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Forscher: Ausgangssperren sind "absurd"

Bei Treffen in Innenräumen ist die Ansteckungsgefahr laut Experten besonders hoch. Vor allem dort müssten Regeln greifen, fordert ein Aerosol-Experte.

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Draußen ist das Infektionsrisiko geringer als im Innenraum. Trotzdem will die Bundesregierung nächtliche Ausgangsbeschränkungen einführen. Aerosol-Forscher halten das für Unsinn.
Draußen ist das Infektionsrisiko geringer als im Innenraum. Trotzdem will die Bundesregierung nächtliche Ausgangsbeschränkungen einführen. Aerosol-Forscher halten das für Unsinn. © Markus Scholz/dpa

Düsseldorf. Der Aerosol-Forscher Gerhard Scheuch hat davor gewarnt, Menschen mit Ausgangsbeschränkungen in die aus infektiologischer Sicht viel gefährlicheren Innenräume zu treiben.

Die mit der geplanten Bundes-Notbremse verbundenen Ausgehverbote zwischen 21 und 5 Uhr seien aus fachlicher Sicht kontraproduktiv, sagte der Ex-Präsident der internationalen Gesellschaft für Aerosolforschung am Mittwoch im "Morgenecho" von WDR 5.

"Wenn wir Ausgangssperren verhängen, dann suggerieren wir der Bevölkerung: Achtung! Draußen ist es gefährlich. Aber genau das Gegenteil ist der Fall. Wenn die Leute in Innenräumen bleiben, dann ist es gefährlich."

Corona-Infektionen sind "Innenraum-Problem"

Führende Aerolsol-Forscher aus Deutschland hatten deswegen bereits in einem Offenen Brief an die Bundesregierung und die Landesregierungen einen Kurswechsel gefordert. Die Wissenschaftler wehrten sich dagegen, "dass man 'draußen' jetzt plötzlich katastrophisiert", erklärte Scheuch.

Joggen mit Maske, gesperrte Parks oder ein Verbot, abends noch auf einen Spaziergang oder eine Zigarette aus einer möglicherweise beengten Wohnung heraus an die frische Luft zu gehen, seien "absurde Maßnahmen". Stattdessen sollte es den Bürgern ermöglicht werden, raus zu gehen. Corona-Infektionen seien "ein Innenraum-Problem", unterstrich der Aerolsol-Forscher.

Dr. Gerhard Scheuch, Physiker und Aerosolexperte: "Jedes Treffen in Innenräumen ist gefährlich."
Dr. Gerhard Scheuch, Physiker und Aerosolexperte: "Jedes Treffen in Innenräumen ist gefährlich." © WeltN24 GmbH/WELT/obs

Wer unbedingt andere Leute treffen müsse, solle die Zahl stark begrenzen und die Zusammenkünfte kurz halten, empfahl Scheuch. "Jede Stunde länger treffen zusammen in Innenräumen ist ganz, ganz gefährlich." Das sei den meisten immer noch nicht klar.

Unterricht in Schulen sei nur mit einer Kombination aus Schutzmaßnahmen möglich: Lüften, Raumfilter, Masken aufsetzen, kurze Unterrichtszeit und große Räume.

Infektionsrisiko in Innenräumen schwer berechenbar

Forscher der Technischen Universität Berlin hatten im Februar Berechnungen zum Ansteckungsrisiko für verschiedene Innenraum-Szenarien veröffentlicht. Unter den dabei gesetzten Voraussetzungen ist das Risiko beim Friseur, in wenig ausgelasteten Museen, Theatern und Kinos, aber auch in Supermärkten demnach vergleichsweise gering. Deutlich höher sei es in Fitnessstudios und vor allem in Oberschulen und Mehrpersonenbüros, errechnete das Team um Studienleiter Martin Kriegel.

Solche Berechnungen seien unheimlich komplex, hatte Aerosol-Experte Scheuch zu den Daten zu bedenken gegeben. Die Resultate, die das Risiko sehr exakt angeben, erweckten den Eindruck einer Präzision, die es so nicht gebe.

Es gilt als sicher, dass sich das Coronavirus vor allem über Luft verbreitet. Das kann über die Tröpfchen geschehen, die beim Husten und Niesen entstehen und beim Gegenüber über die Schleimhäute aufgenommen werden. Oder über Aerosole, Gemische aus festen oder flüssigen Schwebeteilchen in der Luft, die Sars-CoV-2-Partikel enthalten.

Aerosole sind definiert als Tröpfchenkerne kleiner als fünf Mikrometer und bleiben meist länger in der Luft als größere Tropfen, die rasch zu Boden sinken. Aerosol-Teilchen können Stunden bis Tage in der Luft schweben. Andere Infektionswege - etwa über Oberflächen - spielen eine wesentlich geringere Rolle für das Infektionsgeschehen.(dpa)

Im Sommer hat es das Virus schwerer

In den kommenden warmen Monaten dürften Forschern zufolge draußen zusätzliche saisonale Effekte greifen: So nimmt bei höheren Temperaturen die Stabilität der Virushülle ab. Sonnenstrahlen, insbesondere UV-Strahlung, schädigen die genetische Information des Virus - der Erreger wird inaktiviert.

Hinzu kommt ein im Sommer anders arbeitendes menschliche Abwehrsystem und möglicherweise auch ein Effekt durch die wieder anspringende Bildung von Vitamin D mit Hilfe des Sonnenlichts. Wie stark saisonale Effekte das Infektionsgeschehen zu bremsen vermögen, ist allerdings unklar. (dpa)