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Wie Corona ein Heidenauer Paar verändert hat

Anita und Wolfgang haben ihre Erkrankung lange nicht wahrhaben wollen. Heute schauen sie auf eine Impfung mit anderen Augen.

Von Heike Sabel
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Rettungswagen, Corona-Schleuse, Krankenhaus: Drei Stationen, die bei einem Heidenauer Paar zum Umdenken führten. (Symbolbild)
Rettungswagen, Corona-Schleuse, Krankenhaus: Drei Stationen, die bei einem Heidenauer Paar zum Umdenken führten. (Symbolbild) © dpa

Impfen oder nicht impfen? Anita und Wolfgang haben die Frage mit Nein beantwortet. Im April werden sie wieder vor der Frage stehen. Dann sind die sechs Monate nach ihrer Corona-Erkrankung vorbei.

Die beiden Heidenauer Rentner haben das Virus nie geleugnet, hatten auch etwas Angst, aber es überwogen die Gründe, die für sie gegen das Impfen sprachen. Ihr Hauptargument war: Wir sind sportlich, was soll es uns schon antun? Als DDR-Kind fühlte sich Wolfgang durchgeimpft. Anita fühlte, der Osten sollte mal wieder runtergemacht werden. Die Medienberichte, die WhatsApp-Statusmitteilungen anderer und das Hü und Hott der Politik taten ihr Übriges. "Wir waren keine Verweigerer oder Gegner, fühlten uns unsicher und irgendwie auch verarscht", sagt Wolfgang.

Niemanden gekannt, der krank wurde

Sie ordneten sich den Regeln unter und spürten die zunehmende Aggressivität bis in die Familie. Es brauchte immer und überall nicht viel und nicht lange, da hatten sich alle an dem einen Thema hochgeschaukelt. Anita und Wolfgang sind nie auf Krawall aus, dazu sind sie viel zu harmoniebedürftig. Sie wollten sich nicht spalten lassen und andere nicht spalten, wollten akzeptieren, was ist - spürten aber auch ihren Unmut. Und da war dieser Zwiespalt zwischen dem, was sie überall hörten und ihrer eigenen Welt. In der kannten sie niemanden, der erkrankt war.

"Vielleicht wollten wir es damals auch einfach nicht wahrhaben", sagt Anita heute. Doch so weit dachten sie damals noch nicht. Stattdessen häuften sich die Geschichten, mit denen sich die Angst verbreitete. Der ehemalige Kollege, der Herzbeschwerden hatte und nach der Impfung starb. Wenn solche Geschichten weitererzählt werden, ist der Zusammenhang klar, auch wenn nicht erwiesen. Am Ende wuchs genau diese Angst. So lebten Anita und Wolfgang anderthalb Jahre mit dem Virus und gleichzeitig schien es weit weg.

Ohnmacht und Halluzination

Als sie sich im Oktober erkältet zu haben schienen, verschwendeten sie keinen Gedanken an das Virus. Schlapp, kein Appetit, das wird eine Grippe sein, sagten sie sich. Anita richtete sich auf eine Woche ein. Die überstehen wir, dann kommen wir wieder auf die Beine. Eine Woche kämpften sie. Statt auf die Beine zu kommen, wurde Anita an einem Sonntag im Bad kurz ohnmächtig. Die Appetitlosigkeit hatte dazu geführt, dass beide kaum gegessen hatten. Husten und Schnupfen wie bei einer Grippe waren nebensächlich, umso schlapper und nervlich angekratzter waren sie. Anitas Ohnmacht gab für Wolfgang den Ausschlag. "Jetzt rufe ich Hilfe", sagte er, selbst am Ende mit seiner Kraft. Der zähe Hund, der er sei, hatte ihn verlassen. "Ich konnte nachts nicht schlafen, sah weiße Blitze, halluzinierte." Durchhalteparolen wie "wir lassen uns nicht gehen" und "das ist halb so schlimm" hatten ihre Kraft verloren.

"Sie haben Corona"

Am Montagfrüh rief Wolfgang den Rettungsdienst an. "Wir brauchen Hilfe, wir müssen eine schlimme Grippe haben." Noch immer war es die Grippe, die sie dahin gestreckt hat. Die Hilfe kam relativ schnell. Anita und Wolfgang hatten für den Notfall noch rasch ihre Taschen gepackt. Die könnten sie zu Hause lassen, sagten die Rettungssanitäter. "Wir nahmen sie doch mit und das war gut", sagt Anita.

"Wir brauchen Hilfe." Mit diesem Anruf begann, was Anita und Wolfgang nicht für möglich gehalten hatten.
"Wir brauchen Hilfe." Mit diesem Anruf begann, was Anita und Wolfgang nicht für möglich gehalten hatten. © Symbolfoto: Britta Pedersen/dpa

Notaufnahme, Corona-Schleuse im Klinikum Pirna, Blutabnahme, Abstrich und dann: "Sie haben Corona." Da war Wolfgang schon alles egal. Er dachte nur noch: "Hauptsache, ich bin in guten Händen." Beide mussten im Krankenhaus bleiben. Anitas Lunge war entzündet, Wolfgangs Fieber stieg auf 40, er hing drei Tage am Tropf und wurde auf den Bauch gelegt. Das wird mit den Corona-Patienten gemacht, damit sie besser atmen können. "Mein Glück war, dass wir in einem Zimmer waren", sagt er. Anita drückte oft die Notfallklingel für ihn. Nach fünf Tagen im Krankenhaus wurde Anita am Sonnabend, Wolfgang am Sonntag entlassen.

"Verdammt gefährlich"

Vorbei war es damit noch lange nicht. Nach der "super Behandlung" im Krankenhaus folgte später noch eine behördliche Odyssee. Weil die Erkrankung nicht über einen PCR-Test nachgewiesen worden war, wurde den beiden Heidenauern der Genesenen-Nachweis versagt. "Ich habe drei Tage herumtelefoniert und schließlich bekamen wir den Nachweis gleich doppelt."

Der Genesenen-Nachweis

  • Den Nachweis gibt es nicht automatisch. Er muss per E-Mail beim Gesundheitsamt ([email protected]) beantragt werden. Alternativ kann man mit seinem Laborbefund oder dem Absonderungsschreiben und einem Ausweisdokument auch einen Genesenen-Nachweis in der Apotheke anfordern. Ein Schnelltest, Antikörpertest oder andere Nachweise reichen, laut Vorgabe des Bundes und des Robert-Koch-Institutes, nicht aus.
  • Die Bearbeitungsdauer ist abhängig von der Stelle, an die man sich wendet, sagt das Landratsamt. Die Ausstellung bei ihm kann aufgrund der aktuell hohen Fallzahlen länger dauern. Deshalb verweist die Behörde auf die Apotheken und Hausärzte.
  • Ein Genesenen-Nachweis kann nach Beendigung der Quarantäne beantragt werden und gilt ab dem 28. Tag nach dem positiven PCR-Test.
  • Der Nachweis gilt ab dem 28. Tag bis maximal sechs Monate nach dem positiven PCR-Nachweis. Diese 28 Tage sind aber in den sechs Monaten schon enthalten. Danach gilt man ohne Impfung als nicht geimpft und nicht genesen.
Eine Woche lagen Anita und Wolfgang im Pirnaer Krankenhaus und kämpften mit dem "verdammt gefährlichen" Virus.
Eine Woche lagen Anita und Wolfgang im Pirnaer Krankenhaus und kämpften mit dem "verdammt gefährlichen" Virus. © Symbolfoto: Fabian Strauch/dpa

Heute, reichlich zwei Monate nach ihrer Entlassung aus dem Krankenhaus, fühlen sich die beiden zu 80 bis 90 Prozent wieder gesund. "Wir dürfen auch nicht vergessen, dass wir älter werden", sagt Wolfgang. Er ist 72, Anita 70. "Und es hat sich noch mehr geändert", sagt Anita, "wir wissen, dass das Virus gefährlich ist und wir Glück hatten." - "Verdammt gefährlich", ergänzt Wolfgang. Heute finden Anita und Wolfgang immer noch Gründe gegen das Impfen. Doch die dafür sind aber mehr und stärker geworden.

Das Zusammensein mit anderen ist ihnen wichtig. "Wir wollen unseren Lebensabend nicht zwischen Fernseher und Kaufhalle verbringen", sagt Wolfgang. "Aber um nach Ägypten fliegen zu können, wäre kein Grund zum Impfen." Ein Grund für das Impfen wiegt viele dagegen auf, sagt Anita. "Wenn man es selbst erlebt hat, sieht die Welt danach anders aus."

Das Impfen vor und mit Corona

Vor Corona sind beide gern und viel gereist. Zum Beispiel nach Sri Lanka. Im Vorfeld ließen sie sich mehrfach impfen. Keiner habe nach Vorerkrankungen gefragt, sie selbst nicht nach Risiken oder Nebenwirkungen. "Stattdessen sind wir nach Dresden gefahren und haben auch noch das Meiste selbst bezahlt. Wir haben nicht gedacht, dass wir morgen deshalb sterben, wir wollten einfach nur abgesichert sein und reisen", sagen sie. Nach einer Pause fügt Anita hinzu: "Wie der Mensch so ist..."