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„Beziehung ist der Schlüssel für Veränderung“

Margret Rasfeld (72) war früher Gymnasiallehrerin und Schulleiterin. Sie hat die Initiative „Schule im Aufbruch“ mit gegründet und den Frei Day konzipiert, ein Freilernkonzept, das in über 400 Schulen in Deutschland umgesetzt wird.

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Margret Rasfeld
Margret Rasfeld © Claudia Euen

Frau Rasfeld, alle reden davon, wie schwer es die Lehrer heute haben, es geht um Überforderung und Erschöpfung. Diese Woche wurde wieder bundesweit gestreikt. Kennen Sie das auch aus Ihrer Schulzeit oder jammern die Lehrkräfte heute auf hohem Niveau?

Die alte Schule, die auf Prüfungen und Noten ausgerichtet ist und in der ein Lehrer oder eine Lehrerin täglich in verschiedene Klassen rennt und Frontalunterricht geben muss, auf den die Schüler nicht mehr reagieren – das ist natürlich auf Dauer nicht auszuhalten. Die Lehrkräfte kriegen ja kaum positive Rückmeldung auf ihre Anstrengung. Die Welt und die jungen Menschen haben sich verändert, und daher muss sich auch Schule verändern. Die Art und Weise, wie wir Lernen organisieren, ist der entscheidende Faktor.

Sie haben die Evangelische Schule Berlin Zentrum geleitet, die heute international als Vorbild für den Ansatz „Transformative Bildung“ gilt. Was genau haben Sie dort anders gemacht?

Das ist eine Gemeinschaftsschule, in der jahrgangsübergreifend gelehrt wird. Die Schülerinnen lernen selbstorganisiert und entlasten so die Lehrkräfte. Die wiederum sind Lernbegleiter und unterstützen die Kinder mit wöchentlichen Tutorgesprächen. Es gibt keine Klassenarbeiten im Gleichschritt mehr, Tests sind der Abschluss eines Lernbausteins, den die Schüler selbstbestimmt festlegen. Angst und Stress der Schüler – und auch der Lehrer – werden enorm reduziert.

Das klingt so leicht, aber die Realität sieht an ganz vielen Schulen in Deutschland trotzdem noch ganz anders aus.

Ja, leider ist das so. Schulen stecken fest in alten Mustern, und der Innovationsdruck ist nicht so groß wie in der Wirtschaft. Ein Schulleiter kann auch nicht einfach sagen kann: „So, jetzt machen wir mal alles anders.“ Veränderungen müssen von unten entwickelt und von oben gestützt werden. In Sachsen wird gerade „Bildungsland 2030“ entwickelt, ein Konzept zur strategischen Weiterentwicklung der schulischen Bildung im Freistaat Sachsen – das hat hohes Potenzial.

Aber aktuell herrscht Lehrermangel, alle sind überlastet. Veränderung aber braucht Kraft.

Der Zeitpunkt war nie besser als jetzt, gerade weil der Erschöpfungszustand des Systems so deutlich wird. Die Lehrkräfte sind erschöpft. Deshalb müssen wir sie mitnehmen, sie haben keinen Bock darauf, dass jetzt schon wieder alles optimiert werden soll. Das ist natürlich erst mal eine Anstrengung, aber am Ende geht es um stressfreieres Arbeiten, um Mitgestaltung und Selbstwirksamkeit. Auch Erwachsene wollen sinnstiftende Dinge tun und nicht stupide Blätter ausfüllen. Im sächsischen Bildungsplan gibt es ja schon super Beschlüsse dazu.

In Leipzig haben Sie mit Schülerinnen und Schülern das Reallabor gegründet. Wie kam es dazu?

Was die Schüler geschrieben haben, ist mir sehr ans Herz gegangen. Die Briefe zeigen den Schmerz der Jugendlichen, den wir ernst nehmen müssen. Viele sind in der Schule entfremdet, und darin liegt ja die Ursache für ganz viele Krisen, die wir haben. Deshalb ist es toll, dass wir jetzt gemeinsam im Reallabor Menschen und Schulen unterstützen können, die in die Veränderung gehen wollen.

Ist Lehrersein wirklich so ein unattraktiver Job, wie er gerade dargestellt wird?

Lehrersein ist eine großartige Aufgabe, junge Menschen in ihrer Persönlichkeitsentwicklung zu begleiten. Lehrer und Lehrerinnen haben einen enormen Einfluss auf Schülerinnen und Schüler, negativ wie positiv. Aber Lernen läuft über Beziehung. Und Beziehung ist der Schlüssel für die Veränderung der Welt. Wenn wir es schaffen, die Begeisterung am Lernen zu erhalten, dann haben wir viel gewonnen.

Interview: Claudia Euen