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Der Sächsische Landtag wird 30 und verändert sich

Vor 30 Jahren öffnete in Dresden ein gläsernes Haus für den neuen Sächsischen Landtag. Das Gebäude demonstriert Offenheit. Jetzt wird das Haus saniert und bekommt zwei Anbauten.

Von Peter Ufer
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Visualisierung des geplanten Anbaus am Sächsischen Landtag. Baustart könnte – nach Angaben des Architekturbüros Kulka – im Mai 2025 sein. Geplante Bauzeit: drei Jahre. Erst, wenn der Neubau steht, soll die Sanierung des bisherigen Gebäudes in Angriff geno
Visualisierung des geplanten Anbaus am Sächsischen Landtag. Baustart könnte – nach Angaben des Architekturbüros Kulka – im Mai 2025 sein. Geplante Bauzeit: drei Jahre. Erst, wenn der Neubau steht, soll die Sanierung des bisherigen Gebäudes in Angriff geno © Peter Kulka Architektur

Vor dem Sächsischen Landtag dürfen alle protestieren. Es existiert keine Bannmeile. Während hinter und im Haus ein Demonstrationsverbot gilt, kann direkt vor dem Eingang in das Parlament jeder Stellung beziehen. „Das ist etwas Besonderes und war eine einmalige Chance“, sagt Peter Kulka. Der Architekt begann 1991, nachdem das Preisgericht des Architekturwettbewerbs sich für seine Arbeit entschieden hatte, das Gebäude für den Landtag zu planen. Nach der Friedlichen Revolution sei es um Transparenz für die Akteure in den neuen demokratischen Verhältnissen gegangen. Klar, schlicht, bescheiden ordnet sich der Bau mit viel Glas in die Elbpromenade zwischen Erlweinspeicher, Semperoper und Hofkirche ein. Schon kurz nachdem der Landtag als erster parlamentarischer Neubau der neuen Bundesländer vor 30 Jahren, am 12. Februar 1994, eröffnete, schien er sich zurückhaltend, leicht und zugleich elegant an den Ort und in die neue Zeit einzufügen.

Dialog der Architekturen

„Ich wollte einen Dialog der Architekturen, eine Paarbeziehung zwischen den monumentalen historischen königlichen Bauten auf der einen und einem Leichtbau der neuen Demokratie auf der anderen Elbseite“, sagt Kulka. Ihm sei es ein Anliegen gewesen, mit dem Plenarsaal ein Zeichen zu setzen und das Symbol des „Runden Tisches“ architektonisch weiterzuerzählen. Der Dreh habe darin bestanden, die Achse des Parlamentes zur Elbe hin zu verlagern, um freie Sicht für alle Richtung Stadt und Elbe zu schaffen. Der Saal biete Einblicke, Durchblicke, Ausblicke.

Dabei existiert eine Ähnlichkeit zu einem anderen Parlament, dem Bundestag in Bonn. Nach der Wiedervereinigung wurde dort nach 20 Jahren Planungs- und vier Jahren Bauzeit am 30. Oktober 1992 der neue Plenarsaal eingeweiht. Gelobt wurde die offene Architektur von Günter Behnisch. Sein Plenarsaal war heiter, hell, transparent, zeitgenössisch, repräsentativ und ohne Extravaganzen. Regierung und Bundesratsvertreter saßen den Abgeordneten nicht mehr erhöht gegenüber, sondern reihten sich in ihren Kreis ein. Am 1. Juli 1999 fand die letzte Sitzung des Deutschen Bundestages in Bonn statt, denn der zog nach Berlin. Heute befindet sich in dem Plenarsaal das World Conference Center Bonn.

Architekt Peter Kulka
Architekt Peter Kulka © Agentur

Peter Kulka, 1937 in Dresden geboren und 1965 aus der DDR geflüchtet, hatte viele Jahre in Köln ein Büro und Gebäude wie das Bosch-Haus Heidehof in Stuttgart oder das Haus der Stille in Meschede geplant und gebaut. Neben Behnisch orientierte er sich an einem weiteren Vorbild: Ludwig Mies van der Rohe. Präzision, Transparenz, Öffnung, Stahlkonstruktionen und großflächige Verglasungen, klare Linien, leichtes Tragen der Bauelemente gehörten zu seinen Markenzeichen. Und es gibt eine direkte Verbindung zum Landtag in Dresden. Bei der Weltausstellung in Barcelona baute 1929 van der Rohe den deutschen Pavillon, auf dem Boden die 40 mal 80 Zentimeter große Bodenplatte aus Travertin. Als nach der Weltausstellung das Haus in Barcelona abgerissen wurde, kaufte Sachsen diese, und sie kam 1931 in das Turmhaus des Landesfinanzamtes in Dresden, dem späteren Sitz der Stadt- und Bezirksleitung der SED, heute eines der Gebäude des Sächsischen Landtages. Als Kulka nach 1990 zurück nach Dresden kam, nahm er all diese Verbindungen und symbolhaften Zeichen als Merkmale für den neuen Landtag. Der Bau wurde national und international von der Fachpresse gefeiert und erhielt neben vielen weiteren Auszeichnungen 1994 den 1. BDA-Preis Sachsen, der überreicht wurde von Günther Behnisch.

Den Landtag von 1990 sanieren und weiterbauen

2019 beauftragte der Staatsbetrieb Sächsisches Immobilien- und Baumanagement (SIB) das Büro des Architekten mit den Planungen für die Sanierung und Erweiterung des Sächsischen Landtags. Mit 86 Jahren darf der Architekt weiterbauen, muss aber zugleich seine Architektur aus den 1990er-Jahre verteidigen. Denn sowohl der Altbau als auch der gerade mal 30 Jahre alte Neubau an der Elbe entsprechen hinsichtlich der Technik nicht mehr den Anforderungen der Gegenwart. Kulka kündigte kürzlich in einer emotionalen Rede vor der Dresdner Gestaltungskommission an: „Ich kämpfe um dieses Haus.“ Im September 2023 wurde es unter Denkmalschutz gestellt. Das bedeute hinsichtlich der Planung größte Verantwortung, meint Kulka.

Zum einen soll das Erscheinungsbild erhalten bleiben, zum anderen müssen das gesamte IT-Leitungsnetz sowie die Elektro- und Medientechnik erneuert werden. Es geht um Barrierefreiheit, Brandschutz und energieeffiziente Beleuchtung und um höhere Anforderungen an die Sicherheit. Die großen Fenstergläser werden beispielsweise zusätzlich foliert, neue ergänzt. „Ich könnte heute niemals mehr ein so transparentes Gebäude planen wie vor 30 Jahren, da die Anforderungen wesentlich vielfältiger geworden sind“, sagt Kulka.

Außerdem benötigt das sächsische Parlament angesichts größerer Parteienvielfalt mehr Platz. Dafür plant der Architekt einen Kubus im Innenhof sowie einen Anbau vor dem Erlweinspeicher mit 120 Büros. Dieser etwa 70 Meter lange dreigeschossige Neubau wird sich auf der Wiese vor dem Maritim-Hotel zwischen Plenarsaal und Kongresszentrum befinden. Im Anbau bildet sich in der Architektur das Arbeiten der Parlamentarier ab. Der Kubus im Innenhof dient der Kommunikation.

Insgesamt sollen etwa 2.000 Quadratmeter zusätzliche Bürofläche für den Landtag entstehen. Beide Neubauten erhalten grüne Dächer. Aber es gibt Kritik an den Entwürfen. Die Dresdner „Gesellschaft Historischer Neumarkt“ etwa hält das Konzept „aufgrund seines formal reduzierten Äußeren“ für wenig qualifiziert. Den Neubauten fehle die Leichtigkeit, es seien Blöcke, die sich abschotten, der Bau an der Elbe wirke wie eine Mauer. In der Gestaltungskommission gab es ebenso Kritik. Ein Stadtrat meinte, dass der Neubau einer DDR-Schule ähnele. Am Entwurf wurde daraufhin weitergearbeitet und er in der Gestaltungskommission erneut öffentlich vorgestellt.

Jede Architektur ist Abbild ihrer Zeit

Auf den Vorwurf, seine Architektur sei Anpassung, reagiert Peter Kulka emotional. Architektur sei immer ein Abbild der Zeit. Er verteidigt vehement seine Pläne. „Besonders in Zeiten wie diesen, die durch Verunsicherung und Krieg geprägt sind, fühlen wir uns verantwortlich, das Weiterbauen zu kultivieren, schlicht und uneitel. Der Blick auf das Parlament bleibt offen, das neue Landtagsensemble wird zur Stadt in der Stadt, es gibt einen Wechsel zwischen Transparenz und Masse, davor an der Elbpromenade eine lange Schlendermeile“, sagt Peter Kulka. Dies sei die Fortsetzung der Brühlschen Terrasse mit modernen Mitteln. Es wird sich zeigen, wie sich der massivere Anbau und der Kubus im Innenhof des Landtagsensembles zwischen Kongresszentrum und Semperoper eingliedern.