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Die "Fledermaus" in Dresden ist eine große Show

Großer Jubel für die heutige und opulente Inszenierung durch die Intendantin der Staatsoperette, Kathrin Kondaurow.

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An  der Dresdner Staatsoperette ist "Die Fledermaus" in einer neuen Inszenierung - hier eine Szene mit Steffi Lehmann als Rosalinde und Herren des Balletts - zu sehen.
An der Dresdner Staatsoperette ist "Die Fledermaus" in einer neuen Inszenierung - hier eine Szene mit Steffi Lehmann als Rosalinde und Herren des Balletts - zu sehen. © Pawel Sosnowski

Von Jens Daniel Schubert

Sie gehört ins Operettenhaus. Sogar die Semperoper hat sie im Repertoire. Sie ist die Königin des Genres: „Die Fledermaus“. Die Inszenierung dieses Klassikers ist Chefsache. In der Staatsoperette heißt das Chefinnensache. Doch passt sie ins heutige Konzept des Theaters? Weltoffen, tolerant und mit dem Hang zur großen Show? Kathrin Kondaurow inszenierte die Operette so. Sie verpflanzt die Story nicht einfach ins heute, sondern führt weiter, was die Autoren angelegt haben. Das Konzept ist gewagt. Das war auch zur Premiere zu spüren. Aber es geht auf. Das Publikum war zum Schluss einhellig begeistert.

Gefängniswärter Frosch darf nichts trinken!

Strauss’ „Fledermaus“ erzählt vom biederen Ehrenmann Eisenstein, der von einem anderen aufs Glatteis geführt wird. Bei einer dekadenten Soiree will er eine maskierte Schönheit verführen und gerät dabei an die eigene Frau. Die Kammerzofe indes versucht mit „den Waffen einer Frau“ aus dem Dienstboteneinerlei auszubrechen und im glamourösen Theaterleben aufzusteigen. Untergrund der groß angelegten Intrige ist bei Strauss die ökonomische Existenz. Er reflektiert, dass Wohlstand und bürgerliche Existenz latent gefährdet sind. Und dass diese Existenzängste sich Luft verschaffen in den Tabubrüchen einer exzessiven Party bei jenem Prinzen Orlovsky, der sich mit Geld alles kaufen kann. Das ist gar nicht so weit weg.

Kathrin Kondaurow, Intendantin, Staatsoperette, Dresden, hat mit der "Fledermaus" ihre zweite Regiearbeit vorgelegt.
Kathrin Kondaurow, Intendantin, Staatsoperette, Dresden, hat mit der "Fledermaus" ihre zweite Regiearbeit vorgelegt. © Pawel Sosnowski/pawelsosnowski.c

Volker Thiele hat den einen Spielort für die „Fledermaus“ geschaffen. Ein Grande Hotel, in dem die Eisensteins zu Hause sind, der Dandy von Welt absteigt und seine Party-Location findet und das auch den Rahmen für das Gefängnis bietet. Oder vielleicht das eigentliche Gefängnis ist.

Diese Art-déco-Raum-Installation zeigt Menschen im Hotel, ermöglicht Ein- und Durchblicke. Die Organisation dieses lebendigen Wimmelbildes dürfte manchen anderen Regisseur überfordert haben. Hier gelingt es und erzählt, dass die Zeit privater Abgeschlossenheit vorbei ist, ein Rückzugsraum in eigenen vier Wänden nicht existiert. Die daraus resultierende Verunsicherung der Freunde der gepflegten Operette setzt sich fort. Orlovskys Party ermöglicht Jedem alles.

Rockige Orlovsky-Party

Die Kostüme der Anke Aleith werden extravagant. Das Ballett in silbern glänzenden körperengen Overalls lässt die Grenzen von Mann und Frau verschwimmen. Im geldbesetzten großen Pelzmantel, schwarzweiß geschminkt, lasziv mit seinem Sexappeal spielend und selbst in der Stimme zwischen Counter und Bassbariton wechselnd gibt Marcus Günzel den Orlovsky. Er macht ihn zur Parade-, vielleicht zur Schlüsselrolle. Mit von Sven Helbig fürs große Orchester arrangierten Popsongs wie beispielsweise „Bad Guy“ von Billie Eilish ist man plötzlich nah an den provokanten Popsongs, deren Texte gerade viral für Erregung sorgen. Arrangement und Interpretation zeigen sie nicht als Bruch, sondern als stimmige Fortführung Strauss‘scher Intentionen.

Christian Garbosnik leitet die Aufführung musikalisch, führt Staatsoperettenorchester, Chor und Solisten zu einer überzeugenden Gesamtleistung. Den Gesang der Solisten muss man differenziert betrachten. Alle, insbesondere das Ballett, waren spielerisch mitreißend, faszinierend und lieferten große Show. Sie bedienten das Metier und schafften einen nahezu bruchlosen Übergang von Operette zum Musical und zurück. Radek Stopka setzte mit seinen Choreografien besondere Glanzlichter. Bis zur großen Orlovsky-Party waren anfängliche Verunsicherungen ob des Spielortes „Hotel“ in den Hintergrund getreten.

Rosalinde lässt ihn fallen

Mit der Gefängniswärter Frosch-Szene, die Fridolin Sandmeyer mit einem Monolog von Jan Neumann ausspielte, bekam sie neue Nahrung. Der Gag mit dem „modernen Gefängnis“ – kein Alkohol, alles ökologisch, modern, politisch korrekt – wurde schnell zu einer One-Man-Show, zur Stand-up-Comedy. Zunehmend fühlte sich das Publikum ertappt und überführt. Kurzgefasst: Wer die gute alte Zeit, in der alles seine gewohnte Ordnung, Männer und Frauen noch klare Rollen hatten, Gut und Böse definiert waren, zurückhaben will, sehnt sich zurück in das alte Gefängnis. Der Preis der Freiheit ist Verunsicherung. Entfaltungsmöglichkeiten gelten auch den Andersdenkenden, -fühlenden, -liebenden.

Kurz bevor der Abend kippt, findet Frosch wieder in seine Rolle, wird die Geschichte zu Ende erzählt. Alexander Geller als Eisenstein wird in seiner Pose als Moralapostel entlarvt und bekommt zwei Tänzerinnen in den Arm. Steffi Lehmann als resolut-emanzipierte Rosalinde lässt ihn, aber auch den sie anschmachtenden Dr. Falke (Matthias Störmer) stehen. Und Christina Maria Fercher findet als Adele ein Glück, das nicht von Gunst oder Missgunst eines Mannes abhängt.

Eigentlich eine ganz heutige Konstellation. Das Publikum feierte sie als gelungen, auch wenn bei manchem die Verunsicherung durch Frosch über den Schlussapplaus anhalten mag.

Termine: 13., 14., 27. und 28. 6. sowie 6., 7., 15. und 16. 7.; Kartentel. 0351 32042222