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Grünes-Gewölbe-Prozess: Wie glaubwürdig sind die Geständnisse?

Der Prozess um den Einbruch ins Grüne Gewölbe Dresden könnte sich erneut verzögern. Die Staatsanwaltschaft weist erneut auf Widersprüche hin. Derweil erzählt einer, wie man auf die Diamanten kam.

Von Alexander Schneider
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Wissam Remmo stand am Freitag erneut vor dem Dresdner Landgericht.
Wissam Remmo stand am Freitag erneut vor dem Dresdner Landgericht. © Archivbild: Jürgen Lösel

Dresden. Die Staatsanwaltschaft Dresden hält den sogenannten Deal mit vier der sechs Angeklagten bisher für nicht erfüllt. Die Einlassungen der Männer seien nicht glaubwürdig. Aus der Gesamtschau der Beweisanträge von Oberstaatsanwalt Matthias Allmang ergibt sich, dass die Ankläger den Eindruck haben müssen, dass Aussagen abgestimmt wurden und schlicht falsch sind. Gerade im Falle einer Verfahrensverständigung sei es die Aufgabe des Gerichts, die Geständnisse danach zu prüfen, ob die Voraussetzungen erfüllt seien.

Am Freitag, dem 43. Verhandlungstag im Prozess um den Einbruch ins Grüne Gewölbe am Landgericht Dresden, hatten Gericht und Staatsanwaltschaft zuvor die Befragung des Letzten der geständigen Männer abgeschlossen. Der 26-jährige Wissam Remmo hat sich wie seine Mitangeklagten an Vieles nicht erinnert oder sein Schweigen damit begründet, keine Dritten belasten zu müssen. So ist etwa völlig offen, was aus den Diamanten- und Juwelen-Garnituren wurde, nachdem sie aus der Vitrine im Juwelenzimmer gerissen wurden.

In der Betrachtung aller Angaben der Angeklagten sagte Allmang nun, es sei unglaubwürdig, dass keiner der Männer etwas von den beiden Schusswaffen wissen wollte, die in dem ausgebrannten Flucht-Audi gefunden wurden oder dass die Angeklagten oft auf die angeblichen zwei unbekannten Haupttäter verwiesen, wenn sie unangenehme Fragen beantworten sollten. Offensichtlich bezweifelt die Staatsanwaltschaft die Existenz zweier Unbekannter.

Ein Zeuge werde laut Allmang belegen, dass im Pegelhaus der Augustusbrücke weder Beschriftungen noch ein Plan auslag, woraus man hätte schließen können, wohin die Stromkabel führten, wie es Angeklagte behaupteten. Wissam Remmo hatte auch gesagt, er habe vier Tage vor dem Einbruch zwei Töpfe mit je zweieinhalb Litern Ottokraftstoff im Pegelhaus deponiert, die er dann am Tattag, dem 25. November 2019, angezündet habe. So sollte der Strom im 170 Meter entfernten Residenzschloss abgedreht werden. Auch das sei nicht möglich, so Allmang, der Kraftstoff hätte sich in der Zeit längst verflüchtigt.

Neue Beweisanträge: Prozessende noch nicht absehbar

Ein Kripo-Ermittler werde darüber hinaus nachweisen, dass es nicht möglich gewesen sei, von der Chiaverigasse aus zu sehen, dass sich der Schmuck auch nachts noch in der Vitrine befinde. Auch das hatten Angeklagte ausgesagt. Es war dem Oberstaatsanwalt durchaus anzumerken, dass er sauer war. Er sagte, man habe schon Anfang Februar auf Widersprüche in den Geständnissen aller Angeklagter hingewiesen. Doch stattdessen habe die Verteidigung Schilderungen „passend gemacht“: Etwa habe Bashir Remmo behauptet, am 19. November 2019 in Dresden gewesen zu sein, obwohl er in Berlin war, so Allmang.

Mit den neuen Beweisanträgen dürfte der ohnehin auf Kante kalkulierte Zeitplan des Gerichts nicht mehr zu halten sein. Erst am Freitag war bekanntgeworden, dass die Kammer hoffte, ihr Urteil am 31. März zu verkünden. Der Vorsitzende Richter Andreas Ziegel sagte, das Gericht werde die Anträge der Staatsanwaltschaft prüfen.

Mitarbeiter zeigten Wissam Remmo die teuersten Steine

Wissam Remmo bestritt am Freitag zuvor erneut, nicht der Initiator des Einbruchs gewesen zu sein. Er sei Anfang 2019 von unbekannten Mittätern, mutmaßlich den Hauptinitiatoren, als Erster angesprochen worden, ob er an dem Einbruch mitwirken wolle. Damals sei es noch um den „Grünen Diamanten“ gegangen. Diese Pläne habe man geändert, weil der Grüne Diamant im Obergeschoss nicht mit einem Blitz-Einbruch zu erreichen gewesen sei. Er habe dann bei einem Besuch Museumsbedienstete im Historischen Grünen Gewölbe gefragt, ob die dort ausgestellten Steine echt und welche die teuersten seien. Da habe man ihm die Vitrine gezeigt, die später auch aufgebrochen wurde.

Bei einem Besuch im Grünen Gewölbe hat Wissam Remmo Mitarbeiter nach den teuersten Steinen gefragt. Daraufhin wurde ihm diese Vitrine gezeigt.
Bei einem Besuch im Grünen Gewölbe hat Wissam Remmo Mitarbeiter nach den teuersten Steinen gefragt. Daraufhin wurde ihm diese Vitrine gezeigt. © Archivfoto: SKD/David Brandt

Er, Wissam, sei an jenem 25. November 2019 jedoch nicht in das Juwelenzimmer eingedrungen. Er habe den Brand im Pegelhaus der Augustusbrücke gelegt und das Fluchtfahrzeug gefahren. Einige Tage zuvor habe er mit einer Hydraulikschere die Gitterstäbe durchtrennt. Er habe in jener Zeit erheblich Kokain und andere Drogen konsumiert.

Um Letzteres zu untermauern, verlasen die Verteidiger eine weitere Erklärung im Namen ihres Mandanten. Danach habe Wissam Remmo 2019 immer mehr in den Tag hinein gelebt, schon nach dem Aufwachen die erste Linie Kokain gezogen. Er habe sich in einer Hochphase befunden, sei auf Partys gegangen, in Casinos und Bars, um neue Erlebnisse zu suchen. Tatsächlich habe er sein „Leben nicht mehr auf die Reihe bekommen“. Ihm sei jetzt bewusst, dass er sich aufgrund des Konsums heute kaum etwas merken könne.

Ein psychiatrischer Gutachter sagte im Anschluss an die Befragung, Wissam Remmo habe einen Hang, Drogen zu konsumieren. Seine Kokain-Beeinflussung in der Tatnacht spräche aus Sicht des Psychiaters jedoch nicht für eine verminderte Schuldfähigkeit oder dergleichen. Kokain sei eine Droge, die Aufputscht und euphorisch machte, die Wirkung nehme jedoch bereits nach einer Stunde wieder ab. Möglicherweise kann Wissam Remmo mit dieser Einschätzung darauf hoffen, einen Teil seiner Strafe in einer Therapieeinrichtung zu verbringen.

Interessanter sind Neuigkeiten, die Richter Andreas Ziegel, der Vorsitzende der Jugendkammer, vor der Mittagspause mitteilte: Bei einem Einsatz von Polizeitauchern in der Spree in Berlin wurden am 18. Januar tatsächlich fünf hydraulische Rettungsgeräte gefunden. In der Regel handelt es sich um akkubetriebene Hydraulikscheren, alle von der Firma Lukas in Erlangen. Allerdings waren offenbar nicht alle Geräte auch dort entwendet worden.

Wissam Remmo hatte in seinem Geständnis nur einen Tag vor dem Tauchereinsatz angegeben, er habe solche Rettungsgeräte bei einem Einbruch in der Erlangener Firma gestohlen. Es sei geplant gewesen, mit einem solchen Gerät die Fenstergitterstäbe am Grünen Gewölbe zu durchtrennen. Er habe jedoch aus Angst davor, die Spuren könnten auf ihn zurückführen, die Geräte noch vor dem Einbruch in die Spree geworfen. Nach den Angaben des Richters stammten nicht alle dieser fünf Lukas-Geräte aus Einbrüchen in Erlangen, ein Gerät etwa, war 2016 von einer Tochterfirma in den USA hergestellt worden.

Kommenden Dienstag soll Abdul Majed Remmo befragt werden. Der 24-Jährige hatte gesagt, er habe Beihilfe geleistet, sei aber nicht in Dresden gewesen. Auch das bezweifelt die Staatsanwaltschaft. Nach Recherchen von Sächsische.de steht der Mann darüber hinaus in Verdacht, im August 2020 an einem bewaffneten Banküberfall in Berlin beteiligt gewesen zu sein.