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Ehrt Görlitz eine Kriegsverbrecherin?

Tzipi Livni soll den Brückepreis erhalten. Die israelische Politikerin ist aber sehr umstritten, die Preisvergabe ebenso.

Von Ines Eifler
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Die isrealische Politikerin Tzipi Livni soll im November den Brückepreis bekommen. Dafür erntet die verleihende Gesellschaft massive Kritik.
Die isrealische Politikerin Tzipi Livni soll im November den Brückepreis bekommen. Dafür erntet die verleihende Gesellschaft massive Kritik. © privat

In der Mitteilung der Brückepreisgesellschaft klang alles freundlich: "freiheitsorientierte Friedenspolitik", "Verständigung und Versöhnung im Nahen Osten", "leuchtendes Vorbild für ihr Land". So begründete die Gesellschaft ihre Entscheidung, in diesem Jahr der früheren israelischen Außenministerin Tzipi Livni den Internationalen Brückepreis zu verleihen. 

Entsetzt über Entscheidung der Brückepreisgesellschaft

Dass es der linksliberalen Politikerin 2005 gelang, eine Mehrheit für die Räumung des Gaza-Streifens zu gewinnen, und die Leitung des israelischen Verhandlungsteams bei den Nahost-Friedensgesprächen 2013 wurden besonders hervorgehoben. Sie ist für geduldige Verhandlungen mit den Palästinensern bekannt und tritt für eine Zwei-Staaten-Lösung ein: als für sie einzige Möglichkeit, Israels Zukunft als jüdischen und demokratischen Staat zu garantieren. 

Nur wenige Stunden, nachdem die Entscheidung der Brückepreisgesellschaft verkündet und gedruckt worden war, meldeten sich "Menschenrechtsorganisationen" und palästinenserfreundliche Medien, die vermutlich der radikalislamischen Hamas nahe stehen, zu Wort – entsetzt über die Entscheidung aus Görlitz. 

Kritik aus Hamas-nahen, antisemitischen Kreisen

"Der Brückepreis darf nicht an Kriegsverbrecher vergeben werden", ist ein offener Brief des Genfer Büros der Menschenrechtsorganisation Euro-Med Monitor an Prof. Willy Xylander überschrieben, den Präsidenten der Brückepreisgesellschaft. "Israelische Kriegsverbrecherin erhält deutschen Friedenspreis", heißt der Titel eines Artikels im palästinensisch-amerikanischen Online-Magazin "Die elektronische Intifada", das einer proisraelischen Berichterstattung in Massenmedien entgegenwirken will und von Kritikern als einseitig und antisemitisch eingeschätzt wird.

Tatsächlich hatten 2009 palästinensische Gruppen Tzipi Livni verklagt, weil israelische Soldaten während der Operation "Gegossenes Blei" im Gazastreifen 2008/09 Kriegsverbrechen verübt haben sollen. Unter anderem war die Schule eines Flüchtlingshilfswerks im Gazastreifen bombardiert worden, wobei etwa 40 Menschen ums Leben kamen. 

Livni war Leutnant und Geheimagentin

Livni rechtfertigte das damals gegenüber dem "Spiegel" in einem Interview, die Schule sei von Terroristen als Unterschlupf benutzt worden. Fragen zu einem Waffenstillstand beantwortete sie damit, dass sie mit der Hamas nicht verhandle: "Wir denken nicht daran, uns zurückzuziehen. Dies ist kein Krieg, der mit einem Friedensabkommen beendet werden kann. Die Hamas erkennt Israel nicht an, sie ist nicht zu einem Ende des Terrors und der Gewalt bereit." 

Ihre strikte Haltung, Krieg von Terror zu trennen, ist nicht ungewöhnlich für eine Frau, die in jungen Jahren als Leutnant in der israelischen Armee gedient und ab 1980 vier Jahre für den Auslandsgeheimdienst Mossad gearbeitet hat. Als sie Familie gründete, distanzierte sie sich zwar "von diesem Leben", aber genügend Härte hat sie behalten. 

Diese Haltung ist es auch, die für die Entscheidung der Brückepreisgesellschaft einen Wert hat: Mit "Willenskraft, Beharrlichkeit, Disziplin und klaren politischen Aussagen nach Innen und Außen" habe sich Livni erfolgreich für Verständigung und Versöhnung im Nahen Osten eingesetzt.

Haftbefehle in London und Brüssel

Dennoch: Auf die Klage radikaler Palästinenser hin erließ ein Londoner Gericht einen Haftbefehl gegen die Politikerin, die Israelische Regierung war darüber entsetzt. Um nicht verhaftet zu werden, sagte Livni einen Besuch in London unter einem Vorwand ab und verteidigte den Einsatz, für den sie sich auch als verantwortlich nannte. Die israelische Bevölkerung müsse geschützt und die "abschreckende Macht Israels" wieder aufgebaut werden. 

2010 reichte eine weitere palästinensische Gruppe in Belgien ebenfalls Klage gegen Politiker und Offiziere Israels ein, unter anderem gegen Tzipi Livni. Weil das Verfahren noch lief und die Staatsanwaltschaft Livni verhören wollte, sagte sie 2017 einen Besuch in Brüssel ab. Und auch ein Schweizer sozialdemokratischer Parlamentarier stellte 2017 die Frage an den Schweizer Nationalrat: "Wann wird endlich ein Verfahren wegen Kriegsverbrechen gegen Tzipi Livni eröffnet?"

Brückepreisgesellschaft in schwierigerer Lage denn je

Doch nicht nur palästinensische Kritik wurde angesichts der Entscheidung der Brückepreisgesellschaft laut, auch von jüdischer Seite wird sie nicht nur positiv aufgenommen. Als die Jüdische Allgemeine die Nachricht veröffentlichte, kommentierte der Verein Honestly Concerned, der sich gegen Antisemitismus sowie für eine "wahrhaftige Berichterstattung über Israel, Juden und jüdische Themen" einsetzt und aus Juden und Nichtjuden in Deutschland besteht: "Während man in Deutschland Livni sofort zur Premierministerin gewählt hätte und sie hier große Beliebtheit genoss, sah das in Israel ganz anders aus ... Weder war sie bei der Bevölkerung beliebt, noch genoss sie politischen Rückhalt. Aber die Görlitzer wissen es ja sicher besser ..."

Die Internationale Brückepreisgesellschaft ist nun in einer schwierigeren Lage als je zuvor. Präsident Willy Xylander äußert sich vorerst nicht öffentlich zur Situation. Kritik an Entscheidungen der Brückepreisgesellschaft hat er aber auch früher schon einstecken müssen. 2012 ehrte die Gesellschaft den Boxer und Freiheitskämpfer Vitali Klitschko für sein Bemühen, in seinem Heimatland Ukraine die Demokratie zu etablieren. Ein Jahr später, als in Kiew der Protest eskalierte, wurde die Lage so unübersichtlich, dass sie sich schwer tat, ihrem Preisträger symbolisch beizustehen.

Schon bei Juncker-Ehrung gab es Kritik

Groß war die Kritik, als 2015 der Preis an Jean-Claude Juncker verliehen werden sollte, den späteren Präsidenten der Europäischen Kommission. Dagegen gab es eine Online-Petition und vehemente Gegenstimmen. Der frühere Kulturamtsleiter Stefan Waldau sagte damals, Junckers Verdienst bestehe nicht darin, die europäische Einigung und Völkerverständigung befördert zu haben, was eigentlich mit dem Brückepreis geehrt werden soll. Sondern Juncker habe als Premierminister Luxemburgs vor allem großen Konzernen Steuervorteile in seinem Land zu Lasten anderer EU-Länder verschafft. Die Brückepreisgesellschaft vergab den Preis trotzdem, genau wie vorher an Marion Gräfin Dönhoff, Kurt Biedenkopf oder den Musiker Giora Feidmann und später den Architekten Daniel Libeskind oder die Nobelpreisträgerin Olga Tokarczuk.

Tzipi Livni wäre die 25. Preisträgerin des Internationalen Brückepreises, der seit 1993 vergeben wird. Sie ist eine Frau, deren Rolle vielleicht nie ganz eindeutig sein wird – angesichts des wirklich schwierigen Konflikts, der im Nahen Osten seit Jahrzehnten schwelt und von außen in all seinen Einzelheiten oft kaum zu verstehen ist. Die Verleihung des Preises ist für den 6. November 2020 im Görlitz Theater geplant.

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