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Die lange Pannenliste im Grünen Gewölbe

Das Gerede von Sicherheitsstandards wie in Fort Knox erwies sich als haltlos. Jetzt bessert der Freistaat nach. Teil 2 unserer Serie zum Juwelen-Diebstahl.

Von Karin Schlottmann
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Der Westflügel des Residenzschlosses, in dem sich das Grüne Gewölbe befindet, ist verhüllt. Die Bauarbeiten sind Teil der neuen Sicherheitskonzeption – eine Konsequenz aus dem Einbruch am 25. November 2019
Der Westflügel des Residenzschlosses, in dem sich das Grüne Gewölbe befindet, ist verhüllt. Die Bauarbeiten sind Teil der neuen Sicherheitskonzeption – eine Konsequenz aus dem Einbruch am 25. November 2019 ©  dpa/Robert Michael

Der Einbruch in die "reichste Schatzkammer Europas" war eine Sache von wenigen Minuten. Ausgestattet mit einer elektrohydraulischen Rettungsschere, Taschenlampen, einer Axt, ein wenig Benzin und Diesel, zwei Fluchtautos und einem präzisen Plan nahmen die Täter die Juwelen von unschätzbarem kunst- und kulturhistorischen Wert aus dem Dresdner Schloss in ihren Besitz. Das viel gelobte Sicherheitssystem des "Museums mit Weltgeltung" bot überraschend wenig Widerstand. Die kühne Behauptung des früheren Chefs der Staatlichen Kunstsammlungen, Martin Roth, das Grüne Gewölbe sei gesichert wie Fort Knox, hat sich als haltloses Gerede erwiesen.

Entsprechend schockiert reagierte die Öffentlichkeit auf den Coup vom 25. November 2019. "Wie konnte das passieren?", fragten nicht nur viele Dresdner erzürnt am Tag danach. Es sei alles unternommen worden, was technisch möglich sei, versicherte die Generaldirektorin der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden (SKD), Marion Ackermann, nach dem Einbruch. Hundertprozentige Sicherheit gebe es aber nicht. "Unser Sicherheitssystem ist vor vier Jahren überprüft worden mit dem Ergebnis: alles bestens", verteidigte Dirk Syndram, der damalige Direktor des Grünen Gewölbes in den Tagen nach dem Coup das Museum.

Weder das Sicherheitspersonal noch elektronische oder mechanische Schutzvorrichtungen hinderten die Einbrecher daran, in das Schloss zu dringen und eine Vitrine im Juwelenzimmer mithilfe von Äxten zu plündern. Immerhin blieben den Tätern nur wenige Minuten Zeit, bevor sie entdeckt wurden. Die vom Wachdienst alarmierte Polizei traf fünf Minuten nach dem Anruf am Schloss ein. Fast zur gleichen Zeit verließen die Diebe mit dem Schmuck der Königinnen sowie Teilen der Diamantrosen- und Brillantgarnitur das Schloss und rasten mit ihrem Audi zum nächsten Fluchtwagen.

Seit diesem Tag ist das Sicherheitskonzept der Staatlichen Kunstsammlungen gründlich überarbeitet worden. Die SZ beschreibt, welche Schwachstellen die Tat erleichtert haben und und wie sich die SKD gegen derartige Gefahren schützen will:

Die Überwachungskameras

Unmittelbar nach dem Einbruch veröffentlichte die Polizei einen kurzen Ausschnitt der Aufnahmen einer Überwachungskamera im Juwelenzimmer. Das Video zeigt die wuchtigen Axthiebe der beiden Männer gegen die Vitrine. Mehr als Schatten und den Schein von Taschenlampen in dem dunklen Juwelenzimmer sind jedoch kaum zu erkennen. Für die Identifizierung der Einbrecher ist die Qualität der Aufnahmen viel zu schlecht.

Screenshot aus einem von der Polizei Sachsen veröffentlichten Überwachungsvideo zeigt zwei Personen beim Einbruch ins Grüne Gewölbe.
Screenshot aus einem von der Polizei Sachsen veröffentlichten Überwachungsvideo zeigt zwei Personen beim Einbruch ins Grüne Gewölbe. © dpa/Polizei Sachsen

Der veraltete Standard der Kameras war bereits als Problem bekannt. Bei einer Überprüfung des Sicherheitskonzepts hatten die Verantwortlichen im ersten Halbjahr 2019 die Geräte als "zu optimierende Komponente identifiziert", wie Kulturministerin Barbara Klepsch (CDU) das Problem umschrieb. Der Austausch war für das Frühjahr 2020 vorgesehen und sollte rasch passieren. Wäre die Videotechnik auf dem neuesten Stand gewesen, hätte man Sicherheitsexperten zufolge unter gewissen Umständen den Bildern auch Biometriedaten der Verdächtigen entnehmen können, also individuelle Personen-Merkmale, wie sie in Passbildern enthalten sind.

Die Vitrine

Mit etwa 50 Schlägen zertrümmerten zwei Männer das Glas mit ihrem Werkzeug und rissen den mit Angelschnur befestigten Schmuck heraus. Die Museums-Verantwortlichen reagierten ebenso fassungslos wie die Öffentlichkeit auf die Qualität des Materials. Syndram, Direktor des Grünen Gewölbes, nannte die Vitrine die Schwachstelle des Museums. Er sei davon ausgegangen, dass man eine Viertelstunde lang darauf einschlagen müsse, bevor sie beschädigt sei. Tatsächlich dauerte es nur Sekunden. Schuld sei der Hersteller. Dieser habe nicht geliefert, was er versprochen habe, kritisierte Syndram.

Anfangs hieß es, die Ausschreibungsunterlagen seien schon vor längerer Zeit vernichtet worden, sodass nicht mehr aufgeklärt werden könne, welchen Sicherheitsstandard der Freistaat im Jahr 2006 überhaupt bestellt hatte. Vor wenigen Tagen teilte das Kulturministerium mit, dass das bei der Restaurierung verwendete Glas den Vorgaben des Auftraggebers entsprochen habe. Die Leistung sei auch vom Bauherrn abgenommen worden.

Die ausgeraubte Vitrine im Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes.
Die ausgeraubte Vitrine im Juwelenzimmer des Grünen Gewölbes. © Oliver Killig/dpa

Gut möglich, dass Haushaltsdisziplin oder Denkmalschutz oder beides den Einbau von widerstandsfähigerem Sicherheitsglas verhindert hat. Die Rekonstruktion des Grünen Gewölbes unterlag hohen denkmalpflegerischen Anforderungen. Die Räume und die Ausstattung, also auch die Vitrinen, sollten als authentisches Gesamtkunstwerk wiederentstehen, antwortet Ministerin Klepsch auf eine Anfrage von Linken-Fraktionschef Rico Gebhardt, einer der wenigen Abgeordneten, die sich im Landtag um Aufklärung bemüht haben.

Die Präsentation der Kunstobjekte müsse "hohen musealen Ansprüchen" genügen. Das Glas in der Vitrine habe den historischen Glastüren im Grünen Gewölbe entsprochen und gleichzeitig die gewünschte Reflexionseigenschaft gehabt sowie eine "neutrale Farbwiedergabe" ermöglicht.

Die Außenfassade

In einer MDR-Sendung von 2014 beschreibt die Museumsleitung das Grüne Gewölbe als einen Hochsicherheitstrakt, in den niemand unbemerkt eindringen könne. Dutzende Kameras, Bewegungsmelder an der Außenwand und ein Alarmsystem bildeten das Schutzschild des Grünen Gewölbes, heißt es in dem Film. Die Bewegungsmelder, die sogenannten Fassadenscanner, haben am 25. November 2019 allerdings nicht wie gewünscht funktioniert.

Wie inzwischen bekannt wurde, haben die Täter Tage zuvor das Fenstergitter präpariert. Sie schnitten ein Loch und verklebten es, um in der Tatnacht keine Zeit zu verlieren. Diese Öffnung befand sich laut Kulturministerium in einem toten Winkel. Als sich die Männer an der Fassade und am Gitter zu schaffen machten, sei der Scanner zwar scharf geschaltet gewesen, er habe jedoch keinen Alarm ausgelöst. In der Nacht des Einbruchs, als sich die Männer erneut an der Fassade aufhielten, habe der Scanner wieder nicht reagiert, da er nicht scharf gestellt worden sei.

Beamte der Spurensicherung stehen kurz nach der Tat neben dem durchtrennten Gitterfenster des Grünen Gewölbes am Residenzschloss.
Beamte der Spurensicherung stehen kurz nach der Tat neben dem durchtrennten Gitterfenster des Grünen Gewölbes am Residenzschloss. © Sebastian Kahnert/dpa

Auf die Frage Gebhardts nach der Ursache für diese Panne verweist das Ministerium auf den Wachschutz. Dessen Mitarbeiter hätten nach einem Fehlalarm am Vortag den Scanner nicht wieder aktiv scharf gestellt. Dies sei aber notwendig, damit er funktionieren könne. Der Grund für den ominösen Alarm am Vortag habe sich nicht aufklären lassen.

"Die betreffenden Wachschutzmitarbeiter haben in dem gegen sie geführten Ermittlungsverfahren keine Angaben gemacht", schreibt Tourismusministerin Klepsch. Der Verdacht, dass die beiden in der Nachtschicht eingesetzten Sicherheitsleute an dem Einbruch beziehungsweise an den Vorbereitungen beteiligt gewesen sein könnten, habe sich bisher nicht erhärtet. Ausgeräumt ist er allerdings auch noch nicht.

Die Schlussfolgerungen

Gleich nach dem Einbruch überarbeiteten die Staatlichen Kunstsammlungen das Sicherheitskonzept auf der Basis zunächst vorläufiger Empfehlungen der Polizei sowie externer Sachverständiger. Erste Veränderungen wurden bis zur Wiedereröffnung im Mai 2020 ad hoc umgesetzt. Ein Institut für angewandte Sicherheitstechnik sowie eine internationale Expertenkommission stellten später ebenfalls ihre Expertise zur Verfügung.

Für eine verbesserte technische und materielle Ausstattung steht den Kunstsammlungen ein Betrag in mittlerer einstelliger Millionenhöhe zur Verfügung. Hinzu kommen Investitionen aus dem Haushalt des Sächsischen Immobilien- und Baumanagements (SIB). Eine hohe Sichtschutzwand weist darauf hin, dass derzeit im Grünen Gewölbe Umbauarbeiten im Gange sind, die vor den Augen der Öffentlichkeit geschützt werden. Voraussichtlich im Februar sind die Arbeiten abgeschlossen.

Fragen zu den Details des neuen Konzepts werden naturgemäß nicht beantwortet. Das Kulturministerium hat die Unterlagen als geheim eingestuft. Tatsache ist, dass der Verlust der Juwelen dazu geführt hat, dass Fragen des Eigentumsschutzes und der Sicherheit bei den Staatlichen Kunstsammlungen einen deutlich größeren Stellenwert bekommen als früher.

Derzeit ist der Westflügel des Dresdner Schlosses wegen Bauarbeiten verhüllt.
Derzeit ist der Westflügel des Dresdner Schlosses wegen Bauarbeiten verhüllt. © dpa/Robert Michael

Neben einer verbesserten technischen und materiellen Ausstattung wird es künftig zusätzliche Mitarbeiter mit entsprechender fachlicher Ausbildung geben. Eine spezielle Abteilung soll sich auf den umfassenden Schutz vor kriminellen Handlungen auf allen Ebenen konzentrieren. Für die Stelle des Abteilungsleiters suchen die SKD laut Stellenanzeige auf der Homepage Bewerber, die aus der staatlichen oder privaten Konzern- und Unternehmenssicherheit kommen. Eine der Aufgaben sind übergreifende Risikoanalysen für Aktivitäten der SKD.

Der Landeshaushalt hat drei neue Stellen für die neue Abteilung eingeplant, weitere kommen hinzu. Zwei Referenten sowie ein hochrangiger Verbindungsbeamter des Landeskriminalamtes arbeiten bereits im Team. Der Beamte, der ehemalige Leiter des Personenschutzes im Landeskriminalamt, berät Generaldirektorin Ackermann seit einem Jahr in allen Sicherheitsfragen. Es ist eine neue Qualität der Prävention, denn der Polizist bleibt Mitarbeiter des LKA und steht deshalb für eine besonders enge Kooperation zwischen SKD und Polizei.

Der Juwelen-Diebstahl - zwei Jahre danach

Zum Einbruch in das Grüne Gewölbe veröffentlicht Sächsische.de in dieser Woche eine Mini-Serie. Bereits erschienen: Was über den Dresdner Juwelen-Diebstahl bekannt ist

Was in Kürze noch erscheint:

  • Die Angeklagten: Der Berliner Remmo-Clan und die Dresdner Juwelen
  • Die Beute: Die Suche nach den Schätzen aus dem Grünen Gewölbe