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"Unser Dorf hat Zukunft": Rammenau greift nach Gold

Im Bundeswettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" wetteifert Rammenau mit 21 anderen Orten um den Titel. Jetzt war Endspurt angesagt, denn die Entscheidung fällt bereits am Freitag.

Von Miriam Schönbach
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Während Rammenaus Bürgermeister Andreas Langhammer die Mikrofonanlage schultert, sorgt Kita-Leiterin Anna Sanders (l.) bei der Jury für den Bundeswettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" für Aha-Momente.
Während Rammenaus Bürgermeister Andreas Langhammer die Mikrofonanlage schultert, sorgt Kita-Leiterin Anna Sanders (l.) bei der Jury für den Bundeswettbewerb "Unser Dorf hat Zukunft" für Aha-Momente. © Steffen Unger

Rammenau. Freudige Anspannung liegt in der Luft. Immer wieder gehen die Blicke aus dem Saal des Erbgerichts auf die Straße. „Wir haben so viel vorbereitet“, sagt Elke Kliemand. Ihr Großvater war der letzte aktive Schmied in der Rammenauer Schmiede, sie selbst gehört heute zu denjenigen Aktiven, die so kleine Dörfer wie Rammenau zusammenhalten. Plötzlich geht ein Ruck durch die Wartenden. 16.34 Uhr fährt der Bus mit der Aufschrift „Unser Dorf hat Zukunft“ und „Bundesbewertungskommission“ vor. Wenig später ist die gut 20-köpfige Jury da.

Bürgermeister Andreas Langhammer (parteilos) und Gemeinderat Enrico Teich (Initiative für Rammenau) schalten sofort in den Informationsmodus um. „Herzlich willkommen in Rammenau“, begrüßt der ehrenamtliche Dorfchef seine Gäste. „Es wurde oft gesagt, Corona hat Risse in der Gesellschaft hinterlassen. Mit unserer Teilnahme am Wettbewerb wollen wir zeigen, wie Jung und Alt in kleinen Dörfern große Krisen überstehen können. Wir haben in den vergangenen Jahren gezeigt, dass wir hier zusammenstehen – und auch diesen Tag haben viele Menschen gemeinsam vorbereitet.“

Jury-Vorsitzender: "Wir sehen mehr, als Sie glauben"

Doch die Zeit ist eng begrenzt. Das macht Jury-Vorsitzender Volkhard Warmdt zu Beginn des Rundgangs klar. „Wir haben drei Stunden. Aber ich verrate Ihnen, wir sehen mehr, als Sie glauben“, sagt der ehrenamtliche Bürgermeister aus dem bayrischen Wiesenbronn. Zu seinem Amt auf Zeit ist er per Anruf aus dem Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft gekommen. Es richtet seit 1998 den Wettbewerb aus, um die positive Energie ländlicher Räume und das große Engagement der Menschen auf dem Dorf zu zeigen.

Rammenau wetteifert zusammen mit bundesweit 21 weiteren Dörfern um den Titel „Unser Dorf hat Zukunft“ – in der sächsischen Nachbarschaft hat der Bus der Jury am Morgen in Friedersdorf im Landkreis Görlitz Station gemacht. Die Teilnehmer haben sich alle über den jeweiligen Landeswettbewerb qualifiziert und liebäugeln nun mit Gold und 15.000 Euro, für Silber gibt es 10.000 Euro und für Bronze 5.000 Euro. Sonderpreise sind mit je 3.000 Euro dotiert. Bewertet werden Entwicklungskonzepte, soziales Miteinander, Baugestaltung und der Gesamteindruck des Dorfes.

Rammenau ist die vorletzte Station der Jury

Die Jurymitglieder aber setzen ihre Pokerfaces auf, ihre Kladden verraten nichts. Rammenau ist an diesem Nachmittag ihre 21. Station in den vergangenen drei Wochen, am nächsten Tag wird es nur noch einen Abstecher nach Sachsen-Anhalt geben. Danach geht es zurück nach Berlin. Dort ist für den 30. Juni die Auszeichnungsveranstaltung geplant. Die Rammenauer geben jetzt alles, damit ein guter Eindruck bleibt. Schließlich ist das Vorbereitungsteam drei Monate lang jeden Mittwoch immer wieder die Details durchgegangen.

Für die Kommission geht es vorbei an der Alten Schmiede über die renaturierte Gruna und das Dorfzentrum hin zum Brunnenplatz und hoch zur Kita Spatzennest. Dort wartet schon Leiterin Anna Sanders mit von den Kindern selbstgemachtem Kräutersalz und einem Kurzüberblick über die Arbeit mit 80 Kindern, davon 20 Waldzwerge im Waldkindergarten. Das löst manches Aha bei den Jury-Mitgliedern aus. Krippe für Kinder ab einem Jahr und Ganztagskita gehören längst nicht überall zum Alltag in Westdeutschland. Weiter geht es zum Projekt „Umbau der ehemaligen Schule zur Tagespflege und Senioren-WG“. Gut zwei Millionen Euro sind dafür aus dem Kohle-Fonds beantragt. Wieder heißt es "Aha".

Tischler: Jugend hat wieder Interesse am Handwerk

Mit dem Bus geht es weiter, denn - so sagt es wegen der verstreuten Lage der Ortsteile ein Ramm’sches Sprichwort - „Rammenau ist von der Henne zerscharrt“. Vorbei an extra angelegten Blühstreifen entlang der Felder führt der Weg ins Gewerbegebiet, wo schon ein Teil der 60 Arbeitgeber aus dem Dorf wartet, darunter Tobias König, Tischler in fünfter Generation. 1890 hat sein Ur-Ur-Großvater den Grundstock für den Handwerksbetrieb gelegt. Mehr als 130 Jahre später sagt sein Nachfahre: „Wir beobachten wieder ein Interesse der Jugend am Handwerk. Über Nachwuchs mache ich mir derzeit keine Sorgen.“

Diese frohe Botschaft begleitet die Jury mit dem nächsten "Aha". Wieder im Bus erzählt der Bürgermeister, dass nachts Bewegungssensoren das Licht auf dem neuen Rad- und Gehweg auslösen und der Angelverband mit der Zucht aus den Rammenauer Teichen für Fischneubesatz in ganz Deutschland sorgt. Selbstverständlich dürfen sich auch die Vereine präsentieren – von Dumper-Freunden über Sport bis Karneval. Im Schloss begrüßt die neue Chefin Sabine Peinelt-Schmidt die Gäste. Da sind die drei Stunden schon fast vorbei. Ein Jury-Mitglied verspricht wiederzukommen - mit dem Wohnmobil auf den neuen Stellplatz mit Toilette samt PV-Anlage. Aha.

Der letzte Dank des Jury-Vorsitzenden Volkhard Warmdt geht an die vielen Aktiven: „Sie haben uns Ihr Dorf im Schnelldurchlauf gezeigt. Alle Dörfer, die beim Wettbewerb mitmachen, haben schon gewonnen. Nehmen Sie diesen Schub mit. Wir sehen uns in Berlin“, sagt er, klopft dem Amtskollegen auf die Schulter und steigt fünf Minuten nach der Zeit in den Bus. Hupend fährt die Jury davon. Die Rammenauer aber bleiben im Hof der Alten Schmiede hocken, Bratwurstduft lockt, der Gemischte Chor stimmt ein Lied an. Keiner geht, hier wird Gemeinschafft gelebt.