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Ex-Karat-Bassist Henning Protzmann: "Ich war völlig kaputt"

Henning Protzmann war Gründer, Manager und Bassist von Karat, schmiss aber 1986 hin. Mit der Neuauflage seiner Band Panta Rhei spielt er jetzt erstmals in Dresden.

Von Andy Dallmann
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Bernd Römer, Herbert Dreilich und Henning Protzmann (v. l.) Mitte der 80er-Jahre bei einem Auftritt mit Karat. Die Band war nicht nur eine der erfolgreichsten der DDR, sondern damals auch im Westen enorm populär.
Bernd Römer, Herbert Dreilich und Henning Protzmann (v. l.) Mitte der 80er-Jahre bei einem Auftritt mit Karat. Die Band war nicht nur eine der erfolgreichsten der DDR, sondern damals auch im Westen enorm populär. © imago

Mit einem Konzert in Halle feierte Henning Protzmann, 1946 in Radebeul geboren, im April sein 60. Bühnenjubiläum. Protzmann studierte in Dresden Kontrabass, spielte unter anderem in der Band von Klaus Lenz, gründete dann 1971 die Jazzrock-Combo Panta Rhei und 1974 Karat. Mit Hits wie „Über sieben Brücken“, „Schwanenkönig“ oder „Der blaue Planet“ wurde die Band in Ost wie West erfolgreich. 1986 stieg Protzmann aus, tourte später mit Lift und reaktivierte 2015 Panta Rhei. Mit dieser Band spielt er jetzt erstmals in Dresden.

Herr Protzmann, Sie waren jahrzehntelang im Rockgeschäft, spielen jetzt aber eher Jazz. Wie kommt das?

Unsere Professoren kamen vom Jazz, und wir haben sie sehr verehrt. Ich bin mit den Dresdner Tanzsinfonikern aufgewachsen. Das hat mich geprägt. Und deshalb nenne ich mich selbst auch Swing-Musiker. Egal, ob ich in einer Rockband spiele.

Vom Herzen her oder mit Blick auf die Ausbildung?

Beides passt. Ich habe einst mit Swing angefangen. Mit 17 im Evergreen Swingtett. Und ich lege noch heute sehr viel Wert auf meine Ausbildung. Es war eine wunderschöne Zeit, und ich möchte dem widersprechen, was man jetzt so über unsere Vergangenheit in der DDR verbreitet. Ich hatte eine schöne Kindheit und Jugend, da ist diese Ausbildung eingeschlossen. Ich habe zunächst drei Jahre lang klassischen Kontrabass studiert, musste üben wie der Teufel. Doch selbst darüber kann ich gar nichts Schlechtes sagen.

Wieso ausgerechnet Kontrabass?

Ab der neunten Klasse ging ich auf die Musikspezialschule, spielte ziemlich gut Klavier und Cello. Eines Tages erklärte der Direktor der Hochschule: Wir suchen einen Kontrabassisten. Weil es noch zwei andere Cellisten gab, die sehr gut waren, dachte ich, na gut, spiele ich eben Kontrabass. Da bin ich wenigstens der Einzige.

Im April feierte Henning Protzmann 60-jähriges Bühnenjubiläum in Halle, jetzt kommt er zum ersten Mal seit Jahren für ein Konzert nach Dresden.
Im April feierte Henning Protzmann 60-jähriges Bühnenjubiläum in Halle, jetzt kommt er zum ersten Mal seit Jahren für ein Konzert nach Dresden. © Andy Dallmann

Und wie lief es?

Es war anstrengend, vor allem körperlich. Ich dachte zunächst, ich kriege das Instrument gar nicht zu fassen. Damals war ich einen Kopf kleiner, wog höchstens 50 Kilo und war physisch nicht so fit. Von wegen: Geige spielen ist schwer. Kontrabass ist mindestens genauso schwer, weil die physische Belastung dazukommt. Und die Töne liegen zehnmal so weit entfernt wie auf der Geige. Ich war dann doch sehr froh, dass ich Jazzbassist werden konnte.

Wie kam es dazu?

Letztlich durch Günter Baby Sommer. Wir waren ja beide Radebeuler und kannten uns. Als ich 14 war und Baby knapp 18, zog er mit einem Smaragd-Tonbandgerät durch die DDR zu Leuten wie Ernst-Ludwig Petrowsky und hat bei ihnen Musik überspielt. Wir lebten hier schließlich im Tal der Ahnungslosen. Einmal kam er an und spielte mir „What’d I Say“ von Ray Charles vor und erklärte: Das musst du spielen! Tatsächlich ging bei mir in diesem Moment ein grünes Licht an. Als Student habe ich sofort die Fachrichtung gewechselt, als die neue Jazz-Klasse eröffnet wurde.

Haben Sie als Bassist darunter gelitten, auf der Bühne vielleicht weniger angehimmelt zu werden als die Kollegen?

Na ja, angehimmelt haben sie mich schon auch. Manchmal. Nee, ernsthaft, ich liebe dieses Instrument und hatte nie Komplexe, im Schatten anderer zu stehen. In der Branche sagt man: Bass übt man nicht, Bass kauft man. Doch da trennt sich die Spreu vom Weizen, denn ohne einen guten Bassisten klingt keine Band gut.

Karat in den 80er-Jahren bei einem TV-Auftritt.
Karat in den 80er-Jahren bei einem TV-Auftritt. © imago

Mit Panta Rhei spielen Sie jetzt in Dresden. Was verbindet diese Band mit der gleichnamigen Combo, die Sie Anfang der Siebziger mitgegründet hatten?

Wir spielen Soul, Rock und Jazz. Außerdem ist der Bassmann derselbe wie einst. Das war’s. Doch wir sind keine Coverband, die Soul-Standards und Songs von Panta Rhei, Karat oder Lift nachspielt. Es sind Songs von Bands, bei denen ich dabei war, aber in unserer speziellen Interpretation. So auch „Aus und vorbei“, die Nummer, die Max Herre vor einiger Zeit bearbeitet hat. Das hat mich überrascht und stolz gemacht. Dass er sich ausgerechnet eine Nummer ausgesucht hat, die ich komponiert habe ...

Sie spielen also auch Lieder von Karat, der Band, bei der Sie 1986 genervt hingeworfen haben. Fällt das schwer?

Nein, es waren doch die erfolgreichsten Jahre überhaupt. Wir waren sehr selbstbewusste junge Menschen, hatten verschiedenste Probleme. Und am Ende lief es wie in einer Ehe. Erst Krach, dann Scheidung.

Lag es wirklich an Differenzen zwischen Ihnen und Frontmann Herbert Dreilich?

Nein, das wird uns immer unterstellt, dass Herbert und ich Ärger hatten. Doch da hing schon noch ein anderer Kollege mit drin. Aber tatsächlich überwiegt in meiner Erinnerung das Schöne. Mein Name ist nach fast 40 Jahren immer noch mit Karat verbunden. Schon, weil ich der Bandgründer bin, was meist unter den Tisch fällt. Zusammen mit meinem Freund, dem Gitarristen Ulrich Pexa, der 1977 in den Westen ging, habe ich 1974 den Grundstein gelegt.

Was hat Sie bei all dem Erfolg doch kapitulieren lassen?

Um Geld zu verdienen, musste man sehr, sehr viel spielen. Wir kamen abends ins Hotel, da gab es nichts zu essen mehr, nur noch Drinks an der Bar. Morgens kamen wir nicht schnell genug in die Gänge, also war das Frühstück vorbei. Bei der Menge der Konzerte, die wir gespielt haben, ging das an die Substanz. Und von wegen Privilegien: Das Geld, das wir verdienten, ging zu großen Teilen in Technik, Instrumente und Transporter. Ich habe zwei Laster aus dem Westen in die DDR einführen dürfen. Komischerweise wurde uns das gestattet. Zollfrei sogar. Erst einen 14-Tonner und dann so einen Truck, der vorher für Aldi gefahren ist, pink lackiert. Als wir damit in der DDR unterwegs waren, haben uns prompt einige Leute nicht mehr gemocht.

Sie waren also nicht nur Bassmann, sondern auch eine Art Geschäftsführer?

Ja, das trifft es. Wir haben in den 80ern mehr als 150 Konzerte pro Jahr gespielt, 80 im Osten, 60 bis 70 im Westen. Zudem standen die Plattenproduktionen an, TV-Auftritte. Das alles zu koordinieren wurde immer schwieriger.

Doch weshalb genau stiegen Sie aus?

Ich konnte nicht mehr, war völlig kaputt. Ich hatte immer Beruhigungstabletten griffbereit im Handschuhfach. Ein Beispiel: Es stand ein Foto-Shooting für ein Plattencover an. Dafür sollte die Band mal in Anzügen, mal leger in Jeans abgelichtet werden. Fotograf, Studio, Klamotten, Deko – alles hatte ich besorgt. Doch Ed Swillms, unser Keyboarder und Komponist, war genervt. Ich fragte ihn: „Wie willst du es haben, du in der Mitte, am Rand oder vielleicht zweimal drauf?“ Seine Antwort: „Ich weiß nicht. Ich find’s beschissen?“ Mehr kam nicht. Doch ich musste mit den Fotos in die Druckerei, sonst wäre die Platte nicht pünktlich rausgekommen. Es war zum Verrücktwerden. Zudem trat die Band künstlerisch auf der Stelle, maulte aber, wenn ich Termine klarmachte. Wir hatten fünf Techniker, waren ein Unternehmen, das insgesamt zehn Familien ernährte. Da kann man doch nicht einfach sagen: Nö, ich will da jetzt nicht spielen.

Wie haben Sie sich verabschiedet?

Mein letzter Auftritt mit Karat fand in der Nähe von Lübeck statt. Danach habe ich gesagt: Jetzt müsst ihr ohne mich auskommen. Damals wollte ich mich einfach mal nur um mich kümmern, hatte anschließend nie Langeweile, war nie brotlos. Ich habe wegen meiner drei Kinder nur mal ein halbes Jahr Arbeitslosengeld bezogen.

Wird Ihnen noch heute übel, wenn jemand sagt, „Über sieben Brücken“ sei ein Hit von Peter Maffay?

Es nervt natürlich, doch wird zu diesem Song eh viel Falsches verbreitet. Auch wie es überhaupt zu dieser Coverversion kam.

Peter Maffay coverte 1980 den Karat-Hit "Über sieben Brücken" und landete auch seinerseits damit einen Hit.
Peter Maffay coverte 1980 den Karat-Hit "Über sieben Brücken" und landete auch seinerseits damit einen Hit. © Daniel Förster

Und was ist wahr?

Auf dem Weg von Berlin nach Hamburg rief Maffay 1980 seinen Manager an und sagte ihm: „Ich höre hier gerade einen Song, der mir unheimlich gefällt. Den will ich singen.“ Er wusste gar nichts über die Nummer, wollte, dass sein Manager alles rausbekommt und regelt. In die Verhandlungen waren wir dann nicht mal eingebunden, hatten also keine Ahnung, was da lief. Irgendwann saß die gesamte Band bei mir zu Hause, und plötzlich lief Maffay mit unserem Song im Radio. Ich fand es gelungen, aber Ed Swillms ist förmlich das Gesicht eingeschlafen. Da Maffay immer betonte, dass sei ein Lied von Karat, seinen Freunden aus der DDR, wurden wir im Westen sehr populär.

Was haben Sie nach Karat getan?

Ich habe Tourneen organisiert, war Manager und zum ersten Mal fest angestellt, im Berliner Haus für Gastronomie und Unterhaltung, einem imposanten Haus direkt am Checkpoint Charlie. Ich war dort der Kulturdirektor, gehörte anderthalb Jahre lang zum Aufbaustab. Dann kam die Wende, die Wessis vom Casino Berlin übernahmen und schmissen alle raus. Ich hatte zwölf Angestellte, tolle Leute mit ehrgeizigen Plänen. Wir wollten die modernste Diskothek Europas aufbauen. Dazu ein Kabarett, einen Ballsaal. Am Ende wurde alles abgerissen – jetzt stehen dort Bürohäuser.

Haben Sie es irgendwann bereut, bei Karat ausgestiegen zu sein?

Hätte ich zu diesem Zeitpunkt geahnt, dass bald die Mauer fällt und sich wirtschaftlich alles ändert, wäre meine Entscheidung vielleicht etwas anders ausgefallen. Geschäftlich gesehen wäre es sinnvoll gewesen, noch ein paar andere Verbindungen aufzubauen. Doch ich trauere der Sache nicht nach. Würde ich nicht in meinem Haus, sondern unter einer Brücke leben, sähe das sicher anders aus. Jetzt habe ich eine Band mit Leuten, die sich bestens verstehen, die großartige Profis sind und meine Lieblingsmusik spielen. Bald sogar erstmals in meiner alten Heimat. Also nein, ich bereue gar nichts.

Panta Rhei spielt im Rahmen der Jazztage am 7.11. ab 20 Uhr im Ostra-Dome Dresden; Tickets gibt’s in allen DDV-Lokalen und hier.