzt seine Porträts - darunter auch Fotos von Einheimischen.

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Die Porträts von vier Menschen aus dem Raum Zittau/Görlitz gehören zu denen, die das Zittauer Museum seit kurzem in der Sonderschau "Grenzerfahrungen" zeigt.
Die Porträts von vier Menschen aus dem Raum Zittau/Görlitz gehören zu denen, die das Zittauer Museum seit kurzem in der Sonderschau "Grenzerfahrungen" zeigt. © Fotos: Bernd Cramer/Montage: SZ

Die Städtischen Museen Zittau zeigen seit kurzem die Ausstellung "Grenzerfahrungen. Menschen an Oder und Neiße" des Leipziger Fotografen Bernd Cramer. Er hat Menschen zwischen Ostsee und Zittauer Gebirge besucht, fotografiert und lässt sie erzählen. "Diese Ausstellung bietet einen interessanten Blick auf die Menschen im Grenzgebiet in der Umbruchszeit", teilte Peter Knüvener, Direktor der Städtischen Museen, mit. "Hier werden besonders Menschen berücksichtigt und gewürdigt, die eher selten im Fokus stehen. Das ist nicht nur höchst interessant, sondern vielleicht auch ein kleiner Baustein für ein besseres gegenseitiges Verständnis."

Der Fotograf Bernd Cramer hat sich - wie er mitteilt - dafür auf Reisen begeben – auf der Suche nach den Erzählungen, Bildern, Geschichten und Erinnerungen der Menschen, die entlang der beiden Flüsse leben. Er bereiste etwa Zittau, Guben, Frankfurt und Eisenhüttenstadt, oder die alte Tuchhändlerstadt Görlitz, in deren verfallenden Gassen er Schumacher, Korbflechter, Näherinnen und Uhrmacher auftat. "Das Land zu beiden Seiten der Flüsse Oder und Neiße war einst ein prosperierender, blühender Landstrich, geprägt durch Handels- und Industriezentren im Süden und mythisch weite Flusslandschaften im Norden – ein Land der Vielfalt, in dem sich Bräuche und Traditionen mischten, Brückenland zu den entfernten Provinzen im Osten", schreibt der Fotograf. "Das Zwanzigste Jahrhundert hat dieses Land zerteilt, heimgesucht erst in den letzten Monaten des Zweiten Weltkrieges, Städte und Dörfer zerstört und an den Rand gedrängt, zum Grenzland gemacht – eine Region, in der Straßen an Schlagbäumen enden, Ufer bewacht und Sümpfe und Felder abgesperrt werden. Oder und Neiße sind Flüsse geworden, die nicht nur das Land begrenzen, sie trennen auch Erfahrungen und Lebensläufe. An ihren Ufern endet unsere Sprache."

Bernd Cramers Porträts sind Porträts des Unverstellten. Er zeigt Charaktere, die nicht erwartet haben, abgelichtet zu werden und die sich nicht in Pose und Inszenierung flüchten. Es sind Menschen, die sich für die Dauer eines Bildes zu unterbrechen scheinen in ihrem Tun und Handeln, im Gespräch, im Nachdenken, im Alltag. Aus Ihren Gesichtern sprechen Glück, Liebe, Hoffnung und Zufriedenheit ebenso wie Sorgen und Ängste, Müdigkeit und Enttäuschung. Zusammen entsteht so das facettenreiche, vielfarbig einnehmende Bild einer Region, die durch den Wandel geprägt, eine Region der Veränderung, des stetigen Wechsels aus Abschied und Neubeginn ist.

Die Ausstellung vereint fotografische Abbilder mit biografischen Miniaturen. Seit 2010 war Bernd Cramer dafür im Grenzland zu Polen unterwegs. Er hat 120 Bildserien und Interviews geschaffen. Zu der Ausstellung ist auch ein Buch erschienen.

Das sind vier der Fotos und Miniporträts - alle von Menschen aus der Neiße-Region Görlitz/Zittau. Die Altersangaben beziehen sich auf die Zeitpunkte, an denen die Fotos entstanden sind.

Jochen Kaminsky aus Zittau.
Jochen Kaminsky aus Zittau. © Bernd Cramer Museum

Jochen Kaminsky ist dreiundfünfzig Jahre und lebt in Zittau. "In jungen Jahren habe ich Ofenbauer gelernt, aber das habe ich nicht lange gemacht. Ich wollte mehr. Und so bin ich zur "Kultur" gewechselt. Ich habe studiert und dann in Eibau das Kulturhaus geleitet." Heute betreibt Jochen Kaminsky sein eigenes Tourismus-Büro in Zittau. "Ich biete Reiseleitungen an. Auch Führungen, aber da habe ich schnell gemerkt, dass es etwas Besonderes braucht, denn es gibt noch andere, die das machen und denen wollte ich nicht in die Quere kommen. Also habe ich mir thematische Führungen ausgedacht, und der Nachtwächter ist eine tolle Figur, um Geschichten aus der Stadt zu erzählen, die Gäste sonst im Rahmen einer üblichen Stadtführung nicht zu hören bekommen." Doch in den Führungen allein erschöpft sich die Tätigkeit Kaminskys nicht. "Im Winter gibt es ja wenig Gäste. Da braucht es eine andere Idee. Also habe ich ein kleines Theaterstück geschrieben, dass ich mit einer Kollegin zusammen aufführe. Das macht uns großen Spaß, und die Leute mögen es."

Hans-Jürgen Söffel aus Zittau.
Hans-Jürgen Söffel aus Zittau. © Bernd Cramer Museum

Hans-Jürgen Söffel lebt in Zittau. Er wurde 1958 in der Stadt geboren und arbeitet als Verkäufer. "Mit sechzehn bin ich in die Lehre gegangen wie die meisten: Agrotechniker hieß das bei uns. Mit der Ausbildung konnten Sie in der Landwirtschaft arbeiten. Das habe ich dann auch gemacht. Ich war bis Anfang der Neunziger bei der LPG." Inzwischen arbeitet er für einen Futtermittelhändler. "Wir verkaufen eigentlich alles, was das Vieh braucht: Weizen, Gerste und Hafer. Das kommt direkt von den Bauern. Aber auch Spezialfutter für Tauben oder Kaninchen. Das kaufen wir zu." Die Arbeit macht Hans-Jürgen Söffel Spaß. "Hauptsächlich, dass ich mit den Leuten reden kann, das gefällt mir. Die meisten kenne ich ja auch schon lange." Der Arbeitstag beginnt früh: "5.30 Uhr beginne ich mit den Vorbereitungen. Ich muss das Getreide absacken, Quetschgetreide herstellen, das übrige zermahlen. Das machen wir, weil die Tiere es dann besser aufnehmen können. Um 8.00 Uhr kommen dann die ersten Leute und dann geht es so weiter bis zum Abend." Hans-Jürgen Söffel wünscht sich, die Arbeit bis zur Rente machen zu können. "Natürlich geht die Schlepperei der Säcke mit den Jahren auf die Knochen und Gelenke, aber noch geht es, und ich bin optimistisch."

Rüdiger Ahr aus Tauchitz.
Rüdiger Ahr aus Tauchitz. © Bernd Cramer Museum

Rüdiger Ahr ist Gärtnermeister und steht inmitten eines großen Gewächshauses. Seine besondere Leidenschaft gilt dem Anbau von Gurken. "Das war schon immer so", sagt er und weist auf seine Pflanzen. "Gurken sind faszinierend. Wir kaufen die Pflanzen in einem Stadium, da sind sie kaum vierzig Zentimeter hoch, und schauen Sie! Keine drei Wochen später können Sie die ersten Gurken abnehmen. Die Altpflanzen sind über zwei Meter hoch. Es ist spannend zu beobachten, wie sie sich entwickeln." Als Rüdiger Ahr 1985 mit der Gurkenproduktion beginnt, fließen die Erlöse noch dem Staat zu. Doch nach der Wende kauft er die Gärtnerei der LPG ab und baut seinen eigenen Betrieb auf. Heute beschäftigt er zehn Mitarbeiter. Auch sein Sohn ist dabei. "Natürlich haben wir das hier alles verändern müssen. Das können Sie sich ja vorstellen, wie es hier aussah. Wir mussten die Gewächshäuser aus- und umbauen. Wir waren damals – und sind es heute – sehr interessiert daran, dass wir auf dem neuesten Stand sind. Das ist auch eine Frage der Ressourcen, denn die Produktion verbraucht enorm viel Wasser." Gurken bestehen zu sechsundneunzig Prozent aus Wasser.

Schwester Anne aus dem Kloster St. Marienthal.
Schwester Anne aus dem Kloster St. Marienthal. © Bernd Cramer Museum

Schwester Anne lebt und arbeitet im Kloster Sankt-Marienthal. Sie ist einunddreißig Jahre alt und stammt aus Berlin. Sie wuchs während der letzten Jahre der DDR in einer Familie auf, in der, wie sie sagt, Religion keine Rolle spielte. "Ich habe erst spät und auch unverhofft zu Gott gefunden." Nach der Schule macht sie zunächst eine Lehre zur Bürokauffrau. Doch das Leben in der Großstadt Berlin erfüllte sie nicht. "Ich erhielt dann das Angebot im Kloster ein Praktikum zu machen. Das fiel in eine Zeit, in der ich ohnehin sehr auf der Suche war und unsicher, was ich mir für mein weiteres Leben erhoffte." Dem Besuch im Kloster folgte das Bekenntnis. "Inzwischen bin ich seit sieben Jahren hier. Meine Familie war anfangs natürlich skeptisch, aber sie haben schnell gemerkt, dass ich hier glücklich bin und so fiel es ihnen nicht schwer, meine Entscheidung zu akzeptieren." Im Kloster gehen die Nonnen hauptsächlich dem Gebet nach. "Das ist uns das Wichtigste. Darüber hinaus hat jede Schwester eine Aufgabe. Ich arbeite als Gästeschwester und Bibliothekarin."

Die Ausstellung wird bis 27. August in den Städtischen Museen gezeigt. (SZ)