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Studenten nach Demo: "Wir sind in die Falle getappt"

Sie hatten in Dresden gegen Querdenker protestiert und wurden dafür angezeigt. Aus der Politik kommt Lob für die Studenten und Kritik an der Polizei.

Von Tobias Wolf & Christoph Springer
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Medizinstudenten hatten sich am Donnerstag schützend vor die Uniklinik Dresden gestellt, weil Rechtsextremisten und "Querdenker" dort zu einer Demonstration aufgerufen hatten.
Medizinstudenten hatten sich am Donnerstag schützend vor die Uniklinik Dresden gestellt, weil Rechtsextremisten und "Querdenker" dort zu einer Demonstration aufgerufen hatten. © Schneider

Dresden. Autos stoppen, Straßenbahnen und Busse stauen sich, Menschengruppen blockieren die Fahrbahn. Am Uniklinikum treffen am Donnerstagabend sogenannte „Spaziergänger“ aufeinander sowie acht Hundertschaften Polizei. Potenzielle Teilnehmer drängen zu Hunderten zum verabredeten Treffpunkt.

Ein großer Aufmarsch von Gegnern der Corona-Maßnahmen soll dort starten. Die Beamten müssen das verhindern. Die Regeln erlauben zu dem Zeitpunkt nur stationäre Kundgebungen mit maximal zehn Teilnehmern. Dennoch treffen sich rund 1.500 Menschen zum „Spaziergang“. Unter anderem hatte die rechtsextreme Partei „Freie Sachsen“ dazu aufgerufen.

Am Rand stehen noch einmal mehrere Hundert, die gegen die "Spaziergänger" demonstrieren. Darüber ein Polizeihubschrauber und dazwischen Dresdner, die an diesem Abend einfach nur nach Hause wollen.

Der Polizei gelingt es am Ende nicht nur, den Demonstrationszug zu verhindern. Auch im Zentrum und den Nachbarstadtteilen geht sie weitgehend konsequent gegen illegale Demonstrationsversuche in zu großen Gruppen vor. Doch ihr Einsatz hat ein Nachspiel.

Nun hagelt es Kritik am Vorgehen der Polizei – vor allem gegenüber jenen, die Politiker-Aufrufen gefolgt waren, Zivilcourage gegen illegale Demos zu zeigen.

„Wir hatten am Anfang eine sehr stationäre Situation“, beschreibt Dresdens Polizeipräsident Jörg Kubiessa den Abend. „Spaziergänger“ seien am angekündigten Ort, der Kreuzung Blasewitzer-/Fetscherstraße, auf das Großaufgebot der Polizei getroffen.

Zusätzlich demonstrieren am Klinikum Medizinstudenten gegen den Aufmarsch von Corona-Leugnern und Impfgegnern. Der Polizei zufolge geschätzt 500 Menschen. In der Zentrale an der Schießgasse gibt Einsatzleiter Hendrik Schlicke die Anweisung: Die Beamten vor Ort sollten versuchen, die Teilnehmer der illegalen Versammlung „wegzubekommen“. Zunächst per Lautsprecherdurchsage. Das gelingt nicht, es „war sehr, sehr schwierig, es gab kaum Reaktionen“, sagt Schlicke am Tag danach.

Studenten widersprechen Darstellung der Polizei

Deshalb bilden Beamte aus Berlin und Thüringen eine "robuste Polizeikette", um "einfache körperliche Gewalt" anzuwenden. Potenzielle „Spaziergänger“ sollen weggedrängt werden, Polizisten schieben sie auf der Blasewitzer Straße langsam stadtauswärts.Dabei reichte die Polizeikette über die gesamte Straßenbreite und die Bürgersteige. Auf den Gehwegen stehen Medizinstudenten. Sie tragen Masken, fast alle FFP2-Modelle, und protestieren mit Plakaten gegen die mutmaßlich illegalen Demonstranten.

Beim Abdrängen der „Spaziergänger“ hätten sich alle Personen entfernt, teilt die Polizei später mit. Bis auf 22 junge Frauen und Männer des Gegenprotests, die festgesetzt und deren Personalien überprüft wurden. Die Beamten hätten das dann auch „bewusst zu Ende gebracht“, sagt Einsatzleiter Schlicke, denn aus ihrer Sicht hätten auch diese Studenten gegen die Corona-Schutz-Verordnung verstoßen, die nur ortsfeste Demonstrationen mit maximal zehn Teilnehmern zuließ.

Von Festgesetzten kommt Widerspruch zur Darstellung der Polizei. Die SZ hat mit Betroffenen gesprochen, die übereinstimmend aussagen, dass sie von Polizisten dazu aufgefordert worden seien, zu der Stelle zu gehen, an der sie später in einer wohl auch dadurch vergrößerten Gruppe ihre Personalien wegen Verstoßes gegen Corona-Regeln abgeben mussten.

„Wir waren zu fünft, später nur noch zu zweit und standen auf dem Gehweg“, sagt die Medizinstudentin Maria Müller*. „Wir haben Masken getragen und Abstand gehalten.“ Ein Beamter habe sie angesprochen. „Wir sollten uns dazu stellen, unsere Personalien würden jetzt aufgenommen.“

Leni Schmidt* beschreibt, wie sie mit vier Begleitern, alle mit FFP2-Maske und dreifach geimpft, am Bürgersteig stand, als „Spaziergänger“ kamen und die Studenten angepöbelt hätten. Es sei hektisch geworden.

"Wir dachten, das sei zu unserem Schutz."

„Erst haben uns Polizisten gesagt, wir sollen weggehen, dann wurden wir in diese Kette reingeleitet vor den Eingang eines Hauses, an drei Seiten umgeben von Wänden und davor standen mindestens 15 Polizistinnen und Polizisten.“

Alles sei ruhig gewesen, man habe ja keine Konfrontation mit der Polizei gesucht. „Ich dachte, die holen uns an den Rand, um uns vor den Querdenkern in Sicherheit zu bringen.“

Polizeisprecher Thomas Geithner widerspricht dem Vorwurf, Beamte hätten die größere und damit regelwidrige Gruppe erst herbeigeführt, indem sie die Studenten gezielt in den Kessel trieben. Diese hätten sich im Bereich der „Spaziergänger“ befunden, seien nicht weggegangen und deshalb am Ende erfasst worden.

Matthias Meier* war mit zwei Freunden Richtung Fetscherstraße unterwegs, wo über 100 Studenten protestierten, ohne das die Polizei dagegen einschritt. „Polizisten haben uns gefragt, ob wir uns nicht in der einen Ecke versammeln könnten, wir dachten, das sei zu unserem Schutz. Wir hatten vorher das Gepöbel gehört.“

Sie seien den Anweisungen gefolgt und hätten schnell gemerkt, das es nicht um Schutz ging, als ihre Personalausweise eingesammelt wurden. „Die Polizisten haben direkt unser Vertrauen gewonnen, als sie uns so freundlich gebeten haben und wir sind in die Falle getappt.“ Es sei abstrus, so Meier, „wenn man für das System einsteht und dann von der ausführenden Gewalt in Gestalt der Polizei ein Bußgeld bekommt.“