SZ + Dresden
Merken

Dresdner Veranstalter eröffnet Friseursalon

Mit Clubs, Konzerten und Gastro verdient Oliver Tschentscher seit vergangenem Jahr kein Geld. Jetzt setzt er auf eine andere gebeutelte Branche - vollster Überzeugung.

Von Nadja Laske
 5 Min.
Teilen
Folgen
NEU!
Klein, fein und im italienischen Design ist der neue Salon Youn in der Neustadt eingerichtet. Inhaber Oliver Tschentscher setzt trotz Corona auf die Branche.
Klein, fein und im italienischen Design ist der neue Salon Youn in der Neustadt eingerichtet. Inhaber Oliver Tschentscher setzt trotz Corona auf die Branche. © Marion Doering

Dresden. Vom Regen in die Traufe? In diesem speziellen Fall könnte man fragen: vom Wasserhahn in den Abfluss? Wenn ein Kulturmanager und Veranstalter in diesen Zeiten ausgerechnet in einem neuen Friseursalon Hoffnung und Perspektive sieht, macht das neugierig.

Vom abwechslungsreichen, vielfältigen Geflecht seiner Geschäfte ist Oliver Tschentscher zuletzt das Management verschiedener Künstler, kleinere Clubs und eine noch kleinere Suppenbar geblieben. Darin sieht er keinen Verlust. Im Gegenteil: Das hat er sich erarbeitet.

Tattoo mit Tiefgang

Als der 44-Jährige mit dem Abitur nach Dresden kam und sich zunächst in Betriebswirtschaftslehre einschrieb, nahm er federnden Schrittes die Stufen der Karriereleiter - als bundesweit gefragter DJ, Clubbetreiber, Konzert- und Partyveranstalter. Von diesem Erfolgskurs und seinem Ende zeugt das einzige Tattoo, das er sich je stechen ließ: Auf seinem rechten Unterarm trägt er das Logo seines bislang größten und florierenden Clubs - Metronom.

"Parallel dazu habe ich fünf Suppenbars zum Teil übernommen, zum Teil neu eröffnet, Bands auf Bühnen gebracht und alles in allem rund 80 Leute beschäftigt", erzählt er. Immense Personalkosten, eine Musikszene, die sich von dem wegbewegte, wofür Tschentscher stand, und ein nervenaufreibender Streit um den Verkauf des Metronoms im Jahr 2012 brachte ihn schließlich wirtschaftlich und mental ins Trudeln.

"Ich habe mich befreit gefühlt"

Acht Wochen nahm er sich Zeit, weit weg in Japan Luft zu holen, neue Bilder zu sehen, Ideen zu entwickeln. "Ich war 35 und hatte eine Art vorgezogene Midlifecrisis." Schaffe ich das alles überhaupt noch? Wozu ist es gut? Diese Fragen stellte er sich, und vor allem die: Was will ich? Auf jeden Fall Familie gründen. Das wünschte er sich.

"Ich habe mich befreit gefühlt, als alles weg war, was ich hatte", erinnert er sich. Von fünf Suppenläden behielt er einen, der gehört ihm bis heute. Ansonsten konnte er auf das bauen, was die Natur ihm als Talent und Begabung mitgegeben, was er in all den Jahren zuvor gelernt und erfahren hatte. Mit dieser Basisausstattung startete Oliver Tschentscher langsam aber beständig neu.

Zu hadern, mal einen Schritt zurückzutreten, das gehört für ihn zum Unternehmertum genau so wie die Bereitschaft zu Risiko und Verantwortung. So ließ er ein Jahr ins Land gehen, bevor er - nun vielleicht weniger leichtfüßig - die Sprossen neu hinaufstieg. Die Verantwortlichen einer Bäckereikette hatten ihn gefragt, ob er fünf neue Filialen in Dresden mit seinem Suppenangebot beliefern könnte. Konnte er.

Mehr als 50 Filialen bundesweit wurden es schließlich, bis ein Großunternehmen im Einzelhandel sämtliche Backshops unter die eigene Federführung nahm und Oliver Tschentscher einmal wieder Grund hatte, umzudenken.

In der Krise zurück zum Ursprung

Auf Friseure kam er damals noch nicht. Er war inzwischen 40 Jahre alt, hatte die Familie, die er sich ersehnte und besann sich auf das, was er immer schon gern getan hatte. Außer Suppen. "Ich habe wieder begonnen, Konzerte zu veranstalten, andere Veranstalter und Bands zu beraten, Künstler zu managen." Ein neuer kleiner Club kam hinzu - und dann Corona.

Seit März 2020 liegt alles brach. Kein Geschäftsfeld, das noch funktionieren würde. Oder doch? "Ich verdiene weder mit Suppe noch mit Musik irgendetwas, aber ich kann Webseiten bauen, Werbestrategien entwickeln und verhelfe Kunden zu Onlineshops." Schließlich war das BWL-Studium von einst nicht die erste Wahl gewesen. Oliver wollte eigentlich Design studieren und jobbte neben der Uni in Werbeagenturen.

Aber warum, um Himmelswillen, nun ein Salon? Der Selfmademan lacht. Nein, er ist in keinem früheren Leben Barbier gewesen. Aber er hat eine langjährige Freundin, die als Friseurin unglücklich mit ihrer Anstellung war und sich ihm anvertraute. Kurzerhand mietete Oliver Tschentscher einen Friseurstuhl in einem größeren Salon an, stellte die Freundin ein und verschaffte ihr auf diese Weise eine neue Arbeitsstelle. Das Risiko der eigenen Selbstständigkeit will sie nicht tragen.

Neue Kollegin für dritten Stuhl gesucht

Wenig später kam eine weitere Friseurin dazu. "Ich bin absolut überzeugt davon, dass die beiden extrem gut in ihrem Job sind und außerdem so viel Freundlichkeit und Begeisterung mitbringen, dass sie nur erfolgreich sein können", sagt Tschentscher.

Inzwischen hat er einen Laden auf der Bautzner Straße 7 gemietet, mit Hilfe seines Vaters innerhalb von zwei Wochen ausgebaut und den neuen Salon "Youn" eingerichtet. Drei eigene Friseurstühle stehen da nun - einer für My, einer für Katja und einer für die neue Kollegin, die Oliver noch finden will. Drei weitere Salonstühle im italienischen Design warten übrigens hinter den Kulissen. Wäre ja sonst auch verwunderlich gewesen.

Nachrichten und Hintergründe zum Coronavirus bekommen Sie von uns auch per E-Mail. Hier können Sie sich für unseren Newsletter zum Coronavirus anmelden.

Abonnieren Sie unseren kostenlosen Newsletter "Dresden kompakt" und erhalten Sie alle Nachrichten aus der Stadt jeden Abend direkt in Ihr Postfach.

Mehr Nachrichten aus Dresden lesen Sie hier.