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"Kultur ist kein Begriff, das sind Menschen"

Eine Dresdner Initiative macht mit einer Aktion und konkreten Schicksalen auf die Misere in der Branche aufmerksam.

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Die Aktion Kulturgesichter zeigt, dass hinter der im Lockdown abgeschalteten Kultur echte Menschen stecken.
Die Aktion Kulturgesichter zeigt, dass hinter der im Lockdown abgeschalteten Kultur echte Menschen stecken. © PR

Mittlerweile sind sie in Dresden an verschiedenen und meist repräsentativen Stellen zu sehen: Menschen, die in ganz unterschiedlicher Weise ihr Geld mit Musik, Literatur, Kunst oder Performance verdienen, stehen stellvertretend für den schleichenden Zusammenbruch einer gesamten Branche. Als „Dresdner Kulturgesichter“ geben sie mit ihren Porträtfotos den reinen Fakten eine zutiefst menschliche Dimension. Uwe Stuhrberg, DJ, Veranstalter sowie Chef des Dresdner Stadtmagazins SAX, gehört zu den Initiatoren der Aktion und erklärt im Interview, wie alles begann, wohin es führen soll und wie es derzeit um die hiesige Szene steht.

Was war der Auslöser für die Aktion?

Die Aktion Kulturgesichter gibt es als regionale Flankierung der Kampagne „Ohne uns wird ’s still“ schon eine Weile in einigen anderen Städten. Auch Chemnitz und Leipzig waren schon aktiv. Ende November gab es dann erste Gespräche für Dresden.

Wer gehörte zur Keimzelle?
Wichtig war am Anfang die Leipzig–Dresden-Connection aus Jens Strohschnieder und Thomas Hellmich, die man beide von der Reggae-Band Yellow Umbrella kennt, die wiederum andere Menschen ins Boot holten und auch eine Facebook-Gruppe ins Leben riefen. Ebenso war Martin Vejmelka mit der Crew seiner Konzertagentur Landstreicher in der Gründungsphase dabei. Organisatorisch spielte gerade am Anfang auch Pierre „Raute“ Tannert eine wesentliche Rolle wie zudem weitere Mitglieder vom Klubnetz Dresden.

Kreativ in der Corona-Zwangspause: Uwe Stuhrberg gehört zu den Initiatoren der Aktion „Dresdner Kulturgesichter“ und ist selbst dabei präsent.
Kreativ in der Corona-Zwangspause: Uwe Stuhrberg gehört zu den Initiatoren der Aktion „Dresdner Kulturgesichter“ und ist selbst dabei präsent. © PR

Was genau ist das Ziel des Ganzen?
Wir wollten ganz absichtlich keine konkreten Forderungen stellen, denn diese liegen ja seit Monaten auf dem Tisch der Politik. Uns geht es eher darum, dem Begriff der viel diskutierten Kultur einen ganz realen Ausdruck zu geben – und das sind die Menschen. Wir wollen zeigen, dass Kultur kein abstrakter Begriff ist, sondern ein Allgemeingut, das von real existierenden Frauen und Männern zum Leben erweckt wird. Aus diesem Grund werden auf den Motiven auch nur Vornamen oder Künstlernamen genannt, keine Institutionen oder Arbeitsplätze. So gehen jeden Tag zwischen drei und neun Fotos raus auf unserer Webseite sowie unseren Kanälen auf Facebook und Instagram.

Wie schnell kam diese Aktion dann in die Gänge?
Das ging ganz fix. Erste Ideen im November, dann war der neuerliche Lockdown ein kurzer Wellenbrecher. Zwischen Weihnachten und Neujahr gab es dann heiße Telefondrähte, die schnell zu einem kleinen, aber tüchtigen Team führten aus Orga, Foto, Grafik und Web. Bereits im Januar gab es drei Shootings, ein weiteres schließlich Mitte Februar.

Mussten Sie die Leute abklappern oder kamen die förmlich gerannt und wollten von sich aus mitmachen?
Über die von Jens Strohschnieder eingerichtete Facebook-Gruppe konnte man sich anmelden, da war das Echo gigantisch. Wir haben dann natürlich gegengecheckt, dass es sich auch wirklich um Kulturschaffende handelt. Weitere Kulturgesichter haben wir zudem eingeladen. Bis jetzt melden sich weiterhin Interessierte, aber bei knapp 400 Porträts machen wir erst einmal Pause.

Auch die Musikerin C. C. Estrés ist bei den Kulturgesichtern dabei.
Auch die Musikerin C. C. Estrés ist bei den Kulturgesichtern dabei. © PR

Gab es auch Absagen von Kulturleuten, die bereits resigniert haben?
Nur sehr wenige haben abgesagt – da waren aber eher Zeitgründe ausschlaggebend oder Quarantäne oder die „Ich will mein Gesicht nicht schon wieder sehen“-Haltung. Resignation spielte keine Rolle.

Blieben überraschende, verwirrende, empörende Reaktionen auf das Projekt völlig aus?
Überwiegend spüren wir Begeisterung, gerade weil wir die Menschen in den Mittelpunkt stellen. Einige meinten, es hätte mehr gelächelt werden können, da die Gesichtsausdrücke ja überwiegend ernst sind. Aber für die Betroffenen ist die Zeit des Lächelns eben auch vorbei, wenn die pure Existenz auf dem Spiel steht, für viele das Lebenswerk. Wirklich ablehnend war nur ein einziger Instagram-User.

Was war dessen Problem?
Er meinte, wir würden nur klagen und nicht wie die Handwerker und Polizisten auf die Straße gehen. Der wusste nichts von den Alarmstufe-Rot-Demos, genauso wenig, dass es weder Demos von Handwerkern noch Polizisten gab.

Wann war klar, was genau die Kulturgesichter werden sollen?
Die grobe Ausrichtung stand ja durch die vielen anderen Städte – also Schwarz-Weiß-Foto, Vorname und Arbeitsjahre in der Branche. Daran haben auch wir uns orientiert. Schnell war in der Diskussion aber auch klar, dass wir mit Porträts und der Nachbearbeitung high end arbeiten wollen. Also musste zwar schnell, aber auch wahnsinnig gut gearbeitet werden.

Die Fotos sehen nach viel Aufwand aus. Wie wurde das gestemmt?
Für die Shootings haben sich an den Kameras Daniel Scholz und Christin Nitzsche aufwendig vorbereitet. Zudem wurden bei den Fototerminen auch die Hygieneregeln eingehalten, wofür noch einmal Personal notwendig war. Dann kommt die Grafikcrew, die nächtelang mit der Bearbeitung durchgeschrubbt hat. Das alles natürlich ehrenamtlich, die Fotografen bekommen immerhin rückwirkend 50 Prozent der Erlöse vom Fotoverkauf der Bilder.

Konzertveranstalter Rodney Aust ist ebenfalls eines der Dresdner Kulturgesichter.
Konzertveranstalter Rodney Aust ist ebenfalls eines der Dresdner Kulturgesichter. © PR

Wer unterstützt das Projekt?
Da einige Dinge wie Druckerzeugnisse oder Plakatstellen bezahlt werden müssen, geht es nicht ganz ohne Geld. Da gab es eine erste Unterstützung durch die Kulturgesichter selbst, die fast 1.000 Euro bei den Shootings in eine Spendenbox geworfen haben. Dazu läuft auf Startnext eine Crowdfunding-Kampagne. Es gibt aber auch viel Unterstützung in Sachleistungen, die ebenso wichtig ist: So stellt die Firma Landstreicher Konzerte ihre Infrastruktur zur Verfügung, ohne die es nicht gehen würde, der Alte Schlachthof wurde uns kostenlos für die Shootings zur Verfügung gestellt, schech.net hat eine Webseite gebaut, es gibt Unterstützung beim Druck und den Klebeflächen und im Werbebereich helfen die Sächsische Zeitung, Mambo Plak, WallDecaux und SAX.

Gibt es bereits Reaktionen von offizieller Seite oder politische Unterstützung?
Die Kampagne wurde durchaus wahrgenommen und es gibt Überlegungen, das zu unterstützen. Aber das braucht vielleicht noch ein paar Tage Zeit.

Was passiert nächsten Freitag am Landtag in Dresden?
Geplant ist, dass sich die Kulturgesichter der drei sächsischen Großstädte vereinen und mit den fotografierten Bildern, aber auch den betroffenen realen Menschen eine Szenerie kreieren, die aufmerksam machen soll. Eine Demo oder Kundgebung im herkömmlichen Sinn geht natürlich nicht wegen der Hygiene-Bestimmungen.

Wie geht es danach weiter?

Wenn ich ganz ehrlich bin, kann ich dazu noch nicht allzu viel sagen. Seit Ende Dezember rasen wir alle derart mit der Kampagne durch Zeit und Raum, dass wir vorerst nur den Jahrestag des ersten Lockdowns im Blick haben. Aber es wird weitergehen, so viel ist sicher.

Ist die hiesige Szene in ihrer einstigen Vielfalt überhaupt noch zu retten?
Die einstige Szene wird es so nicht mehr geben, sie wird sich verändern. Vielleicht entsteht eine neue Vielfalt – auch aus den Erfahrungen des letzten Jahres heraus.

Das Interview führte Andy Dallmann.

Am 19. März findet um fünf vor zwölf - also 11.55 Uhr - eine Aktion mit den Beteiligten am Sächsischen Landtag in Dresden statt.