"Die Herkuleskeule beweist, wie lebendig Totgesagte sein können"

Generationen von Kabarettfreunden haben sich hier kaputtgelacht: Das in den Sechzigerjahren errichtete Gebäude am Sternplatz in Dresden war jahrzehntelang das Zuhause des Kabaretts Herkuleskeule. Seit 2017 hat dieses seine neue Bühne im Keller des umgebauten Kulturpalasts. Das alte Gebäude wurde vor einigen Wochen abgerissen. Hier sollen demnächst unter anderem neue Wohnungen und Geschäfte entstehen. SZ-Kolumnist Wolfgang Schaller (82), der 1970 als Autor zu Herkuleskeule kam und sie für lange Zeit leitete und prägte, erinnert sich im Interview mit Sächsische.de an alte Zeiten.
Herr Schaller, vor einigen Wochen wurde das alte Gebäude der Herkuleskeule am Sternplatz abgerissen. Was haben Sie beim Anblick der Abrissbagger gedacht?
Dass ein Stück deutscher Kabarettgeschichte einfach weggebaggert wurde. Für mich sind das fast fünfzig Jahre Heimat, die da begraben wurden. Die Keule, 1961 gegründet, ist ja sechzig Jahre alt geworden. Wir hätten uns auf die Trümmer stellen sollen, um zu zeigen: Seht her, uns gibt es noch! Nur wer die Vergangenheit kennt, kann die Zukunft gestalten.

Was ist Ihre schönste Erinnerung an den alten Bau?
Als ich ihn zum ersten Mal betrat. 1970. Ich stand da plötzlich wie ein Schüchterling vor Manfred Schubert und Gisela Grube und dem großen Hans Glauche, der mich wie einen Sohn aufnahm. Und ich dachte in diesem Augenblick: Ich gehöre dazu. Und als in den Achtzigerjahren Gerhard Polt und die Biermöseln mitten in unsere Probe hineinbayerten. Und wir Dieter Hildebrandt erklären mussten, was eine Patenbrigade ist. Und der Deutschlandfunk uns fragte, ob es bei uns Zensur gäbe, und wir privat antworteten: Ja. Und dann ins Mikrofon sagten: Nein. Hätten wir ins Mikrofon Ja gesagt, hätten die Zensoren zum nächsten Programm Nein gesagt. So war das damals zwischen Mut und Feigheit.
Und die schlimmste Erinnerung?
Das hab ich vergessen. Unser Gedächtnis löscht unschöne Erinnerungen. Da kann ich nix für.
Viele fordern, solche DDR-Architektur mehr zu erhalten. Im Kulturpalast, wo die Herkuleskeule jetzt zu Hause ist, scheint das gelungen. Hat sich die Keule dort inzwischen gut eingelebt?
Na, es wurde ja alles abgerissen, was an DDR erinnerte. Der Keulenbau hat immerhin länger überlebt als der Berliner Palast der Republik, obwohl wir nicht so schöne Lampen hatten. Wir hätten uns, glaube ich, überall eingelebt. Wir sollten ja erst in das Loch vor dem Hauptbahnhof ziehen.
Eigentlich passt die neue Kombination mit Philharmonie und Stadtbücherei doch gut zur Idee eines Kultur-Palasts: Oben Musik, links und rechts Bücher, zum Lachen geht man in den Keller…?
Kabarett gehört in den Keller, wohin sonst? Hauptsache man findet uns. Wer die Hinweisschilder im Kulturpalast erfunden hat, hatte viel Sinn fürs Filigrane, so klein sind die. Und was oben und unten betrifft: Manchmal ist die Begeisterung der Zuschauer bei uns im Kellersaal so laut, dass es über uns die Philharmoniker bei Beethovens Fünfter stört.
Viele berühmte Kabarettbühnen in Deutschland atmen den Geist der Jahrzehnte: Das Kom(m)ödchen in Düsseldorf, die Lach- und Schießgesellschaft in München, die Distel in Berlin… Wie wichtig ist diese „heimelige“ Atmosphäre fürs Kabarett?
In der Münchner Lach und Schieß sitzt man so eng zusammen, dass der eine Zuschauer zum andern sagt: Das ist mein Rücken, den Sie sich da grade kratzen. Also diesen „heimeligen“ Geist atmet unser Saal nicht. Dafür kann man besser atmen. Und ich denke, wir haben auf der Bühne genügend Geist.

Corona, Krieg und Inflation machen gerade allen Bühnen zu schaffen. Dabei wären solche Zeiten doch eigentlich die Stunde des politischen Kabaretts?
Wann schlägt die Stunde des politischen Kabaretts? Es wurde ja immer totgesagt. Die neue Keule beweist Abend für Abend, wie lebendig Totgesagte sein können. Ich bin ja der Kabarettopa, der nur manchmal noch auf dem Spielfeld steht. Aber dann bin ich so altmodisch und leiste mir eine Meinung. Ich kann die oft selbst nicht leiden. Sie macht mir nur Ärger. Aber ich hab leider keine andere.
Vergeht Ihnen in letzter Zeit auch manchmal das Lachen?
Lachen ist Wein für die Seele. Wenn das stimmt, müssten wir uns täglich mit Wein besaufen, damit die Seele all diese Krisen und Kriege und Untergangsszenarien aushält. Leider trinke ich seit fünfzehn Jahren keinen Alkohol mehr. Das bedauere ich.
Welches Rezept haben Sie, um trotzdem Ihren Humor zu bewahren?
Keins. Ich hab nie Rezepte. Ich stehe oft vor lauter Zutaten und weiß nicht, was ich daraus machen soll. Aber manchmal wird trotzdem was draus. Komisch.