"Wir sind nicht rechtsextrem, sondern christlich-konservativ"
Helge Hilse aus Oybin, früherer Vize-Chef des kürzlich vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuften Vereins "Ein Prozent", über seinen Austritt und einen neuen Verein.
Oybin ist in den letzten Jahren immer wieder durch den Verein "Ein Prozent" in die bundesweiten Schlagzeilen geraten. Der Oybiner Helge Hilse, Touristiker und im Nebenerwerb Bauer, war seit der Gründung 2016 Vize-Chef, seine Privatadresse Vereinssitz.
Nun hat der Verfassungsschutz den Verein als rechtsextrem eingestuft. Der gebürtige Zittauer sagt im SZ-Gespräch, dass er mit den Rechtspopulisten um die Verleger Götz Kubitschek und Philip Stein schon länger nichts mehr am Hut hat, sondern die Probleme der Gesellschaft nun anders beheben will.
Herr Hilse, der Verein "Ein Prozent" ist Ende April vom Verfassungsschutz als rechtsextrem eingestuft worden. Wundert Sie das?
Nein, überhaupt nicht. Aus meiner Sicht ist er schon länger rechtsextrem unterwegs.
Sie waren Gründungsmitglied.
In der Tat. Ich wurde als bürgerliches Aushängeschild benutzt.
Wie kommt man als Bürgerlicher in die Kreise von Rechtsextremen?
Das hängt mit der Unruhe im Land zusammen. Man kann doch nicht bezweifeln, dass unser Land durch die vielen und schnellen Veränderungen der letzten Jahre in Unruhe ist. Und das führt dazu, dass Populisten - und ich sehe die Macher von "Ein Prozent" als Populisten - ihre Leimruten auslegen können. So sind auch Leute wie ich dazu gekommen. Aber ich habe mich abgelöst und nicht erst jetzt. Schon vor Jahren.
Sie sind ausgetreten?
Ich bin 2020 ausgeschieden.
Wurde deshalb der Vereinssitz von Oybin nach Görlitz verlegt?
Nein. Der Verein wurde ursprünglich auf Wunsch von Kubitschek in Oybin angemeldet, was ich heute als meinen Fehler sehe. Das war nur ein taktischer Schachzug. Das Vereinsbüro war immer in Dresden. Mit meiner Herauslösung habe ich 2020 verlangt, dass dieser Vereinssitz gelöscht wird. Dem wurde nachgekommen, allerdings sehr, sehr zögerlich.
Was hat dazu geführt, dass Sie sich abgelöst haben?
Menschliche Reife. Ich habe gesehen, dass "Ein Prozent" letztendlich Illusionen verkauft. Und eine Leihmutter ist, die davon lebt, die Unruhe der Menschen zu Geld zu machen. Dabei bezeichnet sie sich als Bürgerbewegung. Das ist sie in meinen Augen aber nie gewesen. Ein Prozent ist eigentlich eine Zwei-Mann-Show aus Stein und Kubitschek, ein
aufgeblähtes Phantom. Das wollte ich nicht mitmachen.
Ihnen muss doch aber schon zur Gründung 2016 klar gewesen sein, mit wem sie sich da einlassen.
Nein, das war mir nicht klar. Kubitschek hat ein sogenanntes Querfront-Bündnis propagiert und es so dargestellt, als müsse gegen die gesellschaftliche Spaltung ein großer Bogen geschaffen werden, von rechts bis links, von oben bis unten. Das halte ich bis heute für richtig. Nur: Dieses Bündnis war nie ein Querfront-Bündnis. Der
Verein war und ist stattdessen ein Ort der
verstärkten Spannung. Er hat die Gesellschaft noch mehr gespalten. Und ich
stehe für die Heilung der Gesellschaft und nicht für deren Spaltung.
Aber ein Spektrum gab es gar nicht. Es war doch kein Linker dabei.
Doch, es war angeblich einer dabei: Jürgen Elsässer. Er kommt tatsächlich ursprünglich aus dem linken Spektrum. Ich kannte ihn nicht und er wurde mir als Linker verkauft. Danach dauerte es aber nicht lange und es war klar, dass das ganze Projekt eigentlich nur aus Stein besteht und der sich mit Ex-NPD-Funktionären umgab. Das ist nicht mein Stil.
Gegründet wurde "Ein Prozent" auf dem Höhepunkt der Asylkrise vor sieben Jahren. Wie sehen Sie das Thema heute?
Die Gesellschaft ist im Umbruch. Aber die Politik überfordert die Menschen mit dem Tempo und der Massivität der Veränderungen. Die Bürger fühlen sich oft überfahren. Nicht nur beim Thema Asyl. Dadurch wird die Spaltung der Gesellschaft verschärft. Wenn wir sie überwinden wollen, müssen wir Brücken bauen, ins Gespräch kommen wollen und lernen, einander auszuhalten.
Wie gehen Sie nach dem Austritt bei "Ein Prozent" damit um?
Ich habe den Verein "Landleben 19" gegründet. Der steht für Brückenbau, also im Prinzip für die Zusammenführung von Menschen, Meinungen und eine offene Diskussion untereinander.
Was macht "Landleben 19"?
Wir haben uns zum Ziel gestellt, die Kultur und das Bewusstsein zum Miteinander zu fördern. Dazu gehört natürlich die heimische Kultur. Wir haben aber auch keine Ängste vor fremden Kulturen. Besonders wichtig ist uns, die Menschen für die Wichtigkeit des schaffenden Tuns zu sensibilisieren. Wir brauchen Handwerker, Bauern, Bauarbeiter und Menschen, die wissen, wie Wertschöpfung entsteht und so wichtig sind für eine zukunftsfähige Gesellschaft.
Wie viele Mitglieder hat der Verein?
Wir sind ganz wenige. Ein Verein muss ja eine Mindestanzahl von Mitgliedern haben.
... sieben ...
Die haben wir zur Gründung natürlich haben müssen. Die zweite Zwiebelschale sind Fördermitglieder beziehungsweise Unterstützer. Das sind grob über den Daumen gepeilt 20.
Was sind das für Leute, die Sie unterstützen?
Das sind samt und sonders moderate Leute mit Lebensleistung. Die meisten sind Christen. Ich auch. Aber wir haben auch Leute dabei, die keine Christen sind.
Nein, wir haben auch Ausländer dabei und nicht nur einen. Auch in unserem Umfeld.
Was sind das für Ausländer? Tschechen, Polen?
Polen, Franzosen, Iren... Schlicht und einfach: West- und Osteuropäer.
Würden Sie auch Flüchtlinge, zum Beispiel aus Syrien und Afghanistan, aufnehmen?
Selbstverständlich - sofern sie unsere Regeln beachten und unsere Sprache lernen. Es dürfte trotzdem schwierig werden: Moslems haben natürliche Berührungsängste Christen gegenüber.
Sie betreiben zwei Landgüter. Gehören Sie dem Verein?
Nein. Der Verein ist in beiden Mieter. Das eine Objekt soll eine Bildungsstätte für Kinder, Jugendliche und Schulklassen sein, aber auch interessierte Erwachsene.
Das in Neundorf?
Nein, das in Olbersdorf. Dort haben wir einen Südtiroler Brotofen nachgebaut und möchten eigentlich den Kindern, aber nicht nur ihnen, zeigen, wie ein Brot von der Ähre, vom Acker, zum fertigen Brot gedeiht, um so die Liebe zum praktischen Tun zu wecken. Je zufriedener ein Mensch durch seine Hände Arbeit ist, desto weniger anfällig wird er für die Unruhe sein. Der Neundorfer Hof ist eher ein Kulturhof. Dort haben wir den Plan, einen großen Kuhstall zu einem Kultursaal umzugestalten, in dem man Musik, Lesungen und Seminare und, und, und machen kann. Ich unterscheide also in Olbersdorf "Bildungsarbeit praktisch" und in Neundorf "Bildungsarbeit theoretisch".
Wen wollen Sie schulen?
Jeden, der Interesse am praktischen Tun hat. Vorrangig Kinder und Jugendliche, weil sie am meisten Orientierung brauchen. Aber auch Erwachsene.
Wie viel Leute haben Sie schon geschult oder betreut?
Die Corona-Krise hat uns die Hände gebunden. Gestartet sind wir 2019. 2020 kam die Anlaufphase und dann war der Spaß schon wieder zu Ende. Das Kulturprogramm lag auf Eis. Ein paar Seminare zu den Themen Bildung und Geschichte der Region haben wir aber vor den Beschränkungen noch machen können. Jetzt, nach der Corona-Zeit, haben wir das Problem, dass wir plötzlich zu Unrecht als rechts verortet gelten, als völkisch und was weiß ich noch alles und uns dadurch die Hände gebunden sind. Wir sind aber nicht rechtsextrem, wir haben einen christlich-konservativen Anspruch.
Das wundert mich nicht. Warum? Wir haben das Problem, dass viel geschrieben wird und viele voneinander abschreiben. Mich hat noch keiner gefragt, was wir tun. Keine Behörde, kein Journalist. Man lebt eigentlich nur von Informationen, die im Internet herumwandern. Und die werden dann aufgegriffen und zusammengebastelt. Wieder andere Leute, die nur Schlagzeilen lesen, entwickeln bei einigen Begrifflichkeiten den Pawlowschen Reflex und dünken uns als die ihren, bewerben uns im Internet sogar unzulässig und ungefragt. Dadurch entsteht ein furchtbares Bild. Das ist auch der Grund, warum ich bei Ihnen sitze. Um das klarzustellen.
Also kein völkisches Treiben in Olbersdorf und Neundorf?
Mitnichten. Der Vorwurf hängt in meinen Augen mit einer Frau zusammen, die im Olbersdorfer Objekt Mieter wie wir gewesen ist, völkisch und sehr, sehr rege unterwegs war. Wir haben uns deswegen aus dem Objekt zurückgezogen und die Arbeit erst wieder aufgenommen, als die Frau Anfang 2023 ausgezogen war.