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Gedenken an die Bombennacht von Dresden: "Wir wollen uns mit Würde erinnern"

13.000 Menschen halten sich am Dienstagabend in Dresden an den Händen. Mit der Menschenkette wollen sie am Jahrestag der Zerstörung der Stadt an das Leid erinnern – und die Demokratie schützen.

Von Theresa Hellwig & Sandro Pohl-Rahrisch & Alexander Schneider & Andreas Weller & Georg-Dietrich Nixdorf & Connor Endt
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„So etwas darf nie wieder passieren“: Teilnehmer des Gedenkens am Abend vor der Dresdner Frauenkirche.
„So etwas darf nie wieder passieren“: Teilnehmer des Gedenkens am Abend vor der Dresdner Frauenkirche. © Foto: SZ/Veit Hengst

Dresden. Es ist 18 Uhr, als sich die Kette an diesem 13. Februar um die Dresdner Altstadt schließt. Vor 79 Jahren war am späten Abend dieses Tages die alte Kunst- und Kulturstadt im Bombensturm versunken. Die barocke Perle an der Elbe ging unter und mit ihr, laut wissenschaftlichen Erkenntnissen, etwa 25.000 Menschen. Verglüht, verbrannt, erstickt.

79 Jahre später steht Constanze Geiert mit ihren Kindern in der Nähe des Kulturpalastes und wartet darauf, sich in die Menschenkette einzureihen. Sie machen das schon immer so, sagt sie. Der 13. Februar ist ein Tag, an dem für sie das Gedenken im Mittelpunkt steht. "So etwas darf nie wieder passieren", sagt Constanze Geiert, und sie sagt noch etwas: "Aber wir wissen auch, wer daran schuld war."

„Wissen, wer schuld war“: Constanze Geiert mit ihren Kindern vorm Kulturpalast.
„Wissen, wer schuld war“: Constanze Geiert mit ihren Kindern vorm Kulturpalast. © Alexander Schneider

Nicht weit von ihr entfernt steht die 75-jährige Birgit Kunef. Ihre Eltern haben die Angriffe erlebt, sagt sie. Auch Birgit Kunef wird Teil der Menschenkette an diesem Abend, mit ihrer Enkelin. Ihre tiefste Empfindung wird sie aber später spüren. Wenn die Glocken läuten. "Dann mache ich immer die Fenster auf." Nie wieder darf so etwas passieren, sagt sie. Birgit Kunef hat an den großen Demonstrationen der vergangenen Wochen teilgenommen. Es müssten mehr Menschen aus der Deckung und mit anderen ins Gespräch kommen, glaubt sie. Aber: "Unsere Demokratie ist gefestigt."

Angst vor neuen Kriegen

Begonnen hat dieser Gedenktag allerdings schon deutlich früher. Der Heidefriedhof ist einer der kontroversesten Erinnerungsorte der Stadtgeschichte. Er werde immer wieder für links- oder rechtsextreme Propaganda missbraucht, sagt Holger Hase vom Verein "Denk Mal Fort" am Dienstagvormittag. Im Hintergrund sieht man die Skulptur des "trauernden Mädchens am Tränenmeer". Diesen Leuten gehe es nicht um Diskussion, sondern darum, ihre eigene verquere Weltsicht durchzusetzen. "Wir dürfen uns sowas nicht bieten lassen. Wollen uns still und mit Würde an die Menschen erinnern."

Etwa 50 Menschen nehmen an der dezentralen Gedenkveranstaltung im Dresdner Norden teil. Untermalt wird das Gedenken musikalisch mit Klarinette und Akustikgitarre. Als Vertreter der Stadtverwaltung legt Wirtschaftsbürgermeister Jan Pratzka (CDU) eine Rose am Kriegsmahnmal ab. Dort finden sich am Dienstag auch Kränze der AfD und rechter Gruppierungen wie "Aufbruch Gera" und "Patrioten Ostthüringen".

Doch es wird nicht deren Gedenken an diesem Tag. Es gibt verschiedene Versammlungen in der Stadt, die Menschen sind unterwegs. Auf dem Postplatz etwa haben sich am Mittag eine Handvoll Frauen zu einer Mahnwache für Frieden und gegen Krieg und Gewalt versammelt. Es sind die "Omas gegen Rechts". Der Zweite Weltkrieg habe das Leid zurück nach Deutschland und Dresden gebracht, sagt Astrid Bodenstein. "Auch 2024 stehen wir weltweit vor Kriegen und kriegsähnlichen Konflikten mit ähnlichen Folgen wie 1945: Tod, Traumata und Zerstörung." Am Abend wollen sich die Frauen am Protest gegen rechtsextreme Versammlungen in der Innenstadt beteiligen. Vorher werden sie zur Menschenkette gehen.

An der wird sich auch Dynamo Dresden beteiligen. "Auch 2024 möchte die Sportgemeinschaft gemeinsam mit anderen Vereinen aus dem Dresdner Spitzensport an dieser wichtigen Tradition teilnehmen und für ein offenes, friedvolles Miteinander einstehen", hatte der Verein vorher verlauten lassen. Es gehe darum, "den Millionen Opfern der nationalsozialistischen Gewaltherrschaft mit ihrer Menschenverachtung, ihrem Antisemitismus und ihrer Intoleranz" zu gedenken.

„Wir stehen weltweit vor Kriegen“: Demonstrantinnen der „Omas gegen Rechts“ am Postplatz.
„Wir stehen weltweit vor Kriegen“: Demonstrantinnen der „Omas gegen Rechts“ am Postplatz. © René Meinig

Gegen 17 Uhr ist es an diesem Nachmittag voll auf dem Vorplatz des Kulturpalastes. Um den Dresdnerinnen und Dresdnern die Möglichkeit zu geben, die eigene Stimme zu erheben und sich für Frieden und Versöhnung auszudrücken, hat die Dresdner Philharmonie zum gemeinsamen Singen hierher eingeladen. Der Einladung sind am Nachmittag hunderte Menschen gefolgt. Chordirektor Gunter Berger leitet, die Liedtexte werden vor Ort verteilt. Die Menschen singen "Sag mir, wo die Blumen sind" von Marlene Dietrich und das Volkslied "Die Gedanken sind frei".

Auch Thomas de Maizière ist gekommen. Der frühere deutsche Verteidigungs- und Innenminister ist Präsident des Fördervereins der Dresdner Philharmonie. Singen macht stark, sagt er. Er freue sich über die "beeindruckenden Demonstrationen" derzeit im ganzen Land, die die Demokratie stärkten. Singen allein genüge aber nicht, "um Bösewichter abzuwehren". Es brauche Engagement und Diplomatie. Diplomatie brauche Demokraten.

Und auch de Maizière hat noch weitere Botschaften: "Wir dürfen uns den 13. Februar von Rechtsextremen nicht wegnehmen, nicht kapern lassen." Dresden sei nicht allein eine Opferstadt, sondern Teil des Nationalsozialismus gewesen. Die Demonstrationen bundesweit seien starke Signale, doch die Politik sei gefordert, Menschen, die Extremisten folgten, zurückzugewinnen.

„Singen allein genügt nicht“: Ex-Bundesminister Thomas de Maizière beim Bürgersingen.
„Singen allein genügt nicht“: Ex-Bundesminister Thomas de Maizière beim Bürgersingen. © René Meinig

Hilbert: „Kaum noch Zeitzeugen unter uns“

Es ist gegen halb sechs, als das Bürgersingen mit "We shall overcome" endet und Dresdens Oberbürgermeister Dirk Hilbert an das Mikrofon tritt. Er hat bereits am Morgen am Gedenkort am Altmarkt Blumen niedergelegt. Der Gedenkort stand in den vergangenen Wochen im Fokus der Öffentlichkeit. Die Stadt hatte ohne Information die Inschrift aus dem Mahnmal entfernen lassen, mit dem der Opfer der Bombenangriffe 1945 gedacht wurde. Geblieben ist eine Gedenkstele.

In seiner Rede am frühen Abend erinnert Hilbert vorm Rathaus an die Machtergreifung der Nationalsozialisten vor 91 Jahren. "Die Zeitzeugen, die bewusst erlebt haben, wie sich der Schrecken in Deutschland ausgebreitet hat, wie der Krieg Millionen ins Unglück stürzte, diese Zeitzeugen sind kaum noch unter uns", sagt er.

Am 6. November 1932 hatte die NSDAP bei den Reichstagswahlen im Wahlkreis Dresden-Bautzen fast 37 Prozent der Stimmen erhalten. "Mehr als ein Drittel aller Wahlberechtigten in der Region stimmten ohne Zwang für die Partei Adolf Hitlers." All dies sei nicht von heute auf morgen gekommen. Der Nationalsozialismus sei bei freien und demokratischen Wahlen von einem großen Teil der Bevölkerung dazu eingeladen worden, zur stärksten politischen Kraft zu werden. "Die Wahrheit ist: Die Demokratie als reine Staatsform ist kein Garant dafür, Diktaturen oder Unrechtsregime zu verhindern. Dies hat die Geschichte leider gezeigt und wir können es auch heute weltweit beobachten", sagt Hilbert.

Es geht den Menschen um ein Zeichen an diesem Tag. Und so nennt Ursula Staudinger, Rektorin der TU Dresden, die Menschenkette in diesem Jahr ein Symbol für Gemeinschaft und Wehrhaftigkeit. Sie schließt sich Hilberts Eindruck an: "Menschenverachtung, Antisemitismus, Rassismus und Verletzungen der Menschenwürde werden – so hat man den Eindruck – sind wieder salonfähig."

13.000 Menschen, so teilt es die Stadt später mit, wenden sich an diesem 13. Februar dagegen und reihen sich um 18 Uhr in die Menschenkette ein. Auch Annette Groß ist mit Familie und Enkeln gekommen. "Ich war, seit es die Kette gibt, immer dabei", sagt sie. „Ich tue alles, um meine Stadt vor Neonazis zu schützen."

Für den Dienstagabend, 21 Uhr, hatte die AfD noch zu einer Gedenkkundgebung auf dem Altmarkt aufgerufen. Die Veranstalter rechneten mit 200 Teilnehmern. Mehrere Tausend Menschen protestierten vor Ort dagegen. Einzelne Versuche von Demonstranten des linken Spektrums, Polizeiabsperrungen zu überwinden, wurden von den Einsatzkräften unterbunden. Dabei kam auch Pfefferspray zum Einsatz.

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