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Wie sich ein Pfarrer um Sachsens Bundespolizisten kümmert

Wolfram Schmidt aus Pirna ist Seelsorger für über viertausend Beschäftige der Bundespolizei in Mitteldeutschland. Die hatten zuletzt besonders viel auszuhalten.

Von Jörg Stock
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Uniform für einen Pfarrer: Ihr Träger ist Wolfram Schmidt, Seelsorger von über 4.000 Beamten und Angestellten der Bundespolizei in Mitteldeutschland.
Uniform für einen Pfarrer: Ihr Träger ist Wolfram Schmidt, Seelsorger von über 4.000 Beamten und Angestellten der Bundespolizei in Mitteldeutschland. © Norbert Millauer

Am Heiligen Abend macht sich Wolfram Schmidt auf, mit einer großen Ladung Süßigkeiten und einer Blechlaterne. Die Flamme darin hatte er schon tagelang gehütet, brandsicher, in der leeren Badewanne, wo sie ohne Aufsicht brennen durfte. Auspusten ging nicht. Die Flamme ist das Friedenslicht von Bethlehem. Damit will Schmidt an diesem Abend die Herzen wärmen, dort, wo Deutschlands wohl unwirtlichster Grenzposten liegt, an der Autobahn 17 im Osterzgebirge.

Ein paar Tüten und Schachteln mit Schokolade sind übrig geblieben von diesem Besuch. Sie liegen in Wolfram Schmidts Büro und warten auf die nächste Gelegenheit, verschenkt zu werden, die sicher bald kommt. Besuche machen zählt zu Schmidts Kernaufgaben. Er ist Oberpfarrer der Bundespolizei in Mitteldeutschland und damit Seelsorger für über 4.000 Beamte und Angestellte der Behörde zwischen Görlitz, Erfurt und Magdeburg.

Kerze mit Polizeischutz: Seelsorger Wolfram Schmidt (re.) bringt Heiligabend das Friedenslicht aus Bethlehem in eine Dienststelle der Pirnaer Direktion.
Kerze mit Polizeischutz: Seelsorger Wolfram Schmidt (re.) bringt Heiligabend das Friedenslicht aus Bethlehem in eine Dienststelle der Pirnaer Direktion. © Bundespolizei

Weihnachten in irgendeiner Dienststelle aufzutauchen, gehört zu den Ritualen, die Wolfram Schmidt in den elf Jahren, die er nun als Bundespolizeiseelsorger unterwegs ist, begründet und gepflegt hat. Dafür zieht er stets die Uniform an, die für "einsatzbegleitende Maßnahmen" in seinem Schrank hängt. Sie sieht genau so aus wie die der Polizisten. Nur dass auf den Schulterklappen statt der Sterne goldene Kreuze glänzen.

Beäugt vom hölzernen Ebenbild

Die Uniform hilft Wolfram Schmidt, die Schwelle niedrig zu halten, gerade in solchen Momenten. "Ich bin nicht der Heiland der Nachtschicht." Wenn jemand in die Kirche gehen möchte, sagt er, wird er das ohnehin tun. Schmidt hält deshalb keine großen Reden. Im Pausenraum lässt er einen Segenswunsch zurück, die Laterne mit der brennenden Kerze und, im besten Fall, ein bisschen mentale Stärkung für die kommenden Stunden draußen, auf der öden Betonplatte: "Schön, dass der Pfarrer an uns gedacht hat."

"Ansprechpartner für viele Fragen des Lebens." Oberpfarrer Schmidt in seinem Pirnaer Büro. Die meisten Gesprächstermine hat er auswärts, irgendwo in Mitteldeutschland.
"Ansprechpartner für viele Fragen des Lebens." Oberpfarrer Schmidt in seinem Pirnaer Büro. Die meisten Gesprächstermine hat er auswärts, irgendwo in Mitteldeutschland. © Norbert Millauer

Wolfram Schmidt hat keine Kirche. Sein zentraler Arbeitsplatz ist eine unscheinbare Gründerzeitvilla am Rand von Pirnas Altstadt. Hier konzentriert die Bundespolizeidirektion Pirna ihr soziales Gewissen: Suchtberatung, Sozialberatung, Personalräte, Behindertenvertretung, Sozialwissenschaftlicher Dienst, evangelische Polizeiseelsorge. Äußerliche Hinweise darauf gibt es keine. Nur die Kameras an den Hausecken verraten die Behörde als Nutzer.

Drinnen, an Schmidts Schreibtisch, gibt es auch einen stillen Beobachter: eine Pfarrersfigur, aus Holz geschnitzt, mit Talar und Beffchen. Schmidt schaut seinem Ebenbild ins Gesicht und feixt. "Damals hatte ich noch einen Schnauzer." Damals war er junger Dorfpfarrer auf einer Klitsche in Westthürigen. Ein Zugezogener, einer, der beäugt wurde. Er muss Eindruck hinterlassen haben, bei solch einem Abschiedsgeschenk. "Ja, da hat sich jemand wirklich Mühe gegeben."

"Ein Teil meiner Vergangenheit." Bevor er zur Bundespolizei kam, war Wolfram Schmidt Militärpfarrer bei der Bundeswehr.
"Ein Teil meiner Vergangenheit." Bevor er zur Bundespolizei kam, war Wolfram Schmidt Militärpfarrer bei der Bundeswehr. © privat

Die Erinnerungsstücke sind zahlreich in Schmidts Arbeitsraum, Stücke, die man bei einem Pfarrer nicht erwarten würde. So ist die Wand hinter dem Großvaterstuhl, es ist tatsächlich der Sessel von Schmidts Opa, bedeckt mit Verbandsabzeichen der Bundeswehr - Panzertruppe, Grenadiere, Artillerie, Nachschub. Daheim ist kein rechter Platz dafür, sagt Schmidt. Aber hier hängen sie gut, machen Gäste neugierig, bieten Gesprächsstoff. "Das ist ein Teil meiner Vergangenheit."

Von der Dorfkirche in die Bundeswehrkaserne

Bevor Wolfram Schmidt Seelsorger der Bundespolizeidirektion Pirna wurde, war er Militärpfarrer. Seine Dorfkirche hatte nicht weit von der Großkaserne in Langensalza gestanden. Erst arbeitete er dort nebenher, dann hauptberuflich. Der Wechsel zur Bundespolizei war ein Wechsel von Uniformierten zu Uniformierten, sagt er. In der Sache kaum vergleichbar, im Prinzip aber ähnlich. "Das hat mir vieles leichter gemacht."

Für den Pfarrer kein kalter Kaffee: Geschenke besuchter Dienststellen weiß der Seelsorger zu schätzen und stellt sie gern in seine Bücherwand.
Für den Pfarrer kein kalter Kaffee: Geschenke besuchter Dienststellen weiß der Seelsorger zu schätzen und stellt sie gern in seine Bücherwand. © Norbert Millauer

Dabei denkt er nicht nur ans Verständnis für hierarchische Strukturen, sondern auch an jene Momente, in denen man beim Dienst Kopf und Kragen riskiert. Polizisten sagen "Lebel" dazu, lebensbedrohliche Einsatzlagen. 2009, als Schmidt bei seinen Soldaten in Afghanistan war, fuhr sein gepanzerter Wagen in eine Sprengfalle der Taliban. Es kam zum Gefecht, zum Glück ohne Verluste.

Seither weiß Schmidt, was es bedeutet, unter Beschuss zu sein und zu versuchen, trotzdem seine Routine abzuspulen. Er weiß, was es heißt, darüber zu sprechen, sich etwas von der Seele reden zu können. Diese Erfahrung, so glaubt er, kommt ihm zupass, wenn ihm die Polizisten nun ihre Erlebnisse, Sorgen und Ängste schildern: "Da sitzt einer vor mir, der weiß, worum es geht."

Verbandsabzeichen sind für den Seelsorger schöne Andenken an die Orte seines Dienstes. Die Namensbänder stammen noch aus seiner Militärzeit.
Verbandsabzeichen sind für den Seelsorger schöne Andenken an die Orte seines Dienstes. Die Namensbänder stammen noch aus seiner Militärzeit. © Norbert Millauer

Sorgen und Ängste gab es nicht zu knapp im vergangenen Jahr, als die Welle der illegalen Migration drohte, über Berggießhübel und den anderen Grenzinspektionen zusammenzuschlagen: Wie händeln wir das? Wer unterstützt uns? Was sind die Prioritäten? Fragen, die sich die Beamten täglich gestellt hätten, sagt Schmidt. "Jeden Tag wartete ein riesiger Berg Arbeit auf sie."

Polizisten beschäftigt die Sinnfrage

Eine Frage, sagt der Pfarrer, wurde so wichtig, wie lange nicht: Die Frage nach dem Risiko, das man bereit ist einzugehen, um den dienstlichen Auftrag zu erfüllen. Flucht vor der Kontrolle, halsbrecherische Fahrmanöver, Bedrohung mit Waffen, körperliche Gewalt - die Schleuser schienen vor nichts mehr zurückzuschrecken. "Auf Streife zu fahren und zu wissen, dass es zur Lebensgefahr kommen kann - diese Dauerbelastung macht etwas mit den Leuten."

Schmidt sagt, dass in der Unterhaltung mit den Polizisten mehr und mehr grundsätzliche Dinge eine Rolle gespielt hätten, Sinnfragen, Fragen nach dem, was die Gesellschaft erwartet, nach dem, was die Politik will. Der Pfarrer kann das sehr gut nachvollziehen. "Jeden Tag, den man die Uniform anzieht, muss man sich im Klaren darüber sein, warum man das tut."

Hier sieht Wolfram Schmidt die Vorgesetzten und das politische Personal in der Verantwortung. Sie müssten kommunizieren, müssen erklären, warum welche Entscheidung wann getroffen wird, und was sie für den Einzelnen bedeutet. Kommunikation sieht er als Schlüssel zur seelischen Gesundheit der Polizisten. "Je besser das gelingt, um so eher werden sie sagen: Das hat Sinn, das ist mein Job."