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Lehrerstreik in Sachsen: Warum Frau Ebert aus Ebersbach heute nicht unterrichtet

An vielen Schulen im Raum Löbau-Zittau fällt wie fast überall in Sachsen heute der Unterricht aus. Auch Petra Ebert, Lehrerin an der Andert-Oberschule in Ebersbach, geht nicht zur Arbeit.

Von Jana Ulbrich
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Petra Ebert ist Lehrerin an der Andert-Oberschule in Ebersbach-Neugersdorf. Am Mittwoch geht sie nicht arbeiten. Sie fährt zum Streik nach Dresden.
Petra Ebert ist Lehrerin an der Andert-Oberschule in Ebersbach-Neugersdorf. Am Mittwoch geht sie nicht arbeiten. Sie fährt zum Streik nach Dresden. © Rafael Sampedro/foto-sampedro.de

Es ist Dienstagvormittag, kurz nach neun: Petra Ebert hätte jetzt eigentlich eine Freistunde. Eine Dreiviertelstunde Zeit, in der sie sich vorgenommen hat, die Aufsätze der Fünftklässler durchzusehen. Aber zum Aufsätze-Bewerten kommt die Lehrerin an diesem Vormittag nicht. Sie kommt nicht mal zum Frühstücken. Sie muss einspringen als Pausenaufsicht und eine Stunde Deutsch übernehmen, weil gerade so viele Kollegen krank sind.

Petra Ebert ist Fachlehrerin für Deutsch und Englisch an der Andert-Oberschule in Ebersbach-Neugersdorf, einer Brennpunktschule im Plattenbaugebiet Ebersbach-Oberland: 27 Lehrkräfte für 360 Schüler in 16 Klassen. Von den 27 Lehrkräften fehlt an diesem Dienstag beinahe die Hälfte. Das sei zwar gerade eine Ausnahmesituation, sagt Petra Ebert, aber auch in Zeiten ohne Grippewelle, bekommt es die Schule nicht hin, den Unterricht für alle Schüler so abzusichern, wie er den Schülern zustehen würde.

Wie an den meisten Schulen der Oberlausitz reicht auch an der Andert-Oberschule das Personal nicht aus, um die Stundentafel vollständig abzudecken. "Inzwischen ist es überall gang und gäbe, die Zahl der Unterrichtsstunden gleich von vornherein zu kürzen", weiß die Lehrerin, "und das inzwischen auch in den Hauptfächern". An ihrer Schule sind aktuell Stunden in Physik, Geografie, WTH (Wirtschaft/Technik/Hauswirtschaft), Sport, Religion, Ethik und Musik gestrichen. Im Schulbehördendeutsch nennt man dieses Stundenkürzen "planmäßigen Ausfall". "Planmäßig - wie sich das anhört", sagt Petra Ebert.

Die Pädagogin ist jetzt 60 Jahre alt. "Ich liebe meinen Beruf immer noch", sagt sie. "Er ist und bleibt mein Traumberuf. Aber so wie jetzt", fügt sie hinzu, "so kann es an den Schulen in dieser Region nicht weitergehen." Weil überall Lehrer fehlen, sollen die, die da sind, es nun retten. "Aber unter diesen Bedingungen ist das nicht machbar", sagt Petra Ebert.

"Gerade wir älteren Kollegen haben in den ganzen Jahren seit der Wende alles mitgemacht", erzählt sie: "Als die Schülerzahlen sanken, haben wir freiwillig alle Teilzeit gearbeitet - für weniger Geld im Portemonnaie. Wir sind in Sachsen nicht verbeamtet worden und verdienen jetzt oft weniger als junge Kollegen im Beamtenstatus. Und wer von uns jetzt in Teilzeit gehen will, der darf das nur, wenn er ein ärztliches Attest vorlegt, das ihm bescheinigt: Er kann nicht mehr."

Lehrkräfte müssen immer mehr Aufgaben übernehmen

Der Personalmangel führe auch dazu, dass die Lehrerinnen und Lehrer an den Schulen immer mehr Aufgaben übernehmen müssen, die sie weder zeitlich noch finanziell abgegolten bekommen, erklärt Petra Ebert. Die Arbeit als Klassenleiter, Gespräche mit Schülern und Eltern, die gerade an einer Oberschule mit vielen sozialen und schulischen Problemen viel Zeit und Kraft kosten, die außerunterrichtliche Arbeit, die Mentoren-Begleitung für Seiteneinsteiger, ohne die das Schulsystem schon längst nicht mehr funktionieren würde.

Nach einer Arbeitszeitstudie der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft aus dem vorigen Schuljahr arbeitet eine Vollzeit-Lehrkraft in Sachsen häufig 48 Stunden pro Woche und mehr. Nur reichlich ein Drittel dieser Zeit macht der Unterricht aus. "Viele von uns arbeiten längst am Limit", weiß Petra Ebert. Der Krankenstand an den Schulen sei auch wegen der vielen Langzeiterkrankten so hoch.

Im vorigen Schuljahr ist an der Andert-Oberschule nahezu jede fünfte Unterrichtsstunde ersatzlos ausgefallen. Darunter auch ein Teil ihrer Deutschstunden, sagt Petra Ebert. Sie war im letzten Schuljahr für ein paar Stunden an die Park-Oberschule nach Zittau abgeordnet, um dort eine große Personallücke stopfen zu helfen. Die Stunden, die sie in Zittau unterrichtet hat, mussten in Ebersbach ausfallen.

An dieser Situation habe sich nichts geändert, sagt Petra Ebert, auch wenn Sachsens Kultusminister von einer langsamen Entspannung der Lage spricht. "An unseren Schulen hier in der Oberlausitz sehe ich keine Entspannung", sagt sie. Auch an ihrer Schule nicht. Hier gehen jetzt zum Halbjahr - also mitten im Schuljahr - zwei Kollegen in den Ruhestand, erzählt Petra Ebert. Ersatz sei bisher nicht in Sicht. Zwei weitere Kollegen scheiden zum Schuljahresende aus dem Dienst aus, die nächste zum 30. September.

"Sachsen kann sich keine Lehrer backen, aber besser bezahlen"

Petra Ebert, die im Schulamtsbereich Bautzen auch im Personalrat sitzt, weiß, wie schwer es wird, diese Stellen neu zu besetzen. Und wegen all dem, sagt sie, wird sie an diesem Mittwoch nicht arbeiten - sondern streiken. Die Lehrergewerkschaften haben für diesen Tag alle Kolleginnen und Kollegen zum landesweiten Warnstreik aufgerufen. Es geht um 10,5 Prozent mehr Lohn.

"Sachsen kann sich keine Lehrer backen, aber wenigstens dafür sorgen, dass sie besser bezahlt werden", sagt Petra Ebert. Das würde allen Schulen helfen - gerade in dieser schwierigen Personalsituation, ist sie überzeugt. "Meinen Schülern sage ich auch immer, dass es wichtig ist, nicht nur zu meckern, sondern etwas zu tun." Mit ihrer Teilnahme am Streik wolle sie nicht nur für mehr Lohn kämpfen, sagt die Lehrerin, sondern auch ein Zeichen dafür setzen, dass der Freistaat dringend mehr für seine Lehrer tun muss.

Die Lehrerin von der Ebersbacher Andert-Oberschule wird längst nicht die einzige sein, die am Mittwoch die Arbeit niederlegt. "Die allermeisten Kollegen, die streiken dürfen, machen mit", sagt sie. Und hofft, dass Eltern für diesen zusätzlichen Unterrichtsausfall auch Verständnis zeigen.