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Ungereimtheiten im Anneli-Prozess

Warum der Anwalt von Norbert K. an der Rechtsstaatlichkeit des Prozesses zweifelt und wie es seinem Mandanten geht, erzählt er im exklusiven SZ-Interview.

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© Archiv/dpa

Dominique Bielmeier

Herr Klein, zum Auftakt des zweiten Prozesstages hat die Staatsanwaltschaft viele Ihrer Einwände, was die Verwendbarkeit einer Vernehmung Ihres Mandanten angeht, abgewiesen. Beeinflusst das Ihre weitere Verteidigung?

Andrej Klein ist Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht und verteidigt im Anneli-Prozess den Angeklagten Norbert K.
Andrej Klein ist Fachanwalt für Steuerrecht und Strafrecht und verteidigt im Anneli-Prozess den Angeklagten Norbert K. © Dominique Bielmeier

Nein. Dass die Staatsanwaltschaft anderer Meinung ist als wir Anwälte, ist normal. Wir müssen uns jetzt mit den Argumenten auseinandersetzen. Das Gericht wird letztendlich entscheiden, welchen Argumenten es glaubt.

Also beharren Sie weiter darauf, dass zum Beispiel die Festnahme von Norbert K. rechtswidrig war?

Die Chronologie des Verbrechens

Donnerstag, 13. August 2015

Anneli-Marie R. verlässt das Wohnhaus der Eltern in Robschütz – einem Dorf bei Meißen – am Abend gegen 19.20 Uhr zusammen mit dem Hund der Familie. Gegen 19.30 Uhr überwältigen die Täter die 17-Jährige auf einem Verbindungsweg zwischen B 101 und der Ortschaft Luga.

Donnerstag, 13. August 2015

Noch am selben Abend melden sich die Täter bei der Familie und fordern 1,2 Millionen Euro Lösegeld. Die Mutter von Anneli verständigt die Polizei, die Ermittlungen laufen an. Der Versuch, Annelis Handy zu orten, scheitert jedoch – das Gerät wird um 20.03 Uhr abgeschaltet. Parallel sucht Annelis Vater die üblichen Wege seiner Tochter ab. In zwei Kilometern Entfernung zum Wohnhaus findet er das Fahrrad und den angeleinten Hund.

Donnerstag, 13. August 2015

Gegen 21 Uhr erfolgt der zweite Anruf der Täter: Anneli sei bereits in Tschechien, sagen sie mit verstellter Stimme am Telefon. Werde das Lösegeld nicht gezahlt, würden die Eltern das Mädchen nicht wieder sehen. Sie geben Zeit bis Freitag 12 Uhr. Gleichzeitig läuft die Fahndung der Polizei an: Die Beamten setzen Spürhunde ein, die erste Spur führt zu einem Grundstück im Nachbarort Luga.

Freitag, 14. August 2015

Noch in der Nacht zum Freitag übernimmt die Polizei die Betreuung der Familie. Gleichzeitig richtet die Behörde ein Sondereinsatzkommando ein – etwa 1.200 Beamte werden über die Tage im Einsatz sein. In den frühen Morgenstunden durchkämmt ein Sondereinsatzkommando der Polizei schließlich das Anwesen in Luga. Allerdings finden die Beamten keine Spur von Anneli oder den Entführern.

Freitag, 14. August 2015

Ein Zeuge macht die Polizei auf ein silbernes Auto, einen BMW, aufmerksam. Das Auto wurde in den Tagen vor der Entführung von Zeugen im Ort gesichtet.

Freitag, 14. August 2015

Am Vormittag melden sich die Täter erneut und fordern eine Überweisung des Geldes per Online-Banking, was aufgrund der Höhe der Summe unmöglich ist. Ein Lebenszeichen von Anneli verweigern sie den Eltern. Danach reißt der Kontakt zu den Tätern ab.

Sonnabend, 15. August 2015

Noch in der Nacht erfolgt die Auswertung der Kommunikationsdaten. Gegen 2.44 Uhr haben die Ermittler eine nächste Spur: die Handydaten führen die Beamten zum Erlebnisbad Hetzdorf im Tharandter Wald. Das Gelände wird mit speziell ausgebildeten Hunden durchsucht – jedoch ohne Erfolg.

Sonntag, 16. August 2015

Der Polizei gelingt der Durchbruch: Ein DNA-Abgleich mit Spuren an Annelis Fahrrad ergibt einen Treffer. Von da an hat die Polizei einen Tatverdächtigen im Visier: den ehemaligen Koch Markus B. Sie ortet den Mann dank Funkzellenabfrage in einem Ort bei Bamberg (Bayern), auch der BMW wird dort entdeckt.

Sonntag, 16. August 2015

Am Abend teilt die Polizei öffentlich mit, sie gehe wegen einer Lösegeldforderung von einer Entführung aus, es werde wegen erpresserischen Menschenraubes ermittelt. Annelis Eltern wenden sich zudem mit einem offenen Brief an die Entführer.

Montag, 17. August 2015

Um Mitternacht gerät ein unbewohnter Bauernhof in Lampersdorf bei Meißen ins Visier der Ermittler. Dort lebte der Tatverdächtige Markus B. zuletzt. Hier vermuten die Beamten das Versteck der Entführer. Es folgt die Durchsuchung.

Montag, 17. August 2015

Um 4.30 Uhr gelingt der Polizei der nächste Durchbruch: In Dresden nimmt die Polizei einen zweiten Tatverdächtigen, den Metallhändler Norbert K., fest. Nur wenige Stunden später klicken auch in Bayern die Handschellen. Markus B. wird von der Polizei in Gewahrsam genommen. Der BMW wird ebenfalls beschlagnahmt.

Montag, 17. August 2015

Gegen 11.45 Uhr gibt es einen zweiten DNA-Treffer: Auf einem Gegenstand, der aus dem Dreiseithof in Lamperswalde stammt, finden sich sowohl die DNA eines Täters als auch des Opfers.

Montag, 17. August 2015

Ebenfalls am Montag beginnen die Ermittler mit der Befragung der zwei Tatverdächtigen. Norbert K. sagt in seiner Vernehmung aus und gesteht die Tat. Dank seiner Aussagen und der weiteren Durchsuchung des Hofes im Dorf bei Meißen finden die Beamten eine Leiche.

Montag, 17. August 2015

Gegen 21 Uhr beginnen Polizisten mit der Freilegung der Leiche. Eine Stunde später haben die Ermittler Gewissheit: Bei der gefundenen Toten handelt es sich um die 17-jährige Anneli-Marie R. Den Erkenntnissen der Ermittler zufolge wurde die 17-Jährige wahrscheinlich schon am Freitag ermordet.

Dienstag, 18. August 2015

Am Dienstag bestätigt auch die Polizei den Fund einer Leiche in Lampersdorf. Die Ermittler bestätigen während einer Pressekonferenz, dass es sich bei der Frauenleiche um Anneli-Marie R. handelt.

Dienstag, 18. August 2015

Gegen die beiden Verdächtigen – Markus B. und Norbert K. – wird ebenfalls am Dienstag Haftbefehl erlassen.

Freitag, 21. August 2015

In der Dorfkirche von Sora bei Meißen kommen 200 Menschen zu einer Trauerandacht für die ermordete Gymnasiastin zusammen.

Sonnabend, 29. August 2015

Anneli wird nach einer Trauerfeier in Sora im Familiengrab beerdigt. Über 800 Trauergäste kommen, um Abschied von der 17-Jährigen zu nehmen.

Donnerstag, 28. Januar 2016

Die Staatsanwaltschaft Dresden erhebt Anklage wegen erpresserischen Menschenraubes gegen die Tatverdächtigen Markus B. (40) und Norbert K. (62). Bei dem inzwischen 40-Jährigen geht sie von Mord aus. Er soll die Gymnasiastin getötet haben, „zur Verdeckung einer anderen Straftat“.

Montag, 30 Mai. 2016

Beginn des Prozesses gegen die beiden Tatverdächtigen vor dem Landgericht Dresden. Für den Prozess hat das Landgericht Dresden 15 Verhandlungstage bis Ende August geplant. Als erste der insgesamt 21 Zeugen will die Strafkammer die Eltern der Schülerin befragen, die Nebenkläger sind.

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Ja. Zu diesem Punkt hat die Staatsanwaltschaft nicht viel gesagt. Sie hat nur gesagt „nicht müde“ und „dreimal belehrt worden“. Und das ist richtig, er ist ordentlich belehrt worden. Aber es hätte gar nicht zu dieser Vernehmung kommen dürfen, weil man ihn nicht hätte festnehmen dürfen.

Es gibt ein paar Ungereimtheiten in diesem Prozess – erst die unterschiedlichen Angaben zu den Uhrzeiten, jetzt widersprüchliche Fassungen des SEK-Berichts. Ist das für Sie außergewöhnlich?

Es ist ungewöhnlich, dass es so geballt auftritt. Dass man andere Seiten hat, ist nicht ungewöhnlich, wenn man zum Beispiel Faxprotokolle einer Beschuldigtenvernehmung hat und im Original sind die Faxprotokolle nicht drauf, weil sie zur Akte gereicht und uns schon einmal gegeben worden sind. Wenn aber Pausenzeiten geändert werden – wie ich das auch gerügt habe – und in meinem Exemplar komplett andere Pausen stehen und diese Pausen bei uns eine wichtige Rolle bei der Verwertbarkeit spielen, dann werde ich hellhörig. Und wenn jetzt sogar rauskommt, dass das SEK zwei verschiedene Berichte losschickt und in einem steht „wach und munter“ und im anderen „benommen auf der Couch“, dann habe ich rechtsstaatliche Bedenken, vorsichtig formuliert.

Das kommt Ihrer Verteidigung dann ja aber zugute.

Wir haben es so vorgetragen, wie es war, und sofern man dem Mandanten das nicht widerlegen kann, spricht das natürlich für uns. Dass man unterschiedliche Varianten ein und desselben Einsatzberichtes hat, das ist erstaunlich, das ist nicht mal ein Versehen, das ist für mich Manipulation. Warum mache ich zwei Berichte zu demselben Thema?

Was ist das beste Urteil, das Sie für Ihren Mandanten anstreben?

Ich möchte, dass er für das verurteilt wird, was er gemacht hat, und nicht, was andere denken oder von Dritten gehört haben. Ich möchte nicht, dass er zu lebenslanger Freiheitsstrafe verurteilt wird, das wäre die Höchststrafe für den Vorwurf des erpresserischen Menschenraubes mit Todesfolge. Ich denke, dafür gibt es auch keinen Anlass. Eine zeitige Freiheitsstrafe ist das Ziel.

Wie geht es Ihrem Mandanten?

Anders als der Mitangeklagte steht er zu seiner Beteiligung, er versucht sich auch nicht durch Krankheit oder Gebrechlichkeit rauszureden. Er kann dem Verfahren folgen und es bewegt ihn natürlich. Er empfindet es als große Tragik und das Schlimmste, das er empfindet, ist natürlich, dass er es erstens nicht wieder gutmachen kann, und zweitens die Sache nicht verhindern konnte. Dass er nicht nach der ersten oder zweiten Nacht den Polizisten gesagt hat, sei es auch anonym, dort ist das Mädchen, was er da macht, war nicht meine Idee, ich will das nicht – das muss mein Mandant bis an sein Lebensende mit sich tragen.

Er empfindet also Reue?

Absolut.

Hat er denn vor, sich bei der Familie zu entschuldigen?

Da ist immer die Frage, wie man das macht. Ich kann natürlich verstehen, dass die Familie dieses Verfahren schwer mitnimmt und man keinen Kontakt wünscht. Mein Mandant möchte sich gegenüber den Eltern erklären, das ist ihm ein Bedürfnis. Ob er das im Verfahren noch macht, weiß ich nicht, es soll um Gottes willen nicht so rüberkommen, als ob er schauspielert. Es soll ja kein Mittel zum Zweck sein, er will das einfach machen.