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Wie ein Sorbe einen legendären Seeweg entdeckte

Ein Gröditzer war vor 170 Jahren dabei, als bei einer Arktis-Expedition die Nordwest-Passage gefunden wurde. Mechtild und Wolfgang Opel sind seinen Spuren gefolgt.

Von Miriam Schönbach
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Mechtild und Wolfgang Opel recherchierten knapp drei Jahrzehnte zum sorbischen Polarforscher und Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeine Johann August Miertsching. Das Foto zeigt die Autoren in ihrer Wahlheimat Kanada.
Mechtild und Wolfgang Opel recherchierten knapp drei Jahrzehnte zum sorbischen Polarforscher und Mitglied der Herrnhuter Brüdergemeine Johann August Miertsching. Das Foto zeigt die Autoren in ihrer Wahlheimat Kanada. © privat

Gröditz/Kleinwelka. Ihr Lebenswerk umfasst 470 Seiten. Knapp drei Jahrzehnte haben Mechtild und Wolfgang Opel die Spuren Johann August Miertschings (1817 - 1875) über vier Kontinente verfolgt. In ihrer jüngst erschienenen Biografie „Weil ich ein Inuk bin“ zeichnen die Autoren das ungewöhnliche Leben des Halbwaisen aus einer Gröditzer Schusterfamilie nach. Im Januar 1850 bestieg der Sorbe das Schiff Investigator im englischen Plymouth. Die Mannschaft soll in der Arktis nach der verschollenen Franklin-Expedition suchen. Überlebende findet sie nicht, wohl aber die Nordwest-Passage und damit den legendären Seeweg in den Fernen Osten.

Für das Gespräch über ihr „Lebenswerk“ braucht es mit Mechtild und Wolfgang Opel eine Verabredung via Video-Zoom-Meeting über knapp 7.000 Kilometer. Einen Teil ihres Jahres verbringen die Autoren in ihrer zweiten Heimat Nova Scotia in Kanada. Sie wollen an diesem Vormittag noch zur Recherche nach Neufundland im Osten des Landes aufbrechen. Es gilt, einen Reiseführer zu aktualisieren. Drei Wochen wird sie die Arbeit beschäftigen, bis sie dann ins Flugzeug Richtung Deutschland steigen – auch für eine Vorlesereise durch die Lausitz.

Schiffsfund gab den letzten Anstoß

Doch wie sind Mechtild und Wolfgang Opel überhaupt auf die ungewöhnliche Biografie des sorbischen Polarforschers gestoßen? Bereits 1996/97 hören sie den schon häufigeren sorbischen Namen Miertsching in einer Fernseh-Dokumentation über die Suche nach der Nordwest-Passage. Der Name lässt sie stutzen. Mechtild Opel ist gebürtige Bautzenerin, ihr Mann kommt aus Mecklenburg. Die Dokumentation ist der Beginn dafür, die Lebensfäden des vergessenen Oberlausitzers aufzunehmen. Die Nachricht, das Unterwasserarchäologen im Juli 2010 das Wrack der HMS Investigator gefunden haben, jenes Schiffes, mit dem Miertsching in die Arktis reiste, geben den letzten Anstoß, das Lebenspuzzle des Johann August Miertschings wieder zusammenzusetzen.

Das Bild zeigt Johann August Miertsching mit seiner Frau Clementine und der Tochter Maria. Das Foto aus dem jahr 1860 stammt aus dem Besitz der Familie Jannasch. Es wurde in seiner Missionszeit in Südafrika aufgenommen.
Das Bild zeigt Johann August Miertsching mit seiner Frau Clementine und der Tochter Maria. Das Foto aus dem jahr 1860 stammt aus dem Besitz der Familie Jannasch. Es wurde in seiner Missionszeit in Südafrika aufgenommen. © Archiv/privat

Ganz klassisch geht es zuerst in Archive. In der Bibliothek der Herrnhuter Brüdergemeine finden sie sein veröffentlichtes Reise-Tagebuch mit zahlreichen Auslassungen. Die Aufnahme bei der Glaubensgemeinschaft in der Kleinwelkaer Siedlung ebnet dem jungen Sorben den Weg zu seinem wohl größten Abenteuer. Mit 14 Jahren erlernt er den Beruf des Schusters und bekommt schnell eine neue Aufgabe. Mit 27 Jahren verlässt er seine Gemeinde Richtung England – und reist mit dem Segelschiff Harmony zum Missionsdienst nach Okak in den Norden Labradors. Fünf Jahre unterrichtet er Lesen, Schreiben, Geographie und Musik. Er lernt die Sprache der Inuit und predigt sogar so.

Die Autoren nehmen jede noch so kleine Lebensspur auf, lassen sich im Geburtsort Gröditz durch einen Chronisten die alte Dorfstruktur erklären und Kleinwelka auf sich wirken. Im Staatsfilialarchiv wie im Sorbischen Kulturarchiv graben sie nach verschollenen Quellen. Schließlich berichtet unter anderem die sorbische Zeitung im Januar 1850 von Miertschings Abreise in Arktis. Die britische Admiralität ordert ihn als Übersetzer für die Suchaktion, denn er ist „...ausreichend vertraut mit der Sprache und Lebensart des Eskimos“, heißt es in einem überlieferten Schriftstück.

„Miertsching war ein Ethnograf, ohne zu wissen, was es ist. Jene Inuit, die er traf, fragte er nach ihrem Denken und akzeptierte ihre Perspektive, anders als andere Mit-Missionare“, weiß Mechtild Opel nach den Recherchen.

Für ihren Recherchen zum sorbischen Polarforscher Johann August Miertsching waren Mechtild und Wolfgang Opel auf vier Kontinenten unterwegs.
Für ihren Recherchen zum sorbischen Polarforscher Johann August Miertsching waren Mechtild und Wolfgang Opel auf vier Kontinenten unterwegs. © privat

Der Zufall und viele Stunden Recherche im Internet bringen das Autorenpaar sogar mit späteren Miertsching-Generationen zusammen. „Es gibt verteilt auf der ganzen Welt gut 50 Nachfahren“, sagt Wolfgang Opel. Das erste Treffen erfolgt in Kanada noch in einem Café. Beim zweiten Mal lädt sie die Familie ein. In deren Archiv liegt das Tagebuch der Arktis-Reise. Jene Handschrift hat Miertsching selbst mit Hilfe von Briefen und auch der Unterlagen anderer Mitreisender rekonstruiert, denn „das Original liegt in der Investigator auf dem Meeresgrund“, sagt der Autor. Die Such-Mannschaft muss April 1853 ihr festgefahrenes Schiff im Eis aufgeben. Andere Schiffe retten sie.

Oberlausitzer Sorbe war seiner Zeit voraus

In jenen Miertsching-Aufzeichnungen aus der Zeit im Polarmeer findet sich folgender Satz vom 23. April 1853: „Hier stand ich nun auf Melville Insel, und konnte mich bei allem Elend und Noth der schmeichelnden Gedanken nicht enthalten, dass ich hier in dieser Polar-Region der einzige Wende aus Deutschland bin, und der seit 300 Jahren gesuchten und von uns entdeckten Nordwestlichen Durchfahrt theil habe.“ Die Autoren stellen das Zitat an den Anfang ihres Buches aus dem Lukas Verlag. Mit ihrer Publikation wollen sie den Oberlausitzer Sorbe „dem Vergessen entreißen“.

Für Mechtild und Wolfgang Opel ist er Weltbürger, der sechs Sprachen beherrschte und seiner Zeit weit voraus war. „Wir sind überzeugt, nur, weil er Sorbe in einer deutschen Mehrheitsgesellschaft war, konnte er das Verständnis für den Alltag der Indigenen auf seinen Stationen in der Arktis, in Patagonien und zuletzt in Südafrika entwickeln. Miertsching ist mit Neugier und Offenheit auf Menschen zugegangen, er hat gesehen, dass es nicht reicht, gesegnet zu sein, sondern das die Nomaden täglich um ihr Überleben kämpfen“, sagen sie – und freuen sich schon jetzt, ihr Lebensprojekt Interessierten in der Lausitz vorzustellen.

Buchlesung und Gespräch:
28. September, 18 Uhr, Schloss Gröditz (Festsaal), Am Schloss 12 in Weißenberg
29. September, 19 Uhr, Schwesternhäuser (Alte Apotheke) am Zinzendorfplatz 7 in Kleinwelka