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Inhaberin von Handarbeitsladen in Göda geht neue Wege

Schneiderin Veronika Biele ist künftig seltener im Geschäft "Verflixt und zugenäht" am Dorfplatz in Göda zu finden - stattdessen am Theater in Bautzen.

Von Miriam Schönbach
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Veronika Biele in ihrem Paradies: Die Schneiderin verkürzt jetzt die Öffnungszeiten für ihren Laden "Verflixt und zugenäht" in Göda.
Veronika Biele in ihrem Paradies: Die Schneiderin verkürzt jetzt die Öffnungszeiten für ihren Laden "Verflixt und zugenäht" in Göda. © Steffen Unger

Göda. „Verflixt und zugenäht“ ist ein Laden wie ein dreidimensionales Wimmelbild. Im Schaufenster steht ein Kinderwagen aus den 1940/1950er-Jahren. Darin hat es sich ein Püppchen älteren Jahrgangs bequem gemacht. Aus einem Puppenwagen, der auch aus einem anderen Jahrhundert stammt, lugt neugierig ein weißer Teddy mit einer weihnachtlich-roten Wärmeflasche hervor. Allein zehn Puppenwagen unterschiedlicher Generationen stehen unter diesem Dach. Die Augen machen immer wieder neue Entdeckungen, die staunen lassen.

Im Handarbeitsladen in Göda gibt es viel zu entdecken; unter anderem diesen Teddy, der aus einem alten Puppenwagen schaut.
Im Handarbeitsladen in Göda gibt es viel zu entdecken; unter anderem diesen Teddy, der aus einem alten Puppenwagen schaut. © Steffen Unger

Veronika Biele schaut sich um in ihrem kunterbunten Handarbeitsladen der kleinen Überraschungen. Es ist ihr Lebenstraum, den die 57-Jährige hier an Gödas Marktplatz vor fünf Jahren verwirklicht hat. Die gebürtige Zittauerin stürzt sich vor 20 Jahren in das Abenteuer Selbstständigkeit. Noch in der DDR lernt sie beim VEB Dienstleistungsbetrieb den Beruf der Damenmaßschneiderin. „Es ist mein Traumjob. Ich habe schon als Kind Löcher in Stoffe geschnitten und diese Sachen dann meinen Puppen angezogen“, sagt die Wahl-Bloaschützerin. Als ihr Ausbildungsbetrieb mit der Wende in die Brüche geht, heuert sie in einem Zittauer Modehaus als Verkäuferin und Schneiderin an.

Veronika Biele muss schnell an ihren Arbeitstisch, aufgestapelt liegen darauf Stoffe. Eine Kundin braucht roten Baumwollstoff. Freundlich lächelnd schlängelt sich die Händlerin vorbei an einer alten Singer-Schuster-Nähmaschine, zu deren Füßen uralte Bügeleisen liegen, vorbei an dem hohen Ständer mit Reißverschlüssen für jeden Geschmack und angelt nach der roten Baumwolle. Mit einer Holzelle misst sie das Gewünschte ab, den falsch gekauften Reißverschluss einer anderen Kundin tauscht sie auch noch schnell um und beruhigt eine Paketkundin, dass ihre Sendung bestimmt in den kommenden Tagen dabei sei.

Eine alte Nähmaschine, dazu kommt eine historische Brigitte-Modezeitschrift: Veronika Biele liebt Flohmarkt-Gänge und findet dort auch immer etwas.
Eine alte Nähmaschine, dazu kommt eine historische Brigitte-Modezeitschrift: Veronika Biele liebt Flohmarkt-Gänge und findet dort auch immer etwas. © Steffen Unger

„Manchmal steppt hier der Bär, da bin ich Begegnungsstätte statt Laden“, sagt Veronika Biele und holt ein paar alte Kinderschuhe aus dem Schaufenster. Ganz vorsichtig hält sie die kleinen Spangenschuhe auf der Hand. Diese Exemplare sind gut 80 Jahre alt, eine Kundin hat sie im Geschäft „Verflixt und Zugenäht“ vorbeigebracht. Schließlich liebt die Damenschneiderin Krempel und vergessene Sachen, die anderen Leute vielleicht wegschmeißen würden. Ein bisschen fühlt es sich bei ihr an wie bei einem Museumbesuch; die Geschichten zu vielen Exponaten gibt es inklusive.

„Mein Herz geht einfach auf für alte Dinge“, sagt Veronika Biele. Aus einer Ecke fischt sie eine mehr als lebensgroße Puppe hervor, eine ältere Dame hat ihr die Puppensammlung vermacht. An den Schänken hängen alte Holzkleiderbügel vom Bekleidungshaus Hugo Pachaly in Bautzen. Vor dem Schülertor hat es noch in den 1930er-Jahren Herren- und Berufsbekleidung verkauft. Ihr ganz besonderer Schatz sind aber uralte Spitzen. Fast andächtig streicht sie über die historischen Borten. Sich selbst nennt sie Spitzenjule.

Eine Kundin hat der Schneiderin ihre große Puppensammlung überlassen.
Eine Kundin hat der Schneiderin ihre große Puppensammlung überlassen. © Steffen Unger

Auch diese Seltenheiten sind ein Geschenk. „Ich habe sie von einer Olbersdorferin übernommen, die noch Spitzen von ihrer Mutter hatte. Das sind meine Lieblinge, die ich nicht verkaufe“, sagt die Schneiderin und wendet sich nochmals einer Kundin zu. Sie will ihre geänderten Sachen abholen. Hosen und Hemden kürzen, Reißverschlüsse wechseln, zerfallene Jeans reparieren – das ist schon lange das tägliche Brot der Schneiderin geworden. Die letzte Neuanfertigung liegt schon länger zurück, dabei gibt sie so gern zu jeder Naht ganz viel Liebe dazu.

Dabei schwärmt Veronika Biele von gutsitzenden Oberteilen, Hosen und Röcken. „Ich habe schon Hochzeitskleider genäht und vermisse aktuell das Kreative. Ich möchte gern zurück ins Handwerk, und mit Änderungen kann ich mich nicht auf Dauer über Wasser halten“, sagt sie. Deshalb hat sie sich nun nach einem zweiten beruflichen Standbein umgeschaut. Der Arbeitsvertrag mit dem Deutsch-Sorbischen Volkstheater in Bautzen ist noch ganz frisch. 2024 wird die 57-Jährige dort als Ankleiderin beginnen. In dem Beruf betreut sie während der Vorstellung die Schauspieler und ihre Kostüme und sorgt für sekundenschnelles Umziehen.

Historische Bügeleisen in verschiedenen Größen sind ein Blickfang im kleinen Handarbeitsladen.
Historische Bügeleisen in verschiedenen Größen sind ein Blickfang im kleinen Handarbeitsladen. © Steffen Unger

Veronika Biele freut sich auf diese neue faszinierende Welt. Neulich durfte sie schon bei einer Probe einen Blick hinter die Kulissen werfen. Die Schneiderin atmet durch. „Verflixt und zugenäht“, ihr kleiner Dorfladen, war in den vergangenen Jahren ihr Arbeits-, aber irgendwie auch ihr Lebensmittelpunkt. Jeden, der hineinkommt, begrüßt sie mit dem Vornamen, von den meisten kennt sie ein Stück Lebensgeschichte. Für sie ist nun trotzdem Zeit für Veränderungen.

Ihrer Stammkundschaft will die Schneiderin die Treue halten. „Ich möchte nicht ganz loslassen, muss aber schauen, wie sich das mit der Arbeit regeln lässt. Der Laden war mein Lebenstraum, 2024 will ich mein Fünfjähriges feiern“, sagt sie und streicht über ihr Körbchen mit den alten Spitzen. Dann legt sie sich ihr Maßband in Pink um den Hals und macht sich wieder an die Arbeit in ihrem Wimmelbild in 3D. Es liegen auch für diesen Vormittag schon Änderungsarbeiten bereit.