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Die Neandertaler von Halle

Wiesen statt Wälder. Bereits vor 125.000 Jahren veränderten die Menschen ihre Umgebung in einem erheblichen Ausmaß.

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Wissenschaftliche Rekonstruktionen des Neandertalers im Neandertal-Museum Mettmann.
Wissenschaftliche Rekonstruktionen des Neandertalers im Neandertal-Museum Mettmann. © SZ/Stephan Schön

Alles begann deutlich früher als je gedacht. Menschen verändern den Planeten nicht erst seit wenigen zehntausend Jahren. Lange vor Ackerbau und Viehzucht wurden Wälder zu Wiesen, wurde Dickicht zu lichten Flächen.

Neandertaler haben einer eben veröffentlichten Studie zufolge schon vor 125.000 Jahren ihre Umwelt massiv umgestaltet. Zu diesem Ergebnis kommt ein internationales Forschungsteam nach Ausgrabungen bei Halle. Demnach haben diese frühen Menschen damals in ihrer Siedlungsnähe eine offene Landschaft geschaffen im Gegensatz zu den umliegenden dichten Waldgebieten. Die Fundstellen befinden sich bei Neumark-Nord, zwei Becken im Geiseltal südlich von Halle.

Während der Eem-Warmzeit vor 126.000 bis vor 115.000 Jahren war diese Region eisfrei. Eine Seenplatte bildete sich. Im Laufe der 11.000 Jahre füllten sich die Seen dann mit Ablagerungen. Das Glück für die Archäologen und Paläobotaniker heute ist: In den See-Sedimenten finden sie Überreste von Pflanzen und Tieren, alles hervorragend konserviert. Das gibt nun Aufschluss über die damalige Flora und Fauna.

Ausgrabungen bei Halle zeigen erstmals, die Neandertaler veränderten ihre Umgebung massiv.
Ausgrabungen bei Halle zeigen erstmals, die Neandertaler veränderten ihre Umgebung massiv. © Wil Roebroeks, Leiden University

Die größte Überraschung aber: Das Siedlungs-Areal der Neandertaler am Ufer des Sees war zum Anfang der Warmzeit für zwei Jahrtausende kaum bewaldet. Pflanzenreste deuten darauf hin, dass hier Büsche, Gräser und Pflanzen wie etwa Vogelknöterich wuchsen. Ganz im Gegensatz zur Region ringsum, die komplett bewaldet war. Darüber berichtet Wil Roebroeks und sein Team von der niederländischen Universität Leiden im Fachblatt „Science Advances“.

Die Wissenschaftler fanden mehr als 20.000 Steinwerkzeuge. Daneben schließlich Resten von hunderten Großsäugern darunter Elefanten, Nashörner, Auerochsen, Pferde, Rot- und Damwild. Die jetzt noch vorhandenen Reste von Holzkohle deuten auf große Feuerstellen hin.

Diese Neandertaler verbrachten die meiste Zeit des Jahres an den Ufern dieses Sees, sommers wie winters. Und das über sehr, sehr viele Generationen hinweg, zwei Jahrtausende lang. Was eine weitere Überraschung für die Forscher war. So lange und ganzjährig an einem Ort hatten sie die Menschen zu jener Zeit nicht vermutet. Sie waren deutlich sesshafter, als bislang bekannt war.

20.000 Steinwerkzeuge der Neandertaler wurden im Geiseltal bei Halle gefunden
20.000 Steinwerkzeuge der Neandertaler wurden im Geiseltal bei Halle gefunden © Wil Roebroeks, Leiden University

„Nirgendwo sonst lässt sich eine Neandertaler-Präsenz über so lange Zeit nachweisen“, sagt Ko-Autor Lutz Kindler vom Monrepos Archäologisches Forschungszentrum und Museum für menschliche Verhaltensevolution in Neuwied. Vermutlich hätten Neandertaler die offene Landschaft geschaffen und unterhalten – neben Feuern auch durch ihre Lager, durch Holzsammeln, Jagd und die Verarbeitung von Tierprodukten.

„Die Entwicklung der Umwelt, die wir in Neumark sehen, lässt sich nicht anders erklären als von den damaligen Menschen deutlich beeinflusst“, sagt Kindler. Eine offene Landschaft lockt Jagdbeute an und fördert das Wachstum essbarer Pflanzen. Die Entwaldung bringt den Bewohnern also zahlreiche Vorteile. Unklar ist indes, ob die Menschen die Umgebung gezielt entwaldeten oder ob dies ein nützlicher Nebeneffekt ihrer Lebensweise war.

Erst nach etwa 2.200 Jahren änderte sich das Landschaftsbild wieder, und in dem Areal wuchs geschlossener Laubwald, wie in den benachbarten Gebieten. Gleichzeitig werden die Hinweise auf Neandertaler-Präsenz spärlicher. Der moderne Mensch (Homo sapiens) kam erst vor etwa 45.000 Jahren nach Mitteleuropa. Die Neandertaler starben dort vor etwa 40.000 Jahren aus. (fwt/SZ/sts)