Dresden-Film: Opfermythos in Sandstein?

Dresden. Natürlich haben die Stadtplaner die Pegida-Bewegung nicht heraufbeschworen und auch nicht der AfD Vorschub geleistet. Anja Heckmann vom Dresdner Stadtplanungsamt weist diesen Gedanken vorsichtig von sich. Sie glaubt das nicht. Es war Bürgerwille, dass die Frauenkirche wiederaufgebaut wurde. Es gab Diskussionen, es gab Widerstände. Aber hat dieser Wiederaufbau , hat die historisierende Enge mit ihren pseudobarocken Fassaden am Dresdner Neumarkt die Geister der Vergangenheit geweckt? Der Film „Wohin mit der Geschichte?“ von Hans Christian Post geht dieser Frage nach. Denn seit den Aufmärschen der Pegida-Bewegung ist nicht zu übersehen, dass es den Rechten gut gefällt, ihre Wut auf Ausländer, Regierung und Medien vor den touristisch markanten Gebäuden im Stadtzentrum zu inszenieren.
Hans Christian Post spricht mit Stadtplanern und Denkmalschützern, Politikern verschiedener Fraktionen. Er lässt den Trompeter Ludwig Güttler, den Initiator des Wiederaufbaus der Frauenkirche, und den Künstler Manaf Halbouni zu Wort kommen, der im Februar 2017 drei Busse hochkant als „Monument“ vor der Frauenkirche aufstellen ließ. Pegida-Demos und die Menschenkette am 13. Februar sind zu sehen. Die AfD feiert ihren Erfolg bei der Landtagswahl und wiederholt ihre Forderung nach einem würdigen Denkmal zur Erinnerung an die Opfer des Bombenangriffs. Dem widersprechen Linke Aktivisten, die ihre Gesichter aus Angst vor der Polizei nicht zeigen wollen.
Was ist in Dresden schiefgegangen?
Kommentiert wird nichts. Manchmal sind es die Bilder, die in ihrer Überlagerung das Gesagte einordnen. Und mancher Interviewte ist gut platziert. So steht NPD-Mann Jens Baur am Dresdner Altmarkt. Im Rücken hat er die steinerne Gedenk-Bank mit dem Schriftzug, der an die Opfer des Bombenangriffs von 1945 erinnert.
Post gibt auch den Erinnerungen von Harald Bretschneider Raum, der den Bombenangriff 1945 als Kind überlebte und viele Jahre als Landesjugendpfarrer arbeitete. Sachsens ehemaliger Landeskonservator Gerhard Glaser erzählt, wie er Dresden 1955 erlebte, als er in die Stadt kam, um Architektur zu studieren. Bilder der Zerstörung 1945, von der Frauenkirche als Ruine, und der Prager Straße aus den 70er- und 80er-Jahren deuten den Weg an, den Dresden bis zur deutschen Wiedervereinigung ging.

Aber was ist in Dresden schiefgegangen? Am deutlichsten werden Nora Goldenbogen, lange Jahre Vorstand der Jüdischen Gemeinde Dresden, und der Historiker Matthias Neutzner. Goldenbogen sagt, dass der Neumarkt nur eine Illusion von Geschichte erzeugt und sie froh sei, dass sich die Jüdische Gemeinde gegen eine Rekonstruktion der von den Nationalsozialisten zerstörten Sempersynagoge und für eine heutige Architektursprache entschied.
"Zerstörung verweist auf Mitverantwortung"
Neutzner meint, es sei nicht klug gewesen, die Zerstörungssituation vollständig zu leugnen. „Zerstörung verweist auf Mitverantwortung“, sagt er. Die Bombardierung am 13. und 14. Februar 1945 mit 25.000 Toten war die größte Katastrophe in der Stadtgeschichte. Dass die Zahl der Opfer jahrzehntelang umstritten war, hängt, so Neutzner, damit zusammen, wie die Bombardierung der Stadt von den Nationalsozialisten instrumentalisiert wurde und wird. „Diese Ereignisse wurden mit einem doppelten Superlativ verknüpft“, sagt er.
Behauptet wurde, dass die Kulturstadt Dresden, von universalem Wert für die Menschheit, in einem noch nie dagewesenen Akt der Zerstörung ausgelöscht wurde. Mit emotional starken Bildern und überhöhten Totenzahlen wurde ein Opfermythos erzeugt wie bei keiner anderen der im Zweiten Weltkrieg stark zerstörten Städte. „Entscheidend war die politische Instrumentalisierung“, sagt er.
Dresden, die übercodierte Stadt
Von außen holt der Filmemacher die Meinung des Architekturtheoretikers Stephan Trüby ein. Trüby spricht am Berliner Fernsehturm stehend darüber, dass Dresden eine übercodierte Stadt sei, die seit Jahren versuche, ihre Identität künstlich zu verstärken. Aber Übercodierung führe zu Fremdenfeindlichkeit. Dresden sieht er als Initialzündung für Rekonstruktionen wie die Frankfurter Altstadt und das Berliner Stadtschloss . Auch das Areal am Alexanderplatz hat das Potenzial zum Streitfeld: Soll es ein offener Platz ähnlich dem Central Park in New York werden oder wird dort kleinteilig Berliner Altstadt wieder aufgebaut?
Eine klare Antwort auf die Frage, ob und wie das historisierende Baugeschehen den Rechtsruck in der Gesellschaft befördert hat, bleibt der Film schuldig. Hans Christian Post sagt im Gespräch mit der SZ: „Beweise dafür lassen sich nicht finden.“
Aber das Nachdenken über den Phantomschmerz, der über Generationen in vielen Dresdner Familien existiert, muss weitergehen. Matthias Neutzner meint, eine Kulturstadt brauche unbedingt auch eine produktive Debattenkultur.
Manchmal braucht es dafür einen Anstoß von außen, wie diesen Film des Dänen Hans Christian Post. Er hat sieben Jahre in Berlin gelebt, Literatur- und Kulturwissenschaften studiert, seine Abschlussarbeit über den Wiederaufbau der Dresdner Frauenkirche geschrieben und viel Zeit in Dresden verbracht. Nun lebt er in Kopenhagen und dreht derzeit einen Film über die dänische Hauptstadt. Vermutlich wird auch dieser Streifen sich mit einem Mythos auseinandersetzen. Gilt Kopenhagen doch als beste und lebenswerteste Stadt der Welt.