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Lützerath, Tag 2: Jetzt beginnt der Kampf um die Deutungshoheit

Bei Wind und Regen setzt die Polizei die Räumung des besetzten Dorfs Lützerath fort. Wird von Lützerath irgendetwas bleiben außer ein Krater?

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Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen. Die Demonstranten hatten versucht am zweiten Tag der Räumung durch die Polizei über Äcker zum besetzten Braunkohleort Lützerath zu gelangen und wurden von der Poli
Umweltaktivistin Luisa Neubauer wird von Polizisten während einer Sitzblockade weggetragen. Die Demonstranten hatten versucht am zweiten Tag der Räumung durch die Polizei über Äcker zum besetzten Braunkohleort Lützerath zu gelangen und wurden von der Poli © dpa

Erkelenz. Tag 2 der Räumung beginnt in Lützerath mit dem Geräusch einer Motorsäge. Kreischend frisst sie sich in Minutenschnelle durch das schwere Tor des jahrhundertealten Duisserner Hofs. Es ist ein Tor mit hohem Symbolwert. Der Bananensprayer Thomas Baumgärtel hat darauf sein Markenzeichen hinterlassen, Greta Thunberg hat davor eine Pressekonferenz abgehalten. Und Eckardt Heukamp, der "letzte Bauer von Lützerath", hat es verteidigt, bis er nach zehn Jahren zermürbendem Kampf aufgab. Jetzt aber ist es binnen weniger Minuten um das Tor geschehen. Durch ein klaffendes Loch stürmen Polizisten auf das Hofgelände.

Die Beamten in ihren einheitlichen Uniformen, ausgestattet mit Helm und Schild, haben etwas von den Stormtroopers aus "Star Wars". Das führte dazu, dass die Aktivisten aus ihren Baumhäusern mitunter den "Imperial March" von Filmbösewicht Darth Vader angestimmt haben, wenn eine Kolonne unter ihnen hinwegzog. Das war allerdings an Tag 1. Jetzt ist die Stimmung nicht mehr so gut.

Die Aktivisten, die aus Bauer Heukamps Bauernhof gebracht werden, kämpfen zum Teil mit den Tränen. Auf der Straße weht ihnen Regen ins Gesicht, der an diesem Tag von einem scharfen Wind über Lützerath geblasen wird und den Ort an mancher Stelle geradezu im Schlamm versinken lässt. Noch hängt das große Transparent mit der Aufschrift "1,5°C heißt: Lützerath bleibt!" an der braunroten Ziegelsteinwand. Aber aus Sicht der Aktivisten ist jetzt auch das wichtigste Gebäude des Ortes in der Hand der Polizei - und damit von RWE. Längst hat der Kampf um die Deutungshoheit begonnen, wie dieser Polizeieinsatz einst zu bewerten sein wird. Mann könnte auch sagen: die Schlammschlacht.

Polizisten holen am zweiten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath, einen Demonstranten von einem Dach weg.
Polizisten holen am zweiten Tag der Räumung im von Klimaaktivisten besetzten Braunkohleort Lützerath, einen Demonstranten von einem Dach weg. © dpa

"Habeck, Habeck, du warst mal ok, doch dann kam RWE", hat die Kölner Band AnnenMayKantereit am Wochenende in Lützerath gesungen. Der Bundeswirtschaftsminister und seine grüne Parteifreundin aus Düsseldorf, NRW-Wirtschaftsministerin Mona Neubaur, sind aus Sicht der Aktivisten und viele ihrer Sympathisanten die Hauptverantwortlichen für den "Verkauf" von Lützerath an RWE.

Habeck sieht das naturgemäß anders. In Deutschland gebe es aufgrund des Ukraine-Kriegs eine "Gasmangellage, eine Energienotlage", und diese habe man "auch mit zusätzlicher Verstromung von Braunkohle" abwehren müssen, sagte er im ZDF. "Das fasst mich auch an oder treibt mich um, so wie alle in meiner Partei. Aber trotzdem müssen wir das erklären, was richtig ist."

Dass der Ort Lützerath, unter dem diese Kohle liegt, für die Aktivisten verloren ist, ist am Donnerstag offenkundig. Meter um Meter fressen sich schwere Abrissmaschinen in den Weiler vor. Mehr als 200 Aktivisten hatten die Ortschaft bereits am Vortag verlassen. Am Donnerstag ist sie bereits komplett mit einem Zaun umgeben.

Während in einigen Baumhäusern noch Aktivistinnen und Aktivisten in weißen Ganzkörperanzügen ausharren - bei stürmischen Böen, so dass die Äste auf- und niederwippen - werden neben ihnen schon Bäume gefällt und Hütten abgebrochen. In anderen Hütten suchen Polizisten Schutz vor dem Regen, stehen in kleinen Gruppen beieinander und rauchen - ein besonders starkes Bild dafür, dass sie hier jetzt den Ton angeben. Es sieht ganz danach aus, dass Lützerath in kurzer Zeit vom Erdboden verschwunden sein wird.

Luisa Neubauer von Polizisten weggetragen

Laut Klimaaktivistin Luisa Neubauer, die an diesem Donnerstag im Nachbarort Keyenberg zusammen mit den Chefs von Greenpeace, BUND und anderen Umweltschutzorganisationen auftritt, machen die Grünen einen "großen Fehler", indem sie Lützerath opfern. Der Abbau der Kohle unter dem Ort ist Teil eines Kompromisses mit RWE, mitgetragen von Habeck und NRW-Ministerin Neubaur.

Neubauer wurde später von Polizisten vom Zufahrtsweg des Braunkohleorts Lützerath weggetragen. Sie hatte sich dort mit rund 100 Aktivisten zu einer Sitzblockade eingefunden. Die Teilnehmer wurden von der Polizei eingekreist und nach und nach weggetragen oder abgeführt. Drei Beamte trugen schließlich auch Fridays-for-Future-Aktivistin Neubauer mit Hilfe ihrer Mehrzweck-Stöcke davon.

"Wir wollen hier sitzenbleiben, bis wir weggetragen werden", hatte Neubauer zuvor gesagt. Ein Polizeisprecher sagte, die Teilnehmer seien auf dem Weg zur Tagebauabbruchkante gewesen. Dies sei gefährlich und habe durch die Polizei verhindert werden müssen.

Nach Neubauers Angaben setzte die Polizei vereinzelt auch Pfefferspray gegen Aktivisten ein. Dazu sagte der Sprecher, er könne dies weder bestätigen noch ausschließen.

Lakshmi Thevasagayam, eine Sprecherin der Akitivisten, steht unterdessen auf einer Wiese in Lützerath, auf der Polizisten mit Stemmeisen an verbliebenen Hütten hantieren. Sie denkt erkennbar schon über das mittlerweile arg ramponierte Camp hinaus. In Indien seien im vergangenen Jahr Menschen vor Hitze umgefallen, sagt sie - die Klimakatastrophe sei doch da. "Jetzt haben wir noch eine Chance, dagegen etwas zu tun." Auch zwischen Regen und Kälte. (dpa)