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Der Umstrittene

TU-Professor Heiko Hessenkemper hält Schafe und ist Waldarbeiter. Von den Grünen hält er trotzdem nicht viel.

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© André Braun

Von Maria Fricke

Freiberg/Döbeln. Er ist ein ausgezeichneter Professor im Bereich der Glas- und Emailtechnik an der TU Bergakademie Freiberg. Doch in die Schlagzeilen kommt Heiko Hessenkemper aus Freiberg seit einigen Monaten vor allem aufgrund seines politischen Engagements. Er ist der Direktkandidat der Alternative für Deutschland (AfD) für den Wahlkreis 161 in Mittelsachsen. Um bei der Wahl so viele Stimmen wie möglich zu holen, laden Hessenkemper und seine Parteikollegen derzeit regelmäßig zu Kundgebungen und Demonstration ein. Mit vor Ort ist dann meist auch die Polizei, wie zuletzt am 10. August in Roßwein auf dem Marktplatz.

Das Ansehen der Partei ist umstritten. Das bekam auch Hessenkemper zu spüren, als er 2014, nur ein Jahr nach der Gründung der AfD, in die Partei eingetreten ist. „Ich hatte dort von Anfang an ein Aha-Erlebnis“, schildert Hessenkemper seine ersten Eindrücke. Politisch interessiert war der 61-Jährige schon immer. Um sich zu engagieren, habe aber bis dahin die Zeit gefehlt. Als Hessenkemper jedoch erlebte, wie die Deutschen 2010 mit Thilo Sarrazin und dessen Buch „Deutschland schafft sich ab“ umgegangen sind, war das für ihn der Wendepunkt. „Man hat Sarrazin fertiggemacht, obwohl er mit Fakten die Wahrheit gesagt hat“, so Hessenkemper. Damals sei ihm klar geworden, dass die öffentlich-rechtlichen sowie andere „Mainstream-Medien“ die Welt nicht so darstellen würden, wie sie wirklich sei. Die Schelte der Medien ist bis heute ein Schwerpunkt in den politischen Ansprachen des Freibergers.

Er selbst habe negative Erfahrungen mit einer regionalen Tageszeitung gemacht. Die Konsequenz: Er habe die Zeitung abbestellt. Die Debatte um seine Zugehörigkeit zur AfD ging bis in die TU Freiberg hinein. Studenten hätten, ohne sein Wissen und ohne seine Veranlassung, Flugzettel für den Professor verteilt. „Die habe ich wieder einsammeln lassen“, so Hessenkemper. Mit seinem Arbeitgeber habe er politische Neutralität vereinbart. Dennoch wurde er, aus politischen Gründen, wie er sagt, im Januar vom jährlichen Hauptstadtforum des Schulnetzwerkes MINT EC ausgeladen. Dort hatte er im vergangenen Jahr noch einen Vortrag gehalten.

Sechs Fragen an: Heiko Hessenkemper (AfD)

Was wollten Sie einmal werden, als Sie noch ein Kind waren?

Als Kind wollte ich immer Förster werden. Ich hatte damals einen Hund und mir hat es Spaß gemacht, mit ihm durch den Wald zu gehen. Ich dachte, als Förster werde ich dafür auch noch bezahlt.

Wer ist Ihr größtes Vorbild?

Diese Frage kann ich nicht beantworten.

Wo sehen Sie sich in zehn Jahren?

Wenn es nach meinen Wünschen geht und die Gesundheit mitspielt, dann sehe ich mich genauso wie jetzt, mit einer großen Schar Enkelkinder und politisch sowie im Job noch aktiv.

Welches sind Ihre drei besten Eigenschaften?

Bei Angriffen kann ich sehr hartnäckig Widerstand leisten. Ich bin emotional-empathisch, wenn Schwächere betroffen sind, dann habe ich mich schon als Kind auf deren Seite gestellt.

Und was sind Ihre drei schlechtesten Eigenschaften?

Wenn ich mit Dummheit zu tun habe, werde ich schnell emotional. Dann fällt es mir schwer, die rationale Kontrolle zu behalten. Obwohl ich weiß, dass manches falsch ist, wie zum Beispiel mein Übergewicht, schaffe ich es nicht, diszipliniert genug zu sein.

Wenn Sie sich in einem Satz beschreiben müssten…

Jeder Mensch ist hoch kompliziert. Ein Großprojekt ist auch nicht in fünf Minuten zu erläutern.

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Die Auswirkungen seiner politischen Aktivität reichen bis ins Private hinein. Hessenkemper hat drei Kinder: eine Tochter sowie zwei Söhne. „Die Kinder und die Partner tragen die Entscheidung mit“, sagt er zwar. Doch bei Kontakten nach Westdeutschland gebe es Probleme. „Aber eine feste politische Überzeugung härtet ab, auch in der Familie“, ist der TU-Professor überzeugt. Dass allein die Nähe oder Zugehörigkeit zur AfD kritisiert wird, diese Erfahrung haben auch andere schon gemacht. „Die Leute haben inzwischen Angst, ihre Meinung frei zu äußern. Das kann doch nicht wahr sein“, meint Hessenkemper. Umstritten ist die Partei, unter anderem wegen ihres Umgangs mit Flüchtlingen und Migranten.

Mit Geflüchteten selbst habe Hessenkemper bisher nur indirekt Kontakt gehabt. Aufgrund des unterschiedlichen sprachlichen Niveaus sei der Umgang schwierig. Seine Informationen über Flüchtlinge habe er vor allem aus Gespräche mit Mitarbeitern der Ausländerbehörde sowie der Bereitschaftspolizei. Aus beruflichen Gründen habe Hessenkemper jedoch sehr viel Kontakt mit dem Ausland. Er sei oft in Osteuropa, den USA, Südostasien sowie Russland. „Dort schütteln sie den Kopf über die Situation hier“, schildert Hessenkemper, der selbst Mitte der 1980er Jahre für ein Jahr im Ausland gelebt hat. Den Großteil seiner Zeit habe er in Neuseeland verbracht. Drei Monate habe er dort in einer Einrichtung für Maori, das Ur-Volk Neuseelands, gearbeitet. „Die Zeit war sehr angenehm und nett“, so Hessenkemper, der seit 201z4 Kreisrat in Mittelsachsen ist.

Über 16 000 Wähler hatte die AfD bei den Wahlen im Mai 2014. Zu diesen wollte Hessenkemper eigentlich gar nicht antreten. Das Problem sei jedoch gewesen, dass die Partei im Wahlkreis zu wenig Leute hatte. Mit drei anderen schaffte er es auf Anhieb in den Kreistag. Aus heutiger Sicht ein richtiger Schritt für Hessenkemper. „Dadurch habe ich gesehen, was für eine politische Farce im Kreistag abgezogen wird, welche schmutzigen Spielchen dort im Untergrund laufen“, sagt er. Das habe seine Motivation, sich politisch mehr zu engagieren, erst recht angestachelt.

Dass er nun als Direktkandidat in den Bundestagswahlkampf zieht, sei so auch nicht von vornherein klar gewesen. Schließlich sei da noch seine Professorenstelle, an der zwischen 25 und 30 Mitarbeiter hängen. „Parteifreunde haben mich dann aber davon überzeugt, es doch zu machen“, erklärt Hessenkemper. Im Herbst 2016 setzte er sich bei den Wahlen innerhalb der Partei gegen andere Bewerber durch. „Ich wurde gleich im ersten Wahlgang gewählt“, sagt Hessenkemper. Da sei persönlich sehr aufbauend gewesen.

Eines der ersten Ziele, das die AfD im Bundestag umsetzen wolle, sei die Kündigung der Rundfunkstaatsverträge. Hessenkemper wolle das öffentlich-rechtliche Fernsehen auf seinen Bildungsauftrag zurückführen. „Tatort soll dann über Pay-TV laufen“, sagt er. Für ihn stehe fest, dass es keine Koalition mit der CDU geben werde. Als Bundestagsabgeordneter wolle er vor allem nutzen, dass Referenten für ihn arbeiten und gezielt Anfragen an die Ministerien stellen. „Dann können wir die unerträgliche Ausbeutung des Systems deutlich machen“, hofft Hessenkemper. Für den Einzug in den Bundestag sei auch die Zukunft des Institutes geklärt. Am Wahlabend wollen Hessenkemper und seine Parteikollegen als Wahlbeobachter an ihren Standorten im Einsatz sein. „Wir erwarten keinen massiven Wahlbetrug“, sagt Hessenkemper. Er werde in Großschirma sein, wo er auch wohnt.

Dort verwirklicht Hessenkemper einen Kindheitstraum. Er besitzt ein rund 1,7 Hektar großes Stück Wald. Aus dem muss er nach Windbruch oder Borkenkäferbefall immer mal wieder Holz herausholen. Eine seiner Leidenschaften, die er auch hofft, in zehn Jahren noch ausführen zu können. „Bei der Arbeit sieht man, was man getan hat“, sagt Hessenkemper. Sie sei sein Ausgleich. Dazu gehören auch die Schafe, die er auf einem kleinen Acker hält.

Zweites wichtiges Standbein im Privatleben des 61-Jährigen ist die Familie. Zwei seiner drei Enkel sieht er regelmäßig, sie wohnen in Dresden. Sein jüngstes Enkelkind lebt in Göttingen. „Das sehen wir nur einmal im Monat“, sagt er. Die vier- bis zweijährigen Kinder zu betreuen, sei sehr schön, aber auch anstrengend, gibt Hessenkemper zu, der am liebsten zwölf Enkel haben möchte. „Für andere Hobbys ist keine Zeit“, ergänzt er. Private Fernreisen, wie zuletzt für drei Wochen in die USA, werde es ab Oktober nicht mehr geben. Denn die Familie bekommt erneut Zuwachs. Hessenkemper und seine Frau wollen sich einen Boxer-Husky-Mischling zulegen. „Die besten Ideen habe ich beim Gassi-Gehen mit dem Hund“, so der Direktkandidat, der früher schon einen gehabt hat.

Zur Person

1956 Heiko Hessenkemper wird am 11. Januar in Hamm in Nordrhein-Westfalen geboren.

1973 Hessenkemper wächst in Hamm auf, legt dort auch sein Abitur ab.

1980 bis 1983 Mit 24 beginnt er sein Studium der Physik an der TU Clausthal.

1983 bis 1989 Hessenkemper arbeitet im Sonderforschungsbereich Göttingen-Clausthal. In dieser Zeit fällt auch sein anderthalbjähriger Zivildienst in der Jugendherberge Norden-Norddeich. Zudem ist er wissenschaftlicher Mitarbeiter am Institut für nichtmetallische Werkstoffe der TU Berlin.

1989 Hessenkemper legt seine Promotion vor. Im selben Jahr tritt er in die Gerresheimer Glas AG in Düsseldorf ein.

1992 bis 1993 ist er als Werkleiter der Glashütte AG in Achern tätig.

1992 Hessenkemper erhält den Industriepreis der Deutschen Glastechnischen Gesellschaft.

1994 bis 1995 In Niederdollendorf bei Didier übernimmt er den Posten des Werkleiters.

1995 Im März wechselt Hessenkemper an die TU Bergakademie Freiberg. Dort ist er bis heute Professor für Glas- und Emailtechnik.

2014 Anfang des Jahres entscheidet sich der Freiberger zum Eintritt in die AfD.

2014 Im Mai wird der 58-Jährige in den Kreistag Mittelsachsen gewählt.

2016 Im Dezember wird bekannt, dass Hessenkemper als Direktkandidat in den Bundestag will.