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Herz, Niere, Seele: In der DDR politisch Verfolgte haben höheres Krankheitsrisiko

Laut einer neuen Studie haben ehemalige politische Häftlinge aus der DDR ein höheres Krankheitsrisiko als der Durchschnitt. Bei der Rehabilitation werden Krankheiten jedoch oft nicht als Haftfolgen anerkannt. Das könnte sich ändern.

Von Thilo Alexe
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Die  SED-Opferbeauftragte beim Bundestag, Evelyn Zupke, besuchte kurz nach dem Amtsantritt vor drei Jahren die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen.
Die SED-Opferbeauftragte beim Bundestag, Evelyn Zupke, besuchte kurz nach dem Amtsantritt vor drei Jahren die Gedenkstätte Berlin-Hohenschönhausen. © dpa/Wolfgang Kumm

Ehemalige politische Häftlinge aus der DDR haben ein höheres Krankheitsrisiko als der Bevölkerungsdurchschnitt. Zu diesem Ergebnis kommt eine Studie der Charité Berlin. Deutlich häufiger erkranken die früher Inhaftierten an psychischen Leiden wie Angststörungen, Depressionen und posttraumatischen Belastungsstörungen. Auch Bluthochdruck und Herzrhythmusstörungen werden bei ihnen öfter als bei der sonstigen Bevölkerung diagnostiziert. Stärker verbreitet sind zudem Muskel-Skelett- und Nierenerkrankungen.

An der Studie, die nach Aussage von Professor Stefan Röpke im Frühjahr abgeschlossen sein soll, haben sich knapp 300 ehemalige politische DDR-Häftlinge beteiligt. Der Wissenschaftler stellte mit seiner Kollegin Tolou Maslahati Kochesfahani die vorläufigen Ergebnisse im Rahmen eines Fachgespräches Mitte Dezember im Bundestag vor. Die dort angesiedelte Initiatorin, die SED-Opferbeauftragte Evelyn Zupke, kritisierte, dass gesundheitliche Schäden bei der Rehabilitation oft keine Berücksichtigung fänden.

„Die aktuelle Lage ist alarmierend“, sagte Zupke und fügte hinzu: „Mehr als die Hälfte scheitern bei dem Versuch der Anerkennung ihrer Gesundheitsschäden.“ In Sachsen-Anhalt seien es sogar 90 Prozent. Sachbearbeitern in den Versorgungsämtern mangele es oft an Kenntnissen über die Mechanismen der Repression. Zudem fehle oft das „passende Instrumentarium“.

Sachsens Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur, Nancy Aris, sieht das ähnlich. „Das Problem ist leider nicht neu“, sagte sie gegenüber Sächsische.de. „Dass ehemalige politische Häftlinge bei ihren Verfahren zur Anerkennung von Haftfolgeschäden regelmäßig scheitern und diese sich jahrelang hinziehenden Auseinandersetzungen sie psychisch stark belasten, erleben wir seit nunmehr 30 Jahren.“

Aris stellte zwar „Verbesserungsbemühungen“ fest. Dennoch funktioniere das vorhandene Instrumentarium nicht. Bei dem Fachgespräch schilderte der ehemalige politische Häftling Detlef Wengel seine beklemmenden Erfahrungen. Nach einem gescheiterten Fluchtversuch sei er in den 1970er-Jahren in Sachsen inhaftiert gewesen. In der Justizvollzugsanstalt Torgau habe ihm ein Vernehmer mit einem Telefonbuch auf den Kopf geschlagen. Das rechte Trommelfell sei gerissen, auf einem Ohr sei er ertaubt. Dieser Gesundheitsschaden sei erst nach jahrelangen Auseinandersetzungen anerkannt worden.

Umkehr im Procedere könnte Abhilfe schaffen

Das Verfahren empfindet Wengel als belastend und teuer: „Es verschwinden Akten. Es werden Akten als angeblich nicht vorhanden gekennzeichnet. Leute, die Akten brauchen, müssen beim Zentralarchiv 400, 500 Euro aus der eigenen Kasse bezahlen, um überhaupt erst einmal an ihre Akten ranzukommen.“ Das sei unzumutbar.

Womöglich kann eine Art Umkehr in dem Prozedere Abhilfe schaffen. Nancy Aris und Evelyn Zupke plädierten für die Einführung einer Vermutungsregelung. Vereinfacht gesagt: Gesundheitliche Schäden als Folge politisch motivierter Haft werden angenommen, also vermutet. Im Anschluss kann das eine Untersuchung bestätigen oder eben widerlegen. In jedem Fall müsste ein ehemals Inhaftierter, der einen Rehabilitationsantrag stellt, nicht von sich aus und als Erster sein Leiden in den Fokus rücken.

Aris beobachtete, dass die bisherige Praxis bei Betroffenen zur Retraumatisierung führen könne: „Deshalb sollte sich die Politik neuen Ansätzen gegenüber nicht verschließen.“ Die Vermutungsregelung „würde das gesamte Verfahren vereinfachen und den Betroffenen helfen“, hob die Landesbeauftragte hervor.

Wie das gehen kann, zeigt die Bundeswehr. Ex-Verteidigungsstaatssekretär Stéphane Beemelmans veranschaulichte, wie Soldaten unterstützt werden: „Wenn man im Einsatz war, einen Einsatzschaden hatte und eine bestimmte klinische Folge hatte, dann wird die Kausalität fingiert.“ Anders gesagt: Die gesundheitliche Beeinträchtigung wird durch den Einsatz begründet. Beemelmans: „Und dann muss der Dienstherr praktisch nachweisen, dass die Kausalität nicht stattgefunden hat.“

In der DDR politisch Verfolgte können monatlich eine Rente von 330 Euro erhalten. Bei gesundheitlichen Schäden sind Rehabilitationsleistungen möglich.