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Dresdens neuer Stadtschreiber schreibt Gedichte über Trump

Interview mit Carl-Christian Elze über Gier und die Angst seiner Söhne, die ihn inspiriert. Leben kann er von den Gedichten aber nicht.

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Der Leipziger Schriftsteller Carl-Christian Elze schreibt Gedichte „zwischen Glück und Verwüstung“.
Der Leipziger Schriftsteller Carl-Christian Elze schreibt Gedichte „zwischen Glück und Verwüstung“. © kairospress

Als 28. Dresdner Stadtschreiber tritt Carl-Christian Elze dieser Tage sein Amt an. Es ist mit einer mietfreien Wohnung für ein halbes Jahr und einem Stipendium von 1.500 Euro im Monat verbunden. Elze, 49, verbrachte einen Teil seiner Kindheit im Leipziger Zoo, wo sein Vater als Tierarzt arbeitete. Der Autor studierte zwei Jahre Medizin, danach Biologie und Germanistik. Von 2004 bis 2009 war er Student am Literaturinstitut Leipzig. Er schreibt Gedichte, Prosa und Drehbücher. Sein erster Roman „Freudenberg“ erschien in Dresden in der Edition Azur und war für den Deutschen Buchpreis nominiert. Gerade kam sein Gedichtband „panik/paradies“ heraus.

Herr Elze, was hat Sie bewogen, sich als Dresdner Stadtschreiber zu bewerben?

Ich bin wahnsinnig neugierig auf die Stadt. Ich freue mich auf das Leben am Fluss, auf die Tiere und Menschen, auf die Gemälde und Brücken, auf Schätze aller Art. Ich war noch nie ein Stadtschreiber – das macht die Sache wirklich spannend für mich.

Carl-Christian Elze sucht neue Ideen für ein Buch in Dresden, wenn Gedichte entstehen, "umso besser".
Carl-Christian Elze sucht neue Ideen für ein Buch in Dresden, wenn Gedichte entstehen, "umso besser". © kairospress

Das Stipendium spielt vermutlich auch eine Rolle?

Die finanzielle Unterstützung ist für jeden Autor und jede Autorin wichtig. Deshalb nimmt man die Trennung von der Familie für eine Weile in Kauf. Aber Dresden ermöglicht den Stadtschreibern neuerdings sogar, ihre Kinder mitzubringen, indem Kitaplätze angeboten werden. Das ist bundesweit einmalig, glaube ich.

Angeblich können nur fünf Prozent der deutschsprachigen Schriftsteller vom Schreiben leben. Wie geht es Ihnen?

Von Gedichten kann man schwerlich leben. Ich habe Biologie studiert und als Lehrer gearbeitet. Von meinem Roman „Freudenberg“ konnte ich etwa ein Jahr lang leben, weniger durch Buchverkäufe, mehr durch Lesungen. Also werde ich in Dresden wieder Prosa schreiben. Darauf habe ich auch Lust, und ich habe auch schon eine Idee. Wenn hier außerdem Gedichte entstehen, umso besser.

Brauchen Sie einen Anlass zum Schreiben?

Gedichte schreibe ich meistens dann, wenn ich in einer krisenhaften Situation bin. Es muss eine große Dringlichkeit vorliegen. Dann hat das Schreiben eine heilende Wirkung. Das habe ich schon in jungen Jahren für mich herausgefunden. Gedichte beruhigen mich, sie stabilisieren mich, sie helfen mir, die Dinge besser einzuordnen. Mit Gedichten kann ich meine Ängste bannen. Ich bin an sich ein eher ängstlicher Mensch. Aber wenn ich Gedichte schreibe, habe ich den Eindruck, dass ich sehr viel mutiger bin. Prosa hat diese Wirkung nicht. Da muss ich zum Glück aber auch nicht ständig im Alarmzustand sein. Eine Prosaidee muss mich allerdings über einen langen Zeitraum faszinieren, und das ist auch nicht einfach.

Panik und Paradies stehen im Titel Ihres jüngsten Gedichtbandes. Sind das entgegengesetzte Pole des Lebens für Sie oder zwei Seiten einer Medaille?

Ich habe beides von Anfang an zusammen gedacht. Selbst wenn ich den Band mit Panik eröffne, gibt es immer wieder Zeilen, in denen paradiesische Zustände aufleuchten, auch in den schlimmsten Momenten. Die menschliche Sprache an sich ist auch immer beides: Panik und Paradies.

In düsteren Zeiten, heißt es, dürfe man keine Gedichte schreiben. Wie sehen Sie das?

Ich würde mir niemals verbieten, Gedichte zu schreiben. Aber ich würde mir immer verbieten, Gedichte zu schreiben, die ohne Bedeutung für mich selbst sind. Dann entstünde zwangsläufig irgendetwas Gedrechseltes, Totes, das andere Menschen niemals erreichen, berühren kann.

Sie schreiben: Ich steh nur am Rand und beobachte Wörter. Ein Ausdruck von Ohnmacht?

Vermutlich kennen viele Schriftstellerinnen und Schriftsteller dieses Ohnmachtsgefühl: dass all die großen, schönen, wertvollen Worte keine Wirkung entfalten. Umso mehr empört es mich, dass die Worte etwa aus dem Mund eines Donald Trump so unfassbar leicht in die Köpfe der Menschen eindringen und sie beeinflussen.

Sie erzählen Trumps Familiengeschichte in einer bösen Ballade, beschreiben ihn in einem Gedicht mit dem Zusatz „geföhnter Rattenschiss“. Warum arbeiten Sie sich an dem ehemaligen US-Präsidenten ab?

Er hat mich mit seiner Sprache in Schrecken versetzt. Durch ihn habe ich eigentlich erst als Mittvierziger zum ersten Mal begriffen, wie Faschismus funktioniert. Vorher war das etwas Abstraktes für mich. Ich konnte mir nicht vorstellen, wie ein Einzelner Millionen Menschen die Köpfe vernebeln kann, und das mit so offensichtlichen Lügen. Trump hat vorgeführt, wie so etwas funktioniert. Ich erinnere mich, dass er behauptete, er könne jemanden auf der Fifth Avenue erschießen, und es würde ihn keine Wähler kosten. Das ist ein ungeheuerlicher Satz. Aber wahrscheinlich stimmt er. Auch für die nächste Präsidentschaftswahl ist Donald Trump wieder der Favorit der Republikaner.

Könnten Sie eine Ballade über Putin schreiben?

Die intensive Auseinandersetzung mit Trump würde ich bei Putin nicht wiederholen wollen und können. Als der Band entstand, war der Ukrainekrieg noch nicht absehbar. Vielleicht wäre Putin nicht dieser Wahnsinnslügner geworden, der er ist, hätte es Trump nicht gegeben. Als US-Präsident kam er mit all seinen absurden Behauptungen nahezu ungeschoren davon. Er hat die Türen für die Lüge so weit geöffnet, dass es uns noch jahrzehntelang beschäftigen wird.

Auf der politischen Ebene sollten Fakten, Tatsachen, Glaubwürdigkeit gelten – widerspricht das der Poesie?

Gerade im Gedicht versuche ich, etwas Wahrhaftiges herauszufinden, etwas, was ich nicht schon vorher, bevor ich ein Gedicht schreibe, bereits kenne. Ein Gedicht ist für mich ein Erkenntnisinstrument und deshalb so wertvoll. Fakten und Tatsachen helfen da nicht immer weiter, aber lügen soll mein Gedicht trotzdem niemals, das steht für mich fest. Ob jemand meine Gedanken später eins zu eins nachvollziehen kann und zu den gleichen Schlüssen kommt wie ich, ist zunächst einmal offen. Zuallererst bemühe ich mich um Klarheit, Klarheit für mich selbst. Vielleicht ist das ja etwas, was auch Politik leisten sollte.

Können Sie beim Schreiben die täglichen Krisennachrichten verdrängen?

Das kann ich meistens nicht. In dem neuen Buch gibt es zahlreiche politische Gedichte. Es sind Gedanken über uns Menschen und den Wahnsinn, den wir verursachen. Wir leben in einem System, das mit seiner Gier alle und alles beherrschen will. Es ist nur auf Effizienz, Rendite und Wachstum aus. Ein Gedicht gipfelt in der schrecklichen Frage, ob die Welt nicht besser dran wäre ohne uns. Was wäre, wenn wir weg wären, egal durch welches Virus ...

Etliche Gedichte entstanden offenbar in der Hochphase von Corona.

Corona hat natürlich in den Band hineingespielt, ohne dass das C-Wort direkt fällt. Die Pandemie erreichte mit großer Wucht auch die Kinder. Sie hatten große psychische Probleme. Ich habe zu Hause eine angespannte Situation erlebt, das will ich gar nicht verhehlen. Im ersten Teil des Bandes geht es um einen Jungen, der starke Ängste entwickelt und sich ständig die Hände schrubbt, jeden Finger einzeln. In den Schulklassen geriet vieles außer Kontrolle. Die Furcht vor einer Ansteckung war riesig. Anfangs blieben die Schulen lange offen, damit die Eltern ihren systemrelevanten Berufen nachgehen konnten. Dann gab es dieses ständige Testen. Ich habe in der Zeit an einer Berufsschule unterrichtet. Das Schreiben trat fast in den Hintergrund.

Man erfährt beim Lesen etwas über Ihre Kinder, den Tod Ihres Hundes, den Verlust eines Freundes. Fällt es Ihnen leicht, Intimes öffentlich zu machen?

Es gibt die These, dass Gedichte dann stark sind, wenn sie persönlich sind – aber zu privat dürfen sie nicht werden. Es fällt mir schwer, die Grenze zwischen „persönlich“ und „privat“ zu definieren. Ich denke beim Schreiben auch nicht darüber nach, ob ich zu viel preisgebe, ob ich mich angreifbar mache. Ich möchte mich nicht schon vorher zensieren, sondern erst einmal angstfrei mit meinen Gefühlen und Gedanken umgehen. Am Ende vertraue ich darauf, dass ich mit den Gedichten, die mein eigenes Leben betreffen, andere Menschen erreichen kann. Bei Lesungen merke ich, dass gerade die Gedichte über die Ängste meines Sohnes die Zuhörer stark berühren. Im besten Fall erkennen sie eigene Erfahrungen wieder.

Das dürfte auch zutreffen, wenn Sie schlaflose Baby-Nächte als „Folterkammer“ und „Eheverschrottung“ beschreiben – und dann jeden Morgen das neue Erstrahlen.

Und wie schnell man das wieder vergisst, diese unglaublich anstrengenden Zeiten! Dann schaue ich nach Jahren in die Gedichtbände wie in Tagebücher und staune selbst.

Das Gespräch führte Karin Großmann.

  • Antrittslesung von Carl-Christian Elze am 29. Juni, 19.30 Uhr, in der Hauptbibliothek im Kulturpalast.
  • Das Buch „panik/paradies“ erschien im Verlagshaus Berlin, 22,90 Euro