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Das Erfolgsgeheimnis der Menschenkette

Das Dresdner Gedenken zum 13. Februar könnte zum Vorbild werden für den Protest der Demokraten gegen Rechtsextremismus. Ein Kommentar.

Von Heinrich Löbbers
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© [M] Jürgen Lösel; SZ

Wieder mal stehen Dresden ungemütliche Tage bevor. Wie immer rund um den 13. Februar, an dem die Stadt ihrer Zerstörung vor nunmehr 79 Jahren gedenkt. An diesem Sonntag wollen wieder Rechtsextreme in einem „Trauermarsch“ durch die Stadt ziehen, am Montag gibts die übliche kleine Montagsdemo, und auch am Dienstag, dem eigentlichen Gedenktag, wird es nicht nur versöhnlich gesinnte Aktionen geben.

Alle Dresdner Bürgermeister, von CDU bis Linke, rufen auf, sich am Sonntag den Rechtsextremen friedlich, aber entschlossen entgegenzustellen. Welch seltene Einigkeit. Dort ist allerdings auch „ziviler Ungehorsam“ angekündigt, es könnte Blockaden geben, auch Konfrontationen. Hunderte Polizisten sind im Einsatz. Hoffentlich bleibt es friedlich.

Das ist nicht jedermanns Sache. Noch bevor der eigentliche Gedenktag überhaupt angebrochen ist, werden sich möglicherweise manche Gutwillige abwenden. Man kann nur hoffen, dass sich nicht allzu viele davon abhalten lassen, am Abend des 13. Februar zur Menschenkette zu kommen. Auch dieses Jahr werden sich wieder viele Menschen rund um das Stadtzentrum an den Händen fassen und um Punkt 18 Uhr kurz innehalten. Es ist alljährlich ein eindrucksvolles Zeichen für Frieden und Versöhnung. Und ein symbolsicher Akt, um die Stadt vor denen zu schützen, die das Gedenken missbrauchen.

Der Streit um das richtige Gedenken

Gewiss, auch das ist ein Ritual geworden, manche halten es inzwischen für eine hohle, fast kitschige Geste. Doch wann war sie so nötig wie heute, wo unser Rechtsstaat bedroht ist von Rechtsextremisten, die zumindest in Sachsen eine reale Machtoption haben. „Nie wieder ist jetzt“ lautet eine der Parolen bei den vielen Demonstrationen für die Demokratie, die es gerade überall im Land gibt. Dieses „Jetzt“, das ist auch der 13. Februar in Dresden. Der Tag lässt sich ja nicht angemessen begehen, ohne vor der AfD und anderen Rechtsextremisten zu warnen, deren führende Vertreter vom „Schuldkult“ schwafeln und eine „erinnerungspolitische Wende um 180 Grad“ fordern. Dresden 1945 mit all dem Leid, den Trümmern, den vielen Toten war schließlich das Ergebnis der 1933 gewählten Zerstörung von Rechtsstaat und Demokratie, von Selbstüberhöhung, Menschenverachtung und Rassenwahn, wie es der Bundespräsident richtig formulierte.

Gedenken und Protest sind zum Glück vielfältig. Nur leider tut sich die demokratische Stadtgesellschaft immer wieder schwer, eine gemeinsame Form zu finden. Die Debatte darum ist mindestens so anstrengend wie die um den richtigen Umgang mit der AfD. Dabei ist nach jahrelangen Streitereien mit der Menschenkette ein kleinster gemeinsamer Nenner gefunden. Ob der die größtmögliche Wirkung hat, darüber lässt sich diskutieren. Wie viele Tausend sich auch einreihen, sie sind in vielen Punkten nicht einer Meinung, doch einig in dem einen Ziel: die demokratische, offene, tolerante Gesellschaft zu schützen vor jenen, die dieses „System“ abschaffen wollen.

Zwischen Unternehmerverband und Antifa

„Alle zusammen gegen den Faschismus“, rufen sie bei den Massendemonstrationen dieser Tage. Vereint in Vielfalt. Es geht nicht um politische Programme, viele sind zum Beispiel nicht für völlig offene Grenzen, Abschiebestopp oder sonstige Forderungen, die dort von manchen erhoben werden. Weil es aber um etwas gemeinsames Größeres geht, muss man das aushalten und über Differenzen hinwegsehen. Es ist ein bürgerlicher Protest. Keine Gruppe sollte meinen, die Teilnehmer seien allesamt ihre Unterstützer. Nicht Fridays for future, nicht Mission Lifeline, nicht Gewerkschaften oder Unternehmerverband. Schon gar nicht die Fahnen schwenkende Antifaschistische Aktion. Und nicht einmal die lieben „Omas gegen rechts“.

Apropos „rechts“: ja, es muss korrekterweise rechtsextrem oder rechtsextremistisch heißen. Selbstverständlich muss man sich politisch rechts einordnen können, so wie links oder mittig, ohne in Nazi-Verdacht zu geraten. Offenbar wird es von manchen missverstanden, wenn es nur „gegen rechts“ geht. Muss ja nicht sein. Und wenn jemand die Gruppe „Rechte gegen Rechtsextremismus“ gründen will – bitte schön!

Werden es 10.000, 20.000 oder 40.000?

So, wie es die Dresdner Menschenkette geschafft hat, der breiten Masse eine Plattform des Gedenkens zu bieten, so machen die Demos dieser Tage in Stadt und Land deutlich, dass viele – auch rechte – Demokraten aufstehen und eigene Interessen hintanstellen, wenn die Demokratie in Gefahr ist. Das kostet Kraft und Nerven. Doch die Erfahrung, nicht allein, sondern in der Mehrheit zu sein, gibt Zuversicht.

Das bringt doch sowieso nichts, sagen manche. Eine Demonstration kann eben immer nur Meinungsäußerung sein. Man sieht aber gerade, wie es die Stimmung im Land beeinflusst. Und wie die AfD nervös wird, weil ihre Erzählung vom unaufhaltsamen Aufstieg bröckelt.

Wird sich dieser Schwung der jüngsten Demos nun auch zum 13. Februar zeigen? Werden sich in die Menschenkette am Dienstag 10.000 wie in Vorjahren einreihen, 20.000 oder, wie etwa die TU-Rektorin hofft, gar 40.000? Demokraten sollten sich nicht überschätzen. Solche Massen sind schwer vorstellbar. Aber man lässt sich ja gern eines Besseren belehren.