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Die dunkle Seite des Glücks - wie ein Familienvater gegen die Spielsucht kämpft

In Deutschland haben 1,3 Millionen Menschen ein Problem mit Spielsucht. Einer davon ist Max aus dem Landkreis Bautzen. Hier erzählt er seine Geschichte.

Von Olivia Daume
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Seit Anfang 2023 kommt der 33-jährige Familienvater Max regelmäßig zu Claudia Messer-Thomalla in die Suchtberatung bei der Arbeiterwohlfahrt in Bautzen. Zehn Jahre lang hat er sich exzessiv dem Glücksspiel hingegeben.
Seit Anfang 2023 kommt der 33-jährige Familienvater Max regelmäßig zu Claudia Messer-Thomalla in die Suchtberatung bei der Arbeiterwohlfahrt in Bautzen. Zehn Jahre lang hat er sich exzessiv dem Glücksspiel hingegeben. © Steffen Unger

Bautzen. Sie zerstört Familien, bedroht Existenzen und treibt Menschen schlichtweg an den Rand der Verzweiflung: die Sucht nach dem Glücksspiel. Zehn Jahre lang ziehen die blinkenden Lichter und das bunte Flimmern der Automaten Max in ihren Bann. „Es ist ein schleichender Prozess, und man selbst kann den Zeitpunkt, ab dem man spielsüchtig ist, gar nicht richtig feststellen“, sagt der 33-jährige Familienvater aus dem Landkreis Bautzen. Er möchte anonym bleiben und wird in diesem Text deshalb Max genannt.

2005 hat er das erste Mal Kontakt mit dem Glücksspiel. Acht Jahre lang spielt er nur gelegentlich, häufig bei Langeweile oder als Ausgleich zum Alltag. 2013 verstärkt sich plötzlich sein Drang zu spielen. Nun zockt er drei- bis viermal am Tag. Er habe eine gut bezahlte und stabile Arbeit als Straßenbauer gehabt und „damit die finanziellen Mittel, um mich dem Glücksspiel exzessiv hinzugeben“, sagt Max, der damals noch Junggeselle ist.

Straßenbauer verspielt zwei Drittel seines Gehalts

Teilweise habe er zwei Drittel seines Lohns verspielt. „Geldprobleme hatte ich jedoch nie.“ Die Möglichkeit, für einen kurzen Augenblick aus dem Alltag auszubrechen, habe ihn am Glücksspiel gereizt. In Spielhallen habe er sich mit Menschen aus dem selben Milieu treffen können, „die das Glücksspiel genauso abgefeiert haben wie ich“, sagt Max.

2016 lernt Max seine spätere Frau kennen. Er versucht, seine Glücksspielsucht so gut und so lange wie möglich vor ihr zu verstecken. „Wenn ich den Druck verspürt habe zu spielen, konnte ich nicht mehr einfach in die Spielhalle gehen, sondern habe mich eine halbe Stunde ins Badezimmer zurückgezogen“, erzählt er. Immer wieder lässt er sich Ausreden einfallen, erfindet neue Geschichten - und verirrt sich so in einem Meer aus Lügen.

Meist kommen Spieler erst nach zehn Jahren zur Beratung

„Spieler haben meist eine lange Spielerkarriere hinter sich, bevor sie sich im Hilfesystem wiederfinden, weil sie die Sucht lange verstecken können“, sagt Claudia Messer-Thomalla, Sozialtherapeutin im Bereich Sucht bei der Arbeiterwohlfahrt (Awo) in Bautzen. Erst, wenn wichtige Beziehungen oder Existenzen auf dem Spiel stehen, würden sie sich bei der Suchtberatung melden. Das sei oft erst nach mehr als zehn Jahren der Fall.

Anfang 2023 hat sich auch Max an die Beratungsstelle in Bautzen gewandt. Ihm sei bewusst geworden, dass er das Netz aus Lügen und Ausreden nicht länger aufrechterhalten kann. „Sollte mein Leben durch die Sucht irgendwann zusammenbrechen, würde es schwer werden, es wieder genauso aufzubauen“, hat er erkannt. „Irgendwann kommt man in diese Phase, in der man merkt, dass einem alles zu viel wird und man es sich eigentlich auch gar nicht mehr leisten kann.“

Fast überall locken Automaten und Spielhallen

Bundesweit sind insgesamt etwa 1,3 Millionen Menschen von einer glücksspielbezogenen Störung betroffen. Das geht aus dem Glücksspielatlas 2023 hervor. Insbesondere Männer, junge Erwachsene im Alter von 21 bis 35 Jahren und Menschen mit Migrationsgeschichte seien gefährdet.

Dass Möglichkeiten zum Glücksspiel quasi überall verfügbar sind, macht es Betroffenen schwer, davon loszukommen. Sozialtherapeutin Messer-Thomalla berichtet von einem Klienten aus Bautzen, der immer wieder Rückfälle erleidet. Es sei fast unmöglich, von A nach B zu gelangen, ohne an einem Automaten oder einer Spielhalle vorbeizugehen.

Aktuell betreut Messer-Thomalla fünf Fälle von Glücksspielsucht, darunter vier Männer und eine Frau, alle unter 50. Normalerweise habe sie im Jahr über 20 Klienten. Der vermeintliche Rückgang sei möglicherweise auf Corona zurückzuführen. „Während Corona waren die Spielhallen lange geschlossen, wodurch Betroffene auf die ein oder andere Art vom Spielen weggekommen sein könnten.“

Heute spielt Max Dart statt zu zocken

Max geht nun schon seit knapp einem Jahr zur Suchtberatung. Aus den Gesprächen mit Claudia Messer-Thomalla komme er immer stärker heraus. „Ich habe es schon so lange geschafft. Warum jetzt aufgeben?“, sagt der 33-Jährige. Einige andere Spieler, die er kennt, seien seinem Beispiel gefolgt und hätten sich für jegliche Glücksspiele sperren lassen. Dafür gibt es ein bundesweites Sperrsystem. Veranstalter und Vermittler von öffentlichen Glücksspielen müssen gewährleisten, dass gesperrte Spieler bei ihnen nicht spielen können.

Max hat jetzt ein neues Hobby, er spielt Dart, was auch ein guter Ausgleich zum Alltag sei. Und obwohl er seine Pfeile in einem Lokal direkt neben einem Spielautomaten wirft, kribbelt es ihm heute nicht mehr in den Fingern. „Das ist eigentlich ein ziemlich gutes Gefühl und macht einen noch mächtiger“, sagt der zweifache Familienvater. „Die Last, die von einem abfällt, gibt einem so viel Lebensqualität zurück. Du musst es nur wollen, das ist der ausschlaggebende Punkt.“