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Der Preis der scharfen Kurve

Am Bischofsplatz in Dresden muss die große Lücke am Bahnsteig klaffen. Doch es gibt eine Lösung, die bereits praktiziert wird.

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© Sven Ellger

Von Peter Hilbert

Sebastian Kasper steht mit seinem vierjährigen Söhnchen Edgar am neuen Haltpunkt Bischofsplatz, Paul Heinze knapp 200 Kilometer entfernt an der ebenfalls neuen Station Ludwigsfelde-Struveshof bei Berlin. Beide warten auf S-Bahnen, die in einer Kurve halten müssen. Das sind Ausnahmen. Haltepunkte werden meist nur in geraden Abschnitten gebaut – und das aus gutem Grund. Denn sowohl vor dem 36-jährigen Dresdner als auch dem 17-jährigen Ludwigsfelder klafft eine Lücke vor der Bahnsteigkante, als die S-Bahnen einfahren. Im brandenburgischen 25 000-Einwohner-Städtchen gibt es aber einen Vorteil, der das Einsteigen stark erleichtert.

Lücken klaffen an zwei neuen S-Bahn-Haltepunkten: links am Bischofsplatz, rechts in Ludwigsfelde bei Berlin, wo es jedoch einen guten Zugang gibt.
Lücken klaffen an zwei neuen S-Bahn-Haltepunkten: links am Bischofsplatz, rechts in Ludwigsfelde bei Berlin, wo es jedoch einen guten Zugang gibt. © Peter Hilbert

Das Problem: Am Bischofsplatz ist der Bahnbogen besonders eng

„Am Bischofsplatz gibt es einen sehr engen Gleisbogen“, nennt Professor Wolfgang Fengler das Problem. „Da bestehen bestimmte Zwänge“, sagt der promovierte Bauingenieur, dessen Spezialgebiet an der TU Dresden die Gestaltung von Bahnanlagen ist. Der Bahnsteig mit seinem Radius unter 300 Metern ist gebogen, der über 26 Meter lange S-Bahn-Wagen jedoch gerade. „Da kann es locker zu einer großen Lücke kommen“, erklärt der Fachmann und verweist auf die Bahnrichtlinie.

Die Vorschrift: Bahn setzt beim Abstand auf hohe Sicherheit

Genau vorgeschrieben ist, wie weit die Außenkante des Wagens hinausragen darf. Ebenso festgelegt ist, wie weit die Bahnsteigkante entfernt sein muss. „Der entscheidende Wert ist der Sicherheitsabstand dazwischen von circa zehn Zentimetern“, erläutert Fengler. Hinzu kommt ein gewisses Spiel durch die Wagenfederung, da die linke Schiene im Bogen höher liegt als das rechte Pendant. Zudem gibt es ein Spiel zwischen dem Radsatz des Wagens und dem Gleis. Mit Blick auf die Lücke am Bischofsplatz summiert er: „Nach dem Regelwerk mit allen Toleranzen dürfen das in diesem Fall circa 40 Zentimeter sein.“ Etwa so groß ist die Lücke am Bischofsplatz. Der Experte hatte sich alles auch vor Ort angesehen: „Das entspricht dem Regelwerk.“

Die Entscheidung: Bei Haltepunkt in Kurve muss Bahn-Zentrale zustimmen

„Die Entscheidung ist, ob man in einem so engen Bogen einen Haltepunkt baut oder nicht“, nennt Fengler die Kernfrage. Das müsse gut begründet werden. Denn bei einer Ausnahme wie am Bischofsplatz muss die Bahn-Zentrale zustimmen, was dann auch geschah. Der Experte sieht viele Vorteile, wie die Lage im Hechtviertel oder die direkte Anbindung an die Straßenbahnlinie 13. „Der Haltepunkt wird gut angenommen. Da bin ich überzeugt“, sagt er.

Die Lösung: Ausfahrbare Tritte schließen die Lücke zum Bahnsteig

Dennoch bleibt die fast einen halben Meter breite Lücke. „Dafür gibt es aber eine Ideallösung – ausfahrbare Trittstufen“, erklärt Fengler. Bevor die Türen der Wagen öffnen, fahren sie automatisch zur Seite heraus – und schließen die Lücke. Damit können die Fahrgäste bequem und sicher einsteigen. Die Dresdner S-Bahnen sind jedoch nicht damit ausgestattet. „Man kann sie auch nicht nachrüsten. Das wäre zu teuer und störungsanfällig“, sagt er. Das müsste bereits beim Bau der Schienenfahrzeuge geschehen. Es gibt jedoch moderne Elektrotriebwagen, so den Bombardier Talent 2, der über diese Technik verfügt. In Dresden werden sie bereits beim Regionalexpress Saxonia nach Leipzig eingesetzt.

Das Vorbild: Ludwigsfelder können in Kurven-Station sicher zusteigen

Genau diese Fahrzeuge verkehren auch als S-Bahnen am Südrand Berlins zwischen Potsdam und dem Flughafen Schönefeld – und halten an der neuen Station Ludwigsfelde-Struveshof. Die war 2013 komplett fertiggestellt worden. „Ich finde die Tritte super“, sagt der Ludwigsfelder Paul Heinze. Als Elektrikerlehrling fährt er täglich zur Arbeit nach Berlin. Da sei der neue S-Bahn-Haltepunkt hervorragend. „Sonst müsste ich zwei Kilometer zum Bahnhof laufen.“

Die Perspektive: Verkehrsverbund verweist auf Notlösung für Behinderte

Kurze Wege zur S-Bahn haben jetzt auch die Bewohner des Hechtviertels. Aber eben auch die Probleme. „Ich bin enttäuscht von dem Haltepunkt“, sagt Sebastian Kasper. Das Geländer ist zu niedrig, Fahrradbügel fehlen und die Lücke klafft. „Wenn man hier nicht richtig aufpasst, kann das böse enden“, sagt der junge Vater. Er hofft auf schnelle Lösungen.

Doch die Lücke wird bleiben. „Die Trittstufen hatten wir bei der Ausschreibung für den S-Bahn-Betrieb nicht gefordert“, erklärt Sprecher Christian Schlemper vom Verkehrsverbund Oberelbe. Die Deutsche Bahn hatte 2010 den Zuschlag erhalten. Zuvor habe der Freistaat enorme Fördergelder für die S-Bahn-Wagen zugeschossen. Der Verkehrsvertrag läuft bis 2027.

Also wird sich nichts ändern. „Wir haben eine Überfahrbrücke im ersten Wagen“, nennt Schlemper die Notlösung für Behinderte oder Kleinkinder – eine andere hat er vorerst nicht. Zumindest den 22-jährigen Benjamin Burkard, der hier regelmäßig zusteigt, schreckt das nicht ab. „Ich bin auf den Zug angewiesen. Da mache ich eben einen großen Schritt, und fertig“, sagt der Dresdner Student.