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Sechs neue Wohnungen in vergessener Direktoren-Villa

Ein Bautzener Planer hat in Schlungwitz ein Denkmal nach 30 Jahren aus dem Dornröschenschlaf geholt. Auf dem Areal entstanden außerdem sieben Bauplätze.

Von Miriam Schönbach
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Der Bautzener Bauplaner Mathias Hille hat die ehemalige Direktorenvilla des Sprengstoffwerkes in Schlungwitz aus dem Dornröschenschlaf geholt. Das Gebäude stand seit 1992 leer.
Der Bautzener Bauplaner Mathias Hille hat die ehemalige Direktorenvilla des Sprengstoffwerkes in Schlungwitz aus dem Dornröschenschlaf geholt. Das Gebäude stand seit 1992 leer. © SZ/Uwe Soeder

Schlungwitz. Fast andächtig streicht Mathias Hille über das Türblatt zum Eingang in den Keller. „Das ist ein Nachbau. Das Original war dann leider doch nicht mehr zu retten“, sagt der Bauingenieur und wirft einen kurzen Blick nach unten ins Souterrain. In der alten Villa der Sprengstofffabrik in Schlungwitz riecht es nach frischer, nasser Farbe. In der ersten Etage arbeiten noch die Maler, die Granittreppe hinauf finden sich schon die ersten Namen auf den Klingelschildern. 30 Jahre stand das Haus am Spreebogen leer. Nach der Restaurierung des Denkmals sind die sechs Wohnungen, knapp zehn Minuten von Bautzen entfernt, längst alle vermietet.

Projektplaner Hille strebt die Treppe nach oben, vorbei einem Muster für die noch aufzubringende Schablonen-Malerei im Aufgang. Die Hand fährt dabei über das guterhaltene Holzgeländer. „An dieser Handwerksarbeit kann ich mich begeistern“, sagt er. Im Dornröschenschlaf lag das dreistöckige Haus mit der Jahreszahl 1906 über dem Eingang seit 1992, eingewachsen hinter sieben bis acht Meter hohen immergrünen Lebensbäumen.

„Ursprünglich wurde es als Wohnhaus für die Betriebsleitung erbaut. Pro Etage gab es eine Wohnung mit mehr als 200 Quadratmetern, oben befanden sich die Gesindewohnungen. Die Baugenehmigung von damals haben wir trotz Suche nicht gefunden“, sagt der 64-Jährige.

Villa konserviert wie unter einer Käseglocke

In der DDR fanden im Altbau mehrere Familien ihren Platz, Plumpsklo inklusive. Mit der Wiedervereinigung und einem schärferen Sprengstoffgesetz mussten die Mieter das nur einen Steinwurf von der heutigen Maxam-Zentrale entfernte Gebäude verlassen. „Fortan lag es wie unter einer Käseglocke. Als wir hier Mitte 2020 zum ersten Mal die Tür wieder aufschlossen, gab es noch Parkett, alte Öfen, die originalen Türklinken. Das Dach war heil und wurde immer mal wieder repariert“, freut sich Mathias Hille.

Den guten Zustand der einstigen Direktoren-Villa erklärt er sich auch mit der Verbundenheit der Schlungwitzer mit der 1874 gegründeten „Königlich Sächsischen Pulverfabrik“. Dort hätten oft über Generationen Familien in der Herstellung erst von Geschütz- und Gewehrpulver, später von zivilen und militärischen Sprengmitteln gearbeitet.

Die ursprüngliche Struktur des Hauses lässt sich noch gut erkennen. Als dorfprägendes Gebäude und Zeugnis des beginnenden 20. Jahrhunderts steht es inzwischen auf der Denkmalliste im Landkreis. Statt der einen großen Wohnung pro Etage gibt es jetzt zwei Klingelschilder, mit je einer kleineren und einer größeren Wohneinheit. „Anhand alter Fotos haben wir zum Beispiel die Wintergärten und die alten Fensterladen wieder hergerichtet. Es ist eine Reminiszenz an die Vergangenheit“, sagt der Bauplaner, den sein jüngstes Projekt an zahlreiche Sanierungen aus den frühen 1990er-Jahren in der Bautzener Altstadt erinnerte.

Er öffnet die Tür zu einer noch unbewohnten Einheit, grüßt den Maler in der ersten Etage und geht auf einen neu angebauten Balkon. Ein Ehepaar aus dem mecklenburgischen Ludwigslust will hier Ende Januar einziehen.

Mathias Hille schaut Richtung Spree. Er arbeitete in den vergangenen Jahren immer mal wieder für das Schlungwitzer Sprengstoffwerk, so kam er auch zum Villa-Projekt. „Durch die Umstrukturierung der Produktion wurde hier das Speergebiet aufgehoben“, sagt er und schaut auf das inzwischen leergeräumte Grundstück direkt hinter und neben dem Direktorenhaus. Allein zwei Sattelzüge mit Holz hat er abfahren lassen, alte Garagen weggeräumt, so dass in direkter Nachbarschaft des Mehrstöckers nun noch sieben Grundstücke erschlossen werden konnten. Hille weiß, wie Abriss geht. Er hat unter anderem das Bautzener Hochhaus und den Betrieb Perfecta zurückgebaut.

Schnelles Internet für alle sieben Baugrundstücke

Die roten Ringe pro Bauparzelle weisen auf die Glasfaseranschlüsse und schnelles Internet hin. „Das erste Grundstück ist bereits verkauft, die anderen sind im Vertrieb. Dieses Baugebiet lebt von der Nähe zu Bautzen“, sagt Mathias Hille, der das Projekt bis zur Vermarktung planerisch begleitet.

Auf dem Gelände direkt hinter der Villa sollen Carports, Garagen, eine Ladestation für E-Autos und ein Spielplatz entstehen. In den uralten Buchen, Linden und Eschen wiegen sich Vogelhäuser und Fledermausquartiere. Die Nist- und Wohnhilfen sind der geforderte Ersatz für die gefällten Bäume.

Hilles Hand streift den Strukturputz der Außenwand. „Wir haben acht, neun Muster angefertigt, so dass es der alten Ausführung entspricht“, sagt er ein bisschen stolz. Mit dem Innenausbau habe er im Auftrag des Eigentümers im März 2021 begonnen. Die ersten Mieter sind vor Weihnachten eingezogen. Trotz Corona und Baustoffknappheit gebe es nur einen knappen Monat Bauverzug bei der Sanierung des Hauses.

Dann verabschiedet sich der Bauplaner, nicht ohne nochmal bei den Malern vorbeizugehen. Schließlich wollen die Ludwigsluster pünktlich Ende des Januar Schlungwitzer werden.