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Inklusion mit Hindernissen

Im Oktober werden in Unternehmen Schwerbehinderten-Vertretungen gewählt. Sie sollen Mitbestimmung sichern. Doch nach wie vor stellen viele Betriebe erst gar keine behinderten Menschen ein.

Von Annett Kschieschan
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Menschen mit Behinderung sind in der Regel nicht schlechter qualifiziert als ihre Kollegen ohne Handicap. Sie werden dennoch seltener eingestellt.
Menschen mit Behinderung sind in der Regel nicht schlechter qualifiziert als ihre Kollegen ohne Handicap. Sie werden dennoch seltener eingestellt. © AdobeStock

Gleichberechtigung, Inklusion, Mitbestimmung – formal ist all das gesichert in der hiesigen Arbeitswelt. Ganz praktisch gibt es hier nach wie vor Luft nach oben. Denn auch, wenn die EU in ihrer „Strategie zugunsten der Rechte von Menschen mit Behinderungen“ ganz klar formuliert, dass „Menschen mit Behinderungen vollständig und in gleichberechtigter Weise sozial und wirtschaftlich integriert“ sein sollen, gibt es in vielen Betrieben noch immer eine Scheu, Behinderte einzustellen. Das widerspricht nicht nur dem Inklusionsanspruch der Gesellschaft, es erweist sich bei zunehmendem Fachkräftemangel auch zunehmend als unklug.

Auch das Wirtschafts- und Sozialwissenschaftliche Institut (WSI) der Böckler-Stiftung verweist in einer aktuellen Veröffentlichung darauf, dass noch immer viele Unternehmen in Deutschland keine (schwer-)behinderten Männer und Frauen beschäftigen. Das Thema steht auch im Fokus, weil im Oktober die Wahlen der Schwerbehindertenvertretungen in den Betrieben beginnen. Sie finden alle vier Jahre statt. Allerdings noch nicht einmal überall dort, wo tatsächlich Menschen mit Behinderungen beschäftigt sind. Der Anspruch auf die Einrichtung einer Vertretung werde „auch dort nicht überall eingelöst, wo genügend Wahlberechtigte arbeiten“, heißt es beim WSI.

Betriebe mit zwanzig und mehr Beschäftigten sind verpflichtet, mindestens fünf Prozent ihrer Arbeitsplätze mit schwerbehinderten oder ihnen gleichgestellten Menschen zu besetzen. Die Bundesagentur für Arbeit gibt an, dass 62 Prozent der Arbeitgeber in der Privatwirtschaft diese Quote nicht oder nur zum Teil erfüllen. Stattdessen zahlen sie einen Ausgleichsbetrag. Bei öffentlichen Arbeitgebern sind es 39 Prozent.

Betriebsräte erhöhen die Quote

Das WSI hat mehr als 3.200 Betriebs- und Personalräte befragt. Das Ergebnis legt nahe, dass Unternehmen mit Betriebsrat offenbar deutlich besser abschneiden. 82 Prozent der Befragten gaben an, dass die Fünf-Prozent-Quote in ihrer Firma erfüllt werde. Allerdings: Im Durchschnitt erreichen auch bei den Unternehmen mit Personalvertretung nur der öffentliche Dienst und gemeinnützige Betriebe tatsächlich fünf Prozent. In der privaten Wirtschaft liegt der Wert im Schnitt bei 3,9 Prozent. Vor allem kleinere private Unternehmen verzichten ganz auf die Einstellung behinderter Mitarbeiter.

Das WSI sieht hier einen klaren Handlungsauftrag für Betriebsräte – sofern es sie denn gibt. Laut dem IAB-Betriebspanel hatten 2019 sachsenweit nur acht Prozent aller Betriebe einen Betriebs- oder Personalrat. Bundesweit gab es in rund jeder zehnten Firma, die einen Betriebsrat haben könnte, ein solches Gremium. Gerade einmal 41 Prozent der Arbeitnehmer im Westen und 36 Prozent im Osten werden von Betriebsräten vertreten.

In Betrieben mit mindestens fünf Schwerbehinderten sollen nun Schwerbehindertenvertretungen gewählt werden. Bis Ende Oktober ist Zeit dafür, und laut der WSI-Erhebung geschieht dies immerhin in drei Viertel der kommerziellen Betriebe, die einen Betriebsrat haben. „In jedem Fall“ bestehe für Betriebs- und Personalräte dort, wo Menschen mit Behinderung bislang nicht repräsentiert sind, die klare Aufforderung, dies nachzuholen, betont das WSI mit Blick auf das Sozialgesetzbuch.

In Sachsen will man den Handlungsauftrag offenbar annehmen. Die Arbeitsagentur verweist darauf, dass 2020 insgesamt 46.740 Männer und Frauen mit Handicap im Freistaat einen regulären Job in einem Betrieb mit mindestens 20 Beschäftigten hatten. Allein seit 2015 sind 4.250 zusätzliche Jobs für Menschen mit Behinderungen entstanden. Künftig sollen Weitere hinzukommen. „Das formale Merkmal ‚Schwerbehinderung‘ allein sagt nichts über die individuelle Leistungsfähigkeit eines Menschen aus“, so Klaus-Peter Hansen, Vorsitzender der Geschäftsführung der Regionaldirektion Sachsen der Bundesagentur für Arbeit, erst vor wenigen Monaten zum Thema Inklusion im Freistaat. Drei Viertel der arbeitslosen Schwerbehinderten haben demnach einen Berufsabschluss oder eine akademische Ausbildung. Damit seien sie besser qualifiziert als der Durchschnitt aller Arbeitslosen.

Anreize sollen die Bereitschaft der Unternehmen, (schwer-)behinderte Menschen zu beschäftigen, erhöhen. So kann die Einstellung finanziell unterstützt werden, etwa über Lohn- oder Eingliederungszuschüsse. Technische Berater helfen beim Barriereabbau im Büro oder in der Produktionshalle. Das Sächsische Sozialministerium fördert die Schaffung zusätzlicher Ausbildungs- oder Arbeitsplätze für Menschen mit Handicap mit bis zu 5.000 Euro.