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Dresdner Stadträte beklagen "Maulkorbregelung"

Immer wieder gelangen Geheimnisse aus Dresdner Gremien an die Öffentlichkeit. Die Stadtspitze will das nun unterbinden, Politiker fühlen sich gegängelt.

Von Andreas Weller
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Dresdens Stadträte sollen aus nicht öffentlichen Sitzungen nichts mehr nach außen geben dürfen.
Dresdens Stadträte sollen aus nicht öffentlichen Sitzungen nichts mehr nach außen geben dürfen. © René Meinig

Dresden. Wenn Dresdens Ausschüsse unter Ausschluss der Öffentlichkeit tagen, bleiben viele Dinge trotzdem nicht geheim. Einige der ehrenamtlichen Politiker des Stadtrates veröffentlichen in sozialen Netzen Informationen und ihre Positionen.

Beides ist unzulässig, zu diesem Schluss kommt nun der für Recht zuständige Finanzbürgermeister Peter Lames (SPD). Dieser droht mit Sanktionen bei weiteren Verstößen.

Lames ist aufgefordert worden, klarzustellen, was unter die Verschwiegenheitspflicht von Ausschussmitgliedern fällt. Dazu hat Lames nun eine Stellungnahme an die Stadträte erstellt - Anlass: "permanente Twittermeldungen" aus nicht öffentlichen Ausschüssen.

Zu Lames Geschäftsbereich gehört das Rechtsamt. Die Zuarbeit dorther ist eindeutig. Laut Gemeindeordnung sind ehrenamtlich Tätige "zur Verschwiegenheit über alle Angelegenheiten verpflichtet, deren Geheimhaltung gesetzlich vorgeschrieben, besonders angeordnet oder ihrer Natur nach erforderlich ist". Demnach darf kein Stadtrat "die Kenntnis von geheimzuhaltenden Angelegenheiten unbefugt verwerten".

Ausnahmen gibt es nur, wenn die Geheimhaltung "aus Gründen des öffentlichen Wohls oder zum Schutz berechtigter Interessen Einzelner" vorliegen und dies auch angeordnet wird.

"'Live-Berichterstattung' via Sozialer Medien in der Regel gegen Verschwiegenheitspflicht"

Die Räte und auch der Oberbürgermeister und die Bürgermeister seien zur Verschwiegenheit über alle in nicht öffentlicher Sitzung behandelten Angelegenheiten so lange verpflichtet, bis der Stadtrat im Einvernehmen mit dem Oberbürgermeister die Verschwiegenheitspflicht aufhebt.

Unter diese Verschwiegenheitspflicht fallen laut Lames "sämtliche bei Mandatsausübung erlangten Informationen über Inhalt und Verlauf der Sitzung". Dies umfasst Sitzungsunterlagen genauso wie Inhalte von Präsentationen, eigene Mitschriften sowie mündliche Äußerungen und Handlungen der Anwesenden, "insbesondere auch das Abstimmungsverhalten sowohl anderer Ausschussmitglieder als auch der eigenen Person".

Selbst wenn eine Information nicht mehr der Verschwiegenheitspflicht unterliegt, müssen die Räte prüfen, ob diese der allgemeinen Verschwiegenheitspflicht unterliegt, weil es sich beispielsweise insbesondere um persönlichen Daten, Geschäfts- oder Betriebsgeheimnisse Dritter handelt oder das Bekanntwerden für die Stadt nachteilig wäre.

Dabei ist nicht nur die vorsätzliche aktive Weitergabe von geheimen Informationen untersagt, sondern auch das "fahrlässige Zugänglichmachen". Damit meint Lames das "Liegenlassen" vertraulicher Unterlagen oder den Zugriff auf städtische IT-Technik und Passwörter zu ermöglichen. "Selbst für die Aussage vor Gericht oder Behörden bedürfen Gremienmitglieder und sonstige Ehrenamtliche einer Aussagegenehmigung, wenn Informationen betroffen sind, die noch der Verschwiegenheitspflicht unterliegen", stellt Lames klar. "Nach diesen Maßstäben verstößt eine 'Live-Berichterstattung' via Sozialer Medien aus nicht öffentlich tagenden Ausschüssen in der Regel gegen die Verschwiegenheitspflicht."

Gegen die Räte, die dagegen verstoßen, kann der Oberbürgermeister ein Ordnungsgeld bis zu 500 Euro verhängen, wenn es als "schuldhafte, unverantwortliche und in hohem Maße gemeinschaftswidrige Handlung" bewertet wird. Jeder Rat kann entsprechend auch einen entsprechenden Antrag auf Verhängung eines Ordnungsgeldes gegen andere Räte stellen.

"Das Ende von Transparenz und einer bürgernahen Stadtratsarbeit"

Doch es können weitere Strafen drohen, wenn gegen die Verschwiegenheitspflicht verstoßen wird. Zwar haftet zunächst die Stadt, wenn ein Rat schuldhaft gegen die Verschwiegenheitspflicht verstößt und es dadurch zu einem Schaden bei einem Dritten kommt. Die Stadt kann diesen Rat dann aber in Haftung nehmen. Ebenso, wenn ein Schaden für die Stadt eintritt. Es sei sogar "geboten", Ansprüche der Stadt geltend zu machen. Und es können strafrechtliche Konsequenzen folgen, weil Tatbestände wie Verwahrungsbruch, Verletzung der Vertraulichkeit des Wortes, Verletzung von Privatgeheimnissen, Verletzung des Dienstgeheimnisses und einer besonderen Geheimhaltungspflicht, Verletzung des Steuergeheimnisses, Verwertung fremder Geheimnisse, Vorteilsannahme, Bestechlichkeit und Bestechung erfüllt sein können.

Das kritisieren die Stadträte der Dissidenten-Fraktion scharf. "Wenn wir uns an diese Auslegung hielten, wäre das das Ende von Transparenz und einer bürgernahen Stadtratsarbeit", so Fraktionschef Martin Schulte-Wissermann. Denn die Räte dürften nicht mehr darüber informieren, welche Änderungen sie in Ausschusssitzungen beschlossen haben.

Dass kein Rat mehr darüber informieren dürfen solle, wie er selbst abstimmt, treibe die Sache auf die Spitze. Dieses Gutachten sei der Versuch, allen Stadträten "einen Maulkorb zu verpassen" und das schränke die "Einflussmöglichkeiten der Öffentlichkeit auf Entscheidungsprozesse" massiv ein. "Der Stadtrat ist kein Geheimrat", so Schulte-Wissermann. Die Dissidenten werden auch weiterhin ihre Arbeit transparent machen, unter Wahrung schützenswerter Interessen von Außenstehenden, betont der Fraktionschef.