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Beim Sandstein-Verlag sind auch auf Papier Wunder machbar

Der Sandstein-Verlag in Dresden bringt Kunst, Geschichte, Architektur einfallsreich unter die Leute und erhält dafür den Sächsischen Verlagspreis.

Von Karin Großmann
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Die nächste große Publikation aus dem Sandstein-Verlag widmet sich dem deutschen Film von 1895 bis heute und begleitet eine Ausstellung in der Völklinger Hütte. Vorgestellt werden über 120 Filme  - auch "Go Trabi Go".
Die nächste große Publikation aus dem Sandstein-Verlag widmet sich dem deutschen Film von 1895 bis heute und begleitet eine Ausstellung in der Völklinger Hütte. Vorgestellt werden über 120 Filme - auch "Go Trabi Go". © imago

Der Kulturbürger ist auch nicht mehr das, was er mal war. Was er wissen will, googelt er sich zurecht. Sein Buchregal ist wegen Überfüllung geschlossen. Mancher muss jeden Cent fürs Altersheim sparen. Den Kulturbürgerinnen dürfte das ähnlich gehen. Und trotzdem wollen Museen und andere Institute ihre Ausstellungen mit üppigen Katalogen begleiten und Aha-Erlebnisse zwischen zwei Buchdeckeln publizieren. In diesem Widerspruch steht der Sandstein-Verlag. In dem kleinen Bürohaus nahe der Elbe in Dresden werden jährlich rund siebzig Bücher hergestellt. Was müssen sie können, was andere Medien nicht leisten?

Diese Frage werde täglich neu diskutiert, sagt Christine Jäger-Ulbricht. Sie war lange Lektorin im Haus und leitet den Betrieb seit drei Jahren. „Wir wollen Inhalte optisch anders und besser aufschließen, als das in der digitalen Welt möglich ist“, sagt sie. „Wir wollen der Fachwelt neue wissenschaftliche Erkenntnisse vermitteln und zugleich den Stoff für Nichtfachleute zum Leuchten bringen.“ Spätestens an dieser Stelle fällt das Wort haptisch. Wenn Buch, dann richtig. Schön zum Anfassen und zum Anschauen. Auf einer Doppelseite Papier sind Wunder machbar.

Als nächstes Goldkunststücke aus dem Grünen Gewölbe

Dafür ist der Sandstein-Verlag berühmt, und dafür wurde er am Dienstagabend in Leipzig gefeiert. Beim Fest in der Deutschen Nationalbibliothek wurde der Sächsische Verlagspreis vergeben. Er startete 2018. Nach einer coronabedingten Pause wurden 2022 von Wirtschafts- und Kunstministerium zwanzig Verlage auf einmal prämiert. Von nun an soll es wieder regulär weitergehen – mit insgesamt 40.000 Euro in vier Kategorien. Gleich dreimal war der Dresdner Sandstein-Verlag nominiert. Der Anspruch mit Titeln aus Kunst, Geschichte, Kulturgeschichte und Architektur ist groß, die Produktion ungewöhnlich. Hier wird nichts ausgelagert wie bei ähnlichen Unternehmen. Hier arbeiten 24 Festangestellte in wechselnden Konstellationen zusammen: Buchgestalter, Lektoren, Schriftsetzer, Repro-Ingenieure, Marketingleute und andere Spezialisten.

Gerade wird der Katalog der Staatlichen Kunstsammlungen für die Ausstellung von Caspar David Friedrich im August geplant. Die Deutsche Fotothek will ihr 100-jähriges Bestehen mit einer Edition feiern. Das Grüne Gewölbe wünscht sich eine dreibändige Ausgabe für seine Goldkunststücke. Zu den jüngsten Auftraggebern gehören Museen und Galerien in Waldenburg, Freiburg, Düsseldorf, Mainz, Greifswald, Berlin, das Landesamt für Denkmalpflege Sachsen, die Stiftung Sächsische Gedenkstätten und andere Einrichtungen. Gerade kam eine Zusage aus Quedlinburg. Sandstein soll die Ausstellung des Hallenser Künstlers Moritz Götze in der Feininger-Galerie begleiten. Der Vorlauf wird immer kürzer.

Start mit einer Flugblatt-Zeitschrift

Qualität spricht sich herum. Doch die Aufträge stellen sich nicht von selbst ein. In der Regel muss man sich darum bewerben und sich durchsetzen gegen die Konkurrenz. Die Auftraggeber finanzieren einen Teil der Auflage mit. Der andere geht in den Buchhandel. Der Verlag trägt ein großes Risiko: Die Auflagen sinken, der Aufwand wächst. „Es ist jedes Mal eine Herausforderung, die Balance herzustellen zwischen dem Erlös und unseren Kosten“, sagt Christine Jäger-Ulbricht. „Auch wenn unsere Mitarbeiter nicht nach den Tarifen im öffentlichen Dienst schauen: Es sind gute Leute mit viel Erfahrung, und die sollen gut bezahlt werden.“

Der Verlag gehört sich selbst. Er begann im Spätherbst ’89 mit einer Flugblatt-Zeitschrift für das Neue Forum und entwickelte sich Schritt für Schritt weiter. Die Bereiche Neue Medien und Kommunikation gehören dazu. Für die Vermeer-Ausstellung im Dresdner Zwinger lieferte Sandstein nicht nur den zweisprachigen Katalog, sondern auch einen illustrierten Kinderführer, Werbemittel, Ausstellungsgrafik und Marketingtipps. In dieser Rundum-Betreuung sieht die Geschäftsführerin eine Chance für die Zukunft. Es wäre kein Selbstzweck. „Kunst und Kultur sollten eine viel größere Rolle in der Gesellschaft spielen“, sagt Christine Jäger-Ulbricht. „Mit den Themen unserer Bücher können wir dazu beitragen und Diskussionen anstoßen.“ Wie viele andere Kulturengagierte registriert sie den Rechtstrend in der politischen Landschaft mit Sorge.

Den Sächsischen Verlagspreis erhielt der Sandstein-Verlag für seinen „Beitrag zur Wertschöpfung und Wertschöpfungsbeziehung“. Er erzielt jährlich einen Umsatz von rund zwei Millionen Euro. Ausgezeichnet wurde auch der Leipziger Verlag Hentrich & Hentrich, der sich auf jüdische Kultur- und Zeitgeschichte spezialisiert. Für Profil und Programm wurde der Verlag Poetenladen prämiert. Er sitzt in Leipzig und macht sich um zeitgenössische Lyrik und Prosa verdient. Ein Doppelpreis ging an die Edition Wannenbuch Chemnitz und an den Klett Kinderbuch Verlag Leipzig für innovative Vermarktungsideen.

Der Verlagsname ist ein Fake

Die Ausgezeichneten können sich im März am Gemeinschaftsstand „So geht sächsisch“ auf der Leipziger Buchmesse vorstellen. Mit Preis und Präsentation schafft Sachsen einen kleinen Ausgleich für die staatliche Förderung von Verlagen, die im Koalitionsvertrag der Bundesregierung vereinbart wurde und noch immer auf sich warten lässt. Dabei wäre eine strukturelle Unterstützung nötig, wie es sie etwa für Theater gibt. Die Verlagsbranche hat mit mehreren Problemen gleichzeitig zu kämpfen: Papier- und Energiepreise steigen, Leser vertrauen häufiger den Algorithmen von Amazon und anderen Online-Diensten, die Buchhandelskonzerne kümmern sich kaum um Kleinverlage. In den Medien schwindet der Platz für Buchangebote. Der Börsenverein als Branchenverband sendet unentwegt Warnsignale: Die Vielfalt ist in Gefahr! Gerade konzernunabhängige Verlage können Verluste kaum ausgleichen. Etliche der 131 Verlage in Sachsen kämpfen um ihre Existenz. Der Verlagspreis soll die Leistungen der Branche würdigen und das Bundesland als Buchstandort stärken.

Am Rand der Veranstaltung löste Christine Jäger-Ulbricht das Rätsel um jenen Michel Sandstein, der bei Gründung des Verlags seinen Namen gab. Er war ein Fake, erfunden im rechtsverunsicherten Raum der Wiedervereinigung bei einigen Flaschen Rotwein in einer Boofe.