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Zum großen Jubiläumsjahr: Erich Kästner von A bis Z

Erich Kästner, vor 125 Jahren in Dresden geboren, ist immer noch neu zu entdecken. Wir buchstabieren uns von A bis Z durch sein Werk und sein Leben.

Von Karin Großmann
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"Emil und die Detektive" ist bis heute eines der bekanntesten Kinderbücher von Erich Kästner.
"Emil und die Detektive" ist bis heute eines der bekanntesten Kinderbücher von Erich Kästner. © dpa

Atrium: Verlag, der die Weltrechte am Gesamtwerk von Kästner besitzt. Gegründet vom jüdischen Verleger Kurt Maschler in der Schweiz 1935: „Da ich Kästner leider nicht dazu bewegen konnte zu emigrieren, emigrierte ich seine Bücher.“ Erste Veröffentlichung ist der Fortsetzungsband „Emil und die drei Zwillinge“. Der Verlag wechselt von Basel nach Wien, Amsterdam, Zürich, London und verbreitet Kästners Werke während des Zweiten Weltkriegs in über dreißig Ländern. Atrium wird 1976 an die Inhaberfamilie der Oetinger-Verlagsgruppe verkauft und gehört heute zur W1-Media-Gruppe Hamburg. In der DDR erscheinen Kästners Kinderromane ab 1956 im Kinderbuchverlag Berlin, anderes bei Eulenspiegel, Aufbau, Henschel.

Blaubuch: Kästners Kriegstagebuch. Ein sogenannter Blindband, wie ihn Verlage als Muster herstellen, blau eingebunden. 1941, 1943 und 1945 notiert Kästner in Gabelsberger Kurzschrift Beobachtungen, Rundfunknachrichten, Flüsterwitze, Geschichten von Bekannten, klebt Zeitungsartikel dazu: Material für den großen Roman über das „Dritte Reich“, der jedoch nie erscheint. Das Blaue Buch habe anfangs „aufs Sichtbarste verborgen“ zwischen viertausend anderen Büchern in seinem Regal gestanden, so Kästner. Später habe er es neben Waschbeutel, Taschenlampe und Bankbuch in der Aktentasche immer bei sich getragen. Auszüge gibt er 1961 unter dem Titel „Notabene 45“ mit nachträglicher Kommentierung heraus. Die vollständige Ausgabe erscheint 2006 aus dem Nachlass im Deutschen Literaturarchiv.

Café: Literarisches Büro, Auftragsbörse, Freundestreff, „Wartesaal der verkannten Talente“. Man lese „Berge von Zeitungen“, warte, „dass das Glück hinter den Stuhl tritt und sagt: Mein Herr, Sie sind engagiert!“. In den 1930er-Jahren steht Kästners Stammtisch in Berlin unweit seiner Wohnung: im ersten Stock des eleganten „Café Leon“ am Kurfürstendamm. Für das „Kabarett der Komiker“ im selben Haus liefert er Texte. Das „Leon“ gehört zum Neubau von Erich Mendelssohn neben dem Universum-Kino, der heutigen Schaubühne.

Erich Kästner wurde 1899 in Dresden geboren.
Erich Kästner wurde 1899 in Dresden geboren. © dpa PA (kein dpa)

Doppelgänger: Wiederkehrendes Motiv. Variiert im Kinderroman „Das doppelte Lottchen“. Ein Zwillingspaar wird nach Scheidung der Eltern getrennt, lernt sich neun Jahre später zufällig kennen und bringt die Eltern wieder zusammen. Den Stoff bietet Kästner 1937 der US-Filmfirma 20th Century Fox als Drehbuch für den Hollywood-Kinderstar Shirley Temple an. Erst 1948 schreibt er das Buch. Die Zwillinge Luise und Lotte heißen nach seiner Lebensgefährtin. Doppelgänger finden sich in zwei Romanfragmenten und in den Unterhaltungsromanen der 30er-Jahre. Als heiteres Rollenspiel etwa in „Drei Männer im Schnee“: Ein Millionär gibt sich im Grandhotel als armer Mann aus, sein Diener als Unternehmer. Für den Kästner der NS-Zeit ist die gespaltene Identität real: zwischen Sein und Schein, privatem Schreiben und öffentlichem Schweigen. „Man ist ein lebender Leichnam.“

Emil: Erster Vorname Erich Kästners, seines Vaters und des jüdischen Arztes Zimmermann, gerüchteweise leiblicher Vater des Autors. Vorname der bekanntesten Kinderfigur von Kästner. „Emil und die Detektive“ bringt 1929 einen neuen Ton in die Kinderliteratur. Soziale Schärfe, Großstadtgetriebe, Selbstbewusstsein statt Bravheit. Der zwölfjährige Emil Tischbein wird im Zug bestohlen und fängt den Dieb bei einer Verfolgungsjagd durch Berlin mithilfe neuer Freunde. Der Dieb entpuppt sich als gesuchter Bankräuber. Als Kästners Werke 1933 verbrannt und gemäß dem Katalog des „Kampfbundes für Deutsche Kultur“ aus Bibliotheken entfernt werden, heißt es: „alles außer: Emil“.

Fabian: Hauptfigur im satirischen Roman für Erwachsene „Der Gang vor die Hunde“, 1931 zensiert mit dem Titel „Fabian“ veröffentlicht. Der promovierte Germanist Jakob Fabian wird als Werbetexter entlassen und lässt sich treiben. Er beobachtet die Menschen in der Weltwirtschaftskrise Ende der 20er-Jahre: Arbeitslose, Intriganten, Mitläufer, Utopisten, Aktivisten, erstaunlich emanzipierte Frauen, kleine Leute ohne Perspektive. Fabians Freund nimmt sich das Leben, seine Geliebte geht aus Karrieregründen mit einem Filmproduzenten ins Bett. Alles ist käuflich. Nichts hat Bestand. „Der Moralist pflegt seiner Epoche keinen Spiegel, sondern einen Zerrspiegel vorzuhalten.“

Gutenachtgeschichten: Letzte Prosa der 1960er-Jahre, darunter „Der kleine Mann und die Miss“. Hauptfigur ist Mäxchen Pichelsteiner, fünf Zentimeter groß, der im Wanderzirkus auftritt und ein Filmheld wird. Der kleine Mann kommt ganz groß raus im Text eines Autors, der selbst nur 168 Zentimeter misst. Die Geschichten erzählt er zuerst seinem Sohn Thomas, 1957 geboren. Die Mutter ist Friedhilde Siebert, junge Schauspielerin und Kästners zweite große Liebe. „Weißt du: wir konnten nicht miteinander – aber auch nicht ohneeinander“, schreibt er einem Freund. Eine Zeit lang wechselt er alle fünf Wochen zwischen der Familie in Berlin und der Lebensgefährtin in München hin und her. Thomas erhält mit amtlicher Erlaubnis den Namen Kästner.

Humor: Das Erfolgsrezept. „Ich bin fast nie ernst. Es lohnt sich zu selten.“ Für Kinder schreibt Kästner freundlich und heiter. „Haben himmlischen Abend mit Pünktchen und Anton“, telegrafiert Marlene Dietrich dem Autor. „Wünschte, Sie könnten mein Kind lachen hören.“ Für Erwachsene wechselt er zwischen harmlosem Spaß, feiner Ironie und bösem Sarkasmus. Kästner beherrscht jede Spielart der Satire und schützt sich mit Spott vor den Zumutungen des Lebens. In allen Gattungen, die er bedient, finden sich Lakonie, Sprachwitz und eine lässige Schnoddrigkeit. Das Komische gehört zu Kästners Konstitution. Schon als 19-Jähriger kommentiert er eine kritische Selbstdarstellung: „Es ist zum Kotzen, gnädige Frau.“

Ida: Das liebe, gute Muttchen. Frisiert zu Hause in der Dresdner Neustadt die Nachbarinnen und vermietet einen Teil der Wohnung, um den sozialen Aufstieg des Sohns zu ermöglichen. „Ihr Leben galt mit jedem Atemzuge mir, nur mir“, so Kästner. Sie habe alles auf eine Karte gesetzt: ihn. Deshalb müsse er gewinnen, müsse „der vollkommene Sohn“ sein. Er fürchtet ihre Suizidversuche, geht mit ihr ins Alberttheater und wandern im Plauenschen Grund, schreibt ihr fast vierzig Jahre lang beinahe täglich. Mit Briefen und Karten bezieht er sie in sein Leben ein und hält sie zugleich damit fern. Er berichtet detailliert von Affären, bittet um Rat bei Manuskripten. Schickt ihr seine Wäsche zum Waschen. Die aufopfernde Mutter prägt das Frauenbild seiner Kinderromane.

Jacobsohn, Edith: Erfinderin des Kinderbuchautors Kästner. Übersetzerin aus dem Englischen. Verlegerin. Gibt nach dem Tod ihres Mannes Siegfried Jacobsohn 1926 „Die Weltbühne“ heraus. In ihrem Salon in Berlin-Grunewald trifft sich die linksbürgerliche Intelligenz. An einem der Tee-Nachmittage bittet die Prinzipalin den jungen Kästner auf den Balkon, klemmt ihr Monokel ins Auge und spricht: „Es fehlt an guten deutschen Autoren! Schreiben Sie ein Kinderbuch!“ Er fragt, warum sie denke, dass er das könne. „In Ihren Kurzgeschichten kommen häufig Kinder vor“, erklärt sie. „Davon verstehen Sie eine ganze Menge. Es ist nur noch ein Schritt. Schreiben Sie einmal nicht über Kinder, sondern auch für Kinder!“ So überliefert es Kästner. Sein Debüt „Emil und die Detektive“ verkauft sich in den ersten fünf Jahren 100.000 Mal.

Königsbrücker Straße: Gedenktafel an Nummer 66. Hier wird Kästner am 23. Februar 1899 im obersten Stock geboren. Kurz danach Umzug in Nummer 48, später in Nummer 38. In der Nachbarschaft: Bäckerei, Fleischerei, Wäscherei, Kohlenhandlung, Milchgeschäft, Apotheke … Er sei immer ein Kind der Königsbrücker Straße geblieben, behauptet Kästner in seinem Buch „Als ich ein kleiner Junge war“. Das fast obligatorische Vorwort beginnt mit: „Liebe Kinder und Nichtkinder!“ Der Band von 1957 verbindet Autobiografie, Mentalitäts- und Stadtgeschichte und freut Lokalpatrioten: „Dresden war eine wunderbare Stadt, voller Kunst und Geschichte und trotzdem kein von sechshundertfünfzigtausend Dresdnern zufällig bewohntes Museum.“ Hier habe er die Schönheit eingesogen wie Försterkinder die Waldluft. Nach dem Krieg kommt Kästner nur wenige Male nach Dresden.

Luiselotte Enderle: Langjährige Lebensgefährtin. Journalistin, Drehbuchautorin, Sekretärin des Ufa-Produktionschefs. Erste Bekanntschaft in der Leipziger Studentenzeit. Enge Beziehung ab 1939 in Berlin, dann München. Dort mieten Enderle und Kästner Anfang der 1950er-Jahre ein Reihenhaus. Die Reiseschreibmaschine steht auf der Fensterbank. Kästner arbeitet mit Blick in den Garten. Eine glückliche Verbindung von Mann und Frau hält er für unwahrscheinlich. In Ehe-Gedichten schreibt er von Misstrauen, Kälte, Hass, „die Schweigsamkeit besteht aus neunzehn Sorten (wenn nicht mehr)“. Nach seinem Tod 1974 prägt Luise Enderle mit ihrer Biografie das einseitige Bild vom netten Kinderbuchonkel, redigiert seine Briefe vor der Veröffentlichung.

Münchhausen: Jubiläumsfilm von 1943 zum 25-jährigen Bestehen der Ufa mit Hans Albers in der Titelrolle. Mit rund 6,5 Millionen Reichsmark der teuerste Unterhaltungsfilm jener Zeit. Trotz Schreibverbots erhält Kästner den Auftrag zum Drehbuch. Er kennt das Metier, bringt seine Bestseller erfolgreich auf die Kinoleinwand, kann witzige Dialoge schreiben. Mit Sondererlaubnis des Reichsfilmintendanten Fritz Hippler liefert Kästner in einer Zeit der perfekt inszenierten Propaganda die Geschichten eines Lügenbarons. Sein Pseudonym Berthold Bürger erscheint nicht im Abspann, nicht auf Plakaten und darf in Filmrezensionen nicht genannt werden. Am 14. Januar 1943 wird die Sondergenehmigung widerrufen. Von nun an gilt für Kästner ein Totalverbot.

Neue Leipziger Zeitung: Tageszeitung in der Weimarer Republik. Für Kästner ab 1924 die erste feste Anstellung nach Studium und Promotion (Thema: „Friedrich der Große und die deutsche Literatur“). Er schreibt Glossen, Gedichte, Reportagen, Theaterkritiken und Reiseberichte. Wechselt vom Feuilleton ins Politikressort, verfasst Leitartikel über Bildungspolitik oder den „Staat als Gouvernante“. Unter dem Vorwand, mit dem erotischen Gedicht „Abendlied des Kammervirtuosen“ beschädige er Beethoven, wird er entlassen. Für 200 Mark im Monat berichtet er ab 1927 vom kulturellen Leben in Berlin. Den Rausschmiss nennt er später einen „Fußtritt Fortunas“. Im Berliner Zeitungsmarkt fasst er schnell Fuß. Er ist unerhört produktiv. Als Feuilletonist pfeift er auf Gattungsgrenzen zwischen Journalismus und Literatur.

Onkel Franz: Einer der Brüder von Mutter Ida. Erfolgreicher Pferdehändler, rastloser Arbeiter, strenger Hauspascha. Franz und Paul Augustin betreiben eine Fleischerei in der Dresdner Neustadt, Hechtstraße. Paul wird Königlicher Hoflieferant für Kutsch- und Reitpferde. Franz verdient durch Pferdehandel so gut, dass er 1915 eine Villa am Albertplatz kauft – heute das Kästner-Museum – mit Garten, Remise und Pavillon. Kästner schildert das Anwesen als Kindheitsidylle. Allerdings ist er bereits 16 und wird im Freiherrlich von Fletscherschen Lehrerseminar an der Marienallee zum Lehrer ausgebildet. Für manche Millionäre in seinen Texten könnte Franz Augustin Pate stehen.

Pseudonym: Halb Spiel, halb Irreführung. Als Peter Flint schreibt Kästner heitere Sachen für die Magazine der Leipziger Verlagsdruckerei. In der NS-Zeit borgt er sich die Namen von Freunden oder publiziert unter ihren Pseudonymen. Theaterstücke, die unter den Namen Cara Gyl, Hans Brühl, Robert Neuner oder Eberhard Foerster aufgeführt werden, stammen mehr oder weniger auch von Kästner. Im Nachhinein ist sein Anteil kaum auszumachen. Er verbirgt sich auch später. Weil er seinen Ruhm als Theaterautor 1956 begründen will mit „Die Schule der Diktatoren“, einem Lehrstück über totalitäre Systeme, zeichnet er die vorher uraufgeführte Liebeskomödie „Zu treuen Händen“ als Melchior Kurtz.

Quichotte: Nacherzählung des Klassikers von Cervantes. Mit Witz und Hintersinn macht Kästner die Geschichten vom armen spanischen Edelmann, der gern etwas Besseres wäre, für Kinder mundgerecht. Es ist ihm sympathisch, dass Don Quichotte seinen verrückten Träumen folgt. Wie im Original verwechselt der Möchtegern-Ritter eine Schafherde mit feindlichen Truppen, kämpft gegen Windmühlen und verfällt der List eines Dienstmädchens. Das Buch erscheint 1956. Es ist nicht der einzige gelungene Versuch des Autors, Klassiker der Literatur radikal zu modernisieren. Auf „Till Eulenspiegel“ folgen „Der Gestiefelte Kater“, „Münchhausen“, „Die Schildbürger“, „Gullivers Reisen“.

Erich Kästner mit seiner Mutter, an der er sehr hing.
Erich Kästner mit seiner Mutter, an der er sehr hing. © ullstein bild

Resignation: Kehrseite des Humors. Verstärkt sich nach Kriegsende mit Alter und Krankheit. „Man rennt nicht ungestraft ein Leben lang mit demselben Kopf gegen dieselbe Wand.“ Kästner fehlen die gelassene Heiterkeit und die Frechheit der frühen Verse. 1955 erscheint mit „Die dreizehn Monate“ sein letztes Lyrikbändchen. Die große literarische Abrechnung mit dem NS-Staat gelingt nicht. Statt Poesie schreibt er Reden, engagiert sich als PEN-Präsident, protestiert gegen Atomkraft und Vietnamkrieg und verzweifelt am Wiedererstarken des Militarismus in der Bundesrepublik. Es klingt, als würde Kästner sich selbst zusprechen, wenn er 1953 in einer Rede vor Müdigkeit und Verzagtheit warnt: „Resignation ist kein Gesichtspunkt!“

Sekretärin: Zweiter Teil der „Versfabrik Kästner & Co“. Compagnon Elfriede Mechnig begegnet Kästner 1928 zum ersten Mal an einem Sonntag auf einer Berliner Caféterrasse. Eine Freundin organisiert den Treff. Sie redet. Kästner lächelt. Dann soll der Satz gefallen sein: „Wollen Sie mir helfen, berühmt zu werden?“ Elfriede Mechnig will. Vierzig Jahre lang bleibt sie seine wichtigste Mitarbeiterin, verschickt seine Gedichte und Erzählungen regelmäßig an rund hundert Zeitungen und Zeitschriften. Schafft mit dem Angebot eine Nachfrage. Hütet das Werk noch in ihrem Nachlass in der Berliner Akademie der Künste: Von dort kommt Kästners erstes Theaterstück „Klaus im Schrank“ zur Uraufführung 2013 nach Dresden.

Trier, Walter: Wichtigster Illustrator Kästners. Beide laufen sich in Berlin in Redaktionen, Cafés und Kabaretts über den Weg. Eine selbstironische, menschenfreundliche Weltsicht verbindet sie. Die Geschäftsbeziehung stiftet die Verlegerin Jacobsohn. Gemeinsam bringt das Erfolgsduo zwanzig Bücher heraus. Auch einige Cover stammen von Trier. Er arbeitet mit Zeichenstift, Pinsel, Kreide, Wasserfarbe und Öl. Seine Bilder kommentieren die Texte und erzählen sie weiter. 1932 und ´33 entwirft er für die Dresdner Zigarettenfirma Haus Bergmann (HB) 350 Bilder für Sammelalben. 1938 besucht Kästner den jüdischen Künstler im Londoner Exil. Ihre letzte Begegnung. Nach Kriegsende setzen sie ihre Arbeitsbeziehung zwischen München und Toronto fort. Neuausgaben illustriert heute Hans Traxler.

Uhu: Wappenvogel des Ullstein-Verlags. Das gleichnamige Magazin ist ein Mittelding zwischen Buch und Zeitschrift, berühmt für niveauvolle Unterhaltung und liberale Gesinnung. Brecht, Fallada, Hesse, Vicky Baum, Klaus Mann, George Bernard Shaw gehören zu den Autoren. Im September 1929 erscheint erstmals ein Gedicht von Kästner. In der Folge kommentiert er Einzelfotos und Bildgeschichten mit seinen Versen. Wie meist sind es scheinbar einfache Vier- und Fünfzeiler mit Kreuzreim. Keine Experimente. Selbst in Dresden, schreibt die Mutter, seien die Schaufenster voll von Uhu.

Verwertung: Mehrfach. Darin ist Kästner Profi. Gleich der erste Gedichtband „Herz auf Taille“ von 1928 versammelt Texte, die zumeist schon in Zeitungen veröffentlicht sind. Mit Ergänzungen wird daraus eine Hörfunkrevue. Diese wird umgearbeitet zur Bühnenfassung. Sie läuft 1931 im Komödienhaus an der Prager Straße in Dresden. Vor allem arbeitet Kästner multimedial. Er nutzt die neuen Medien seiner Zeit so perfekt wie wenige, prüft seine Stoffe auf Tauglichkeit für Film, Rundfunk, Bühne, Buch, schreibt sie um und um. Auch eine Sache des Honorars. Verwirrend variieren die Titel. „Emil und die Detektive“ verarbeitet Kästner zum Theaterstück. Er schreibt die erste Drehbuchfassung, Billy Wilder eine andere.

Waurich: Sergeant in Dresden. Im Juni 1917 wird Kästner aus der Lehrerausbildung zum Militär geholt. Bei Übungen auf dem Heller wird er geschunden, gequält, gedemütigt. Mit Herzbeschwerden kommt er ins Reservelazarett IV im Lahmann-Sanatorium. Der physische Schaden bleibt. „Als der Krieg zu Ende war, kam ich herzkrank nach Hause. Meine Eltern mussten ihren neunzehnjährigen Sohn, weil er vor Atemnot keine Stufe allein steigen konnte, die Treppe hinaufschieben.“ In einem Gedicht hält er seinen Zorn fest. „Er war ein Tier. Und er spie und schrie. Und Sergeant Waurich hieß das Vieh, damit es jeder weiß.“ Die Erfahrung prägt seine lebenslange Verachtung für alles Militärische, seinen Pazifismus.

Xanthippe: Gattin des Philosophen Sokrates. Inbegriff der bösen Frau. Für Kästner Horror pur. In seinem Gedicht über die Klassefrauen arbeitet er sich daran ab: „Wenn’s doch Mode würde, diesen Kröten jede Öffnung einzeln zuzulöten!“ Er spottet über die Betonwaden einer bigotten Fabrikantengattin. Über die enttäuschte Ehefrau, die sich abfindet mit der Untreue ihres Mannes. Über die Braut, die Liebe wie Sport betreibt. Die Ballettmädel, Animierdamen und Bürofräulein in seinen Gedichten sind zum alsbaldigen Verbrauch bestimmt. Öfter will eine verführt und verhauen werden. Auch im Leben sind Frauen für Kästner ein schwieriges Thema. Junge Mädchen vergleicht er mit Löwen: Sie wollen streicheln und reißen den Menschen dabei versehentlich in Stücke.

Ypern: Stadt in Flandern. Im Ersten Weltkrieg erstmals Einsatz von Giftgas. In einem Gedicht an den Sohn schreibt Kästner, er wolle ihm Kohlegruben, Marmorvillen und die weißen Kreuze von Ypern zeigen. „Ich will nicht reden, wie die Dinge liegen. Ich will dir zeigen, wie die Sache steht. Denn die Vernunft muss ganz von selber siegen.“ Kästner nennt sich einen Fortbildungsschulmeister und Urenkel der deutschen Aufklärung. Das schließt Verständlichkeit ein, Realitätssinn und den Glauben, dass Menschen zu bessern seien. Seine Hoffnung gilt den Kindern. Sie seien dem Guten noch nahe wie Stubennachbarn. Zwischen 1946 und ´48 gibt er die Jugendzeitschrift „Pinguin“ bei Rowohlt heraus.

Zillertal: Letzter Zufluchtsort. Im März 1945 zieht sich die Schlinge immer enger um Kästner und seine Freunde in Berlin. Er fühle sich wie „eine Fliege an der Leimtüte“. Hilfe kommt von Mitarbeitern der Ufa. Sie lassen sich Aufnahmen für einen Film genehmigen, der unter dem bezeichnenden Titel „Das verlorene Gesicht“ in Tirol gedreht werden soll. Kästner wird als Filmautor mit entsprechender Bescheinigung in die Gruppe geschmuggelt. In Mayrhofen im Zillertal wird geschminkt, geprobt, gedreht. Alles zum Schein. Die Filmkassette der Kamera ist leer.

Neuerscheinungen

Sven Hanuschek: „Keiner blickt dir hinter das Gesicht“. Aktualisierte und erweiterte Neuausgabe der maßgeblichen Erich-Kästner-Biografie. Carl Hanser Verlag, 528 Seiten, 34 Euro
Stefan Neuhaus: „Kästner-Handbuch“. Umfassende Darstellung von Leben, Werk und Wirkung Kästners inklusive neuester Forschungsergebnisse. J. B. Metzler Verlag, 581 Seiten, 99,99 Euro
Andreas Nolte: „Der Mensch ist gut“. Sammlung von 590 Sprichwörtern und 1.910 Redensarten, die Kästner in seinem Werk einsetzte. Verlag Königshausen & Neumann, 484 Seiten, 49,80 Euro
Remo Hug: „Lieschen Neumann will Karriere machen“. Erstausgabe von Kästners Arbeiten für das Magazin Uhu – Fotografien und die zwölf Gedichte, die er dazu schrieb. Atrium, 80 Seiten, 14 Euro
Tobias Roller: „Der Goldhügel“. Roman über Erich Kästner als Tuberkulose-Patient in einem Sanatorium am Luganer See 1962 mit Whisky, Schreibkrise und einem Fräulein. Volk Verlag, 192 Seiten, 22 Euro

"Alles Kästner" in Dresden

Ausstellung: Neue Illustrationen zu Kästners Werken. Zentralbibliothek im Kulturpalast, bis 23.3.
Filmreihe: Kästner als Drehbuchautor. Museumskino der Technischen Sammlungen. Am 23.2. „Die Konferenz der Tiere“, am 1.3. „Die verschwundene Miniatur“, am 22. März „Liebe will gelernt sein“, jeweils 19.30 Uhr
Dialognacht: Dresdner und auswärtige Autoren lesen ihre Antworten auf ausgewählte Kästner-Texte. Erich-Kästner-Haus für Literatur, 22.2., 19 Uhr
Kästner nonstop: Öffentliches Vorleseprojekt mit Tanz und Musik auf den Spuren von Kästners autobiografischem Roman „Als ich ein kleiner Junge war“ zwischen Kulturpalast und Albertplatz, 23.2., 10 bis 16 Uhr
Lesung: Sven Hanuschek stellt seine Biografie „Keiner blickt dir hinter das Gesicht“ vor. 29.2., 19.30 Uhr, Zentralbibliothek
Konzert: Pünktchen und Anton, Kulturpalast. 27.4., 16 Uhr und 29.4., 9 und 10.45 Uhr
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