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Angeblich sollten keine Mitwisser übrig bleiben

Das Gericht zeigt in einem Video, wie das Spezialeinsatzkommando die Wohnung eines der beiden Entführer gestürmt hat.

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© Robert Michael

Alexander Schneider

Das Video von der Festnahme dauert eine Minute und 25 Sekunden. Am Montag, 17.August, um 4.40 Uhr stürmen schwer bewaffnete Beamte des Spezialeinsatzkommandos (SEK) die Dresdner Wohnung von Norbert K. Zwei Männer brechen mit einer Ramme die Tür auf. Männer in Kampfanzügen stürzen in die kleine, dunkle Wohnung: „Polizei! Hier ist die Polizei!“, rufen sie. Norbert K. (62) liegt auf seiner Couch in der Stube, der Fernseher läuft. Hat er geschlafen? Man weiß es nicht. Vielleicht hat ihn erst das Getöse aufgeschreckt. „Verhalten Sie sich ruhig“, schallt es. Geblendet vom Schein einer Taschenlampe hebt K. den Kopf, SEK-Beamte packen ihn, legen ihn auf den Boden, fesseln ihm mit Kabelbindern die Hände auf den Rücken. „Wie heißen Sie?“ – „Norbert.“

Der Angeklagte Norbert K. (62)
Der Angeklagte Norbert K. (62) © Robert Michael
Annelis Eltern Uwe und Ramona Riße verfolgten auch am Donnerstag die Verhandlung.
Annelis Eltern Uwe und Ramona Riße verfolgten auch am Donnerstag die Verhandlung. © Robert Michael

Zu sehen ist das Ganze aus der Perspektive einer Helmkamera eines Beamten, der auch mit seiner Maschinenpistole im Anschlag in den engen Flur rennt. Die Bilder mit dem Lauf im Vordergrund erinnern an Ego-Shooter-Computerspiele. Doch sie sind real. „Verhalten Sie sich ruhig“, ruft ein Polizist. „Sind hier noch weitere Personen?“ Im Hintergrund ist zu hören, wie die Wohnung gesichert wird: „Räume klar! – Balkon klar! – Küche klar!“

Vier Tage nach der Entführung der 17-jährigen Anneli Riße aus Robschütz bei Meißen am 13. August vergangenen Jahres nimmt das SEK die beiden Verdächtigen fest: Norbert K. (62) in Dresden und Markus B. (40) in einem Dorf bei Bamberg. Nur von Anneli fehlt jede Spur. Lebt sie? Das ist die Hoffnung der Polizisten. K. wird als Beschuldigter vernommen. In einer Raucherpause gegen 18 Uhr beichtet er, dass die Gymnasiastin tot ist.

Seit Ende Mai stehen die beiden Männer wegen erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge vor dem Landgericht Dresden. B. wird auch Mord vorgeworfen. Er soll die 17-Jährige auf seinem Hof in Lampersdorf erwürgt haben. In einem Telefonat soll B. kurz nach der Entführung Annelis 1,2 Millionen Euro von ihrem Vater Uwe Riße gefordert haben.

Laut Anklage starb Anneli jedoch bereits am nächsten Tag. Das wussten die Ermittler jedoch nicht, als sie Norbert K. vernahmen. Sein Verteidiger Andrej Klein beantragte, die Vernehmungen seien im Prozess nicht verwertbar. Sie seien unter einer extremen Belastung entstanden.

Nachdem das Schwurgericht das SEK-Video von K.s Festnahme zweimal gezeigt hatte, wies es Kleins Antrag zurück. Es sei nicht erkennbar, dass sich der Angeklagte durch die Vernehmungen in einem Zustand völliger Erschöpfung befunden habe, der seine Willensfreiheit beeinträchtigte. Die Vorsitzende Richterin Birgit Wiegand betonte, dass K. dringend tatverdächtig war und die Polizei von Gefahr im Verzug ausgehen musste.

Extrem gefährlich und manipulativ

Mehrere Zeugen berichteten am Donnerstag, Markus B. beziehungsweise seinen BMW in der Nähe des Entführungsortes gesehen zu haben – ein Jäger, der Fahrer eines Mähdreschers, eine 16-jährige Schülerin. Schließlich schilderte K.s Vernehmer Rüdiger P., wie der 62-Jährige ihm die Tat gebeichtet habe. Unter Tränen habe K. gesagt, dass Anneli tot sei. Die Entführung sei B.s Idee gewesen, er habe das Mädchen auch getötet.

Ermittler P. beschrieb den Hauptangeklagten Markus B. als extrem gefährlich und manipulativ. Sein Komplize Norbert K. habe gemacht, was B. ihm auftrug. Markus B. habe damit geprahlt, eine große Nummer in Baden-Württemberg zu sein, vorbestraft wegen Waffenbesitzes und Zuhälterei, hafterfahren. Den 62-Jährigen beschrieb er dagegen als willenlos. Ohne nachzudenken habe er Aufträge ausgeführt. Norbert K. habe schon früh berichtet, dass B. nur Tage vor der Entführung auch eine Supermarktkette erpresst habe.

Man darf gespannt sein, was in diesem Prozess noch alles zur Sprache kommt. Einen Vorgeschmack bot Kripo-Vernehmer P. So soll Markus B. nicht nur gegoogelt haben, wie man Menschen tötet. Offenbar habe er beabsichtigt, dass gar keine Zeugen der Tat übrig bleiben sollten. „Keine Zeugen“, also auch keine Mitwisser. Damit schloss Ermittler P. den Mitangeklagten Norbert K. ausdrücklich ein. Der Prozess wird Montag, 20.Juni, fortgesetzt.