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Kommt wegen der Inflation jetzt die Rente erst ab 70?

Mehr Arbeitskräfte durch längeres Arbeiten gleich weniger Inflation? Diese Rechnung von Ökonomen bringt SPD-Generalsekretär Kevin Kühnert in Rage.

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in Rente? Manche Ökonomen wollen das. Die SPD stellt sich im Moment gegen solche
Ideen. Die Rente
mit 67 wurde
allerdings damals aus ihren Reihen forciert.
Noch später in Rente? Manche Ökonomen wollen das. Die SPD stellt sich im Moment gegen solche Ideen. Die Rente mit 67 wurde allerdings damals aus ihren Reihen forciert. © Frank Rumpenhorst/dpa

Von Georg Ismar, Heike Jahberg und Thorsten Mumme

Für Kevin Kühnert ist die Idee eine „gefühllose Entgleisung“. „Die SPD wird nicht zulassen, dass Rentner zu Inflationstreibern und volkswirtschaftlichen Risikofaktoren erklärt werden“, sagte der Generalsekretär dem Berliner "Tagesspiegel". Ökonomen hatten gefordert, wegen der Inflation und des Fachkräftemangels die Rente ab 70 zu prüfen. „Das ist respektlos. Schon jetzt erreichen viele in ihrem erlernten Beruf nicht das Renteneintrittsalter, weil sie einfach nicht mehr können, weil harte Arbeit nun einmal hart in die Knochen geht.“

Kühnert nimmt Bezug auf Forderungen, die Ökonomen in der Bild-Zeitung formuliert hatten. Dort argumentieren die Wirtschaftsexperten: Der demografische Wandel führe dazu, dass es weniger Arbeitskräfte gibt. So verschärfe sich der Wettbewerb um Fachkräfte, und damit stiegen die Gehälter, was wiederum die Inflation anheize. Ihre Schlussfolgerung: Ein höheres Renteneintrittsalter führt zu mehr Arbeitskräften – und tritt damit der Inflation entgegen.

„Der Mix aus alternder Gesellschaft, hoher Verschuldung und Energiewende wird in den nächsten Jahren zu einer steigenden Gefahr für die Preisstabilität“, wird der Vizepräsident des Kieler Instituts für Weltwirtschaft, Stefan Kooths, zitiert. Wirtschaftsforscher Gunther Schnabl bestätigt in Bild: „Deutschland hat schon heute ein riesiges Fachkräfteproblem, Hunderttausende Stellen sind unbesetzt.“ Auf Tagesspiegel-Nachfrage führt er aus: Folge man der beschriebenen Hypothese, könne über eine Erhöhung des Arbeitsangebots der Anstieg von Löhnen und Preisen gemildert werden. „Das kann über die Anhebung des Renteneintrittsalters, die Kürzung der Ausbildungszeiten und die Erhöhung der Erwerbsquote erfolgen.“ Der Professor der Universität Leipzig und langjährige Kritiker der expansiven Geldpolitik der Europäischen Zentralbank (EZB) will den Arbeitsmarkt aber nicht als Hauptursache für die Inflation verstanden wissen. „Einerseits wurde sehr viel Geld in den Umlauf gebracht, was die Preise nach oben treibt“, so Schnabl. „Andererseits begünstigen die niedrigen Zinsen und Staatsanleihekäufe der EZB die Regulierung.“ Darin liege die derzeitige Inflation begründet.

Auch andere Ökonomen sehen eine Erhöhung des Rentenalters zur Bekämpfung der Inflation skeptisch. Das sei keine zielführende Maßnahme, sagte Sebastian Dullien, wissenschaftlicher Direktor des Instituts für Makroökonomie und Konjunkturforschung der gewerkschaftsnahen Hans-Böckler-Stiftung. „Die Inflation ist derzeit von hohen Energiepreisen und hohen Lebensmittelpreisen getrieben, nicht von einem übermäßigen Lohndruck“, meint er. Dagegen „hilft eine Verlängerung des Renteneintrittsalters nichts“. Mangel an Arbeitskräften sei weder in Deutschland noch bei den wichtigsten Ländern, aus denen das Land Importe bezieht, ein relevanter Inflationsfaktor.

Wenig überraschend dürfte die Rente mit 70 auch in der Bevölkerung nur wenige Anhänger finden. Das durchschnittliche Alter, in dem die Menschen hierzulande tatsächlich in Rente gehen, liegt nach Angaben der Deutschen Rentenversicherung bei 64,2 Jahren. Dabei müssten Menschen, die in diesem Jahr erstmals eine reguläre Altersrente beziehen, eigentlich 65 Jahre und elf Monate abwarten, bis sie ohne Abschläge Rente beziehen können. Bis 2031 soll diese Grenze auf 67 erhöht werden.

Allerdings gibt es Ausnahmen. Wer Jahrgang 1957 ist und 45 Versicherungsjahre zusammen hat, kann in diesem Jahr mit 63 Jahren und zehn Monaten ohne Abschläge in Rente gehen. Wer „nur“ auf 35 Versicherungsjahre kommt, kann zwar auch jetzt schon Rentner werden, wenn er Jahrgang 1957 ist, muss aber Rentenabschläge von 10,5 Prozent hinnehmen. Im Koalitionsvertrag haben SPD, FDP und Grüne beschlossen, in dieser Legislaturperiode weder das Renteneintrittsalter zu erhöhen noch das Rentenniveau zu senken.

Wie emotional das Ganze ist – und dass es für die SPD nach den jüngsten Wahlschlappen ein Mobilisierungsthema ist –, wird an der Wortwahl von Generalsekretär Kühnert deutlich. „Die SPD akzeptiert nicht, dass das Thema Inflation von den immer gleichen Leuten dafür benutzt wird, ihre feuchten neoliberalen Träume der Vergangenheit heute im Angesicht von drohenden sozialen Schieflagen Wirklichkeit werden zu lassen.“ Das Problem seien doch nicht die Rentner oder die zukünftigen Rentner, „sondern das Problem sind zu geringe Löhne“.