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Kunst für Sachsen: Ein Garten für die Zukunft

In einer Serie stellen wir Erwerbungen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden vor. Heute: die Video-Installation „This is the future“ von Hito Steyerl.

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Das Dresdner Albertinum auf der Brühlschen Terrasse beherbergt die Gemäldegalerie Neue Meister und die Skulpturensammlung ab 1800.
Das Dresdner Albertinum auf der Brühlschen Terrasse beherbergt die Gemäldegalerie Neue Meister und die Skulpturensammlung ab 1800. © Christian Juppe

Von Hilke Wagner

Grelle, übersättigte Farben, ein rauschender Fluss unscharf-wabernder Bilder, dazu parallel verlaufende komplexe Erzählstränge: Hito Steyerls Video „This is the Future“ ist auf den ersten Blick eine überwältigende Herausforderung. Erst beim zweiten oder dritten Schauen des 16-minütigen Films schälen sich die unterschiedlichen Geschichten heraus. Sie kreisen um die menschliche Sehnsucht nach Kenntnis der Zukunft und erzählen von Heja, einer Frau, die sich auf die Suche nach einem Garten macht, der in der Zukunft versteckt ist.

Von der Illusion ins Hier und Jetzt

Ausstellungsansicht von Hito Steyerls Arbeit This is the Future" im Albertinum
Ausstellungsansicht von Hito Steyerls Arbeit This is the Future" im Albertinum © SKD

Die Videoinstallation verbindet malerische Pflanzenmotive, die durch Algorithmen generiert werden, mit Fragen zur manipulativen Rolle von Internet und digitalen Zukunftsprognosen. Steyerl sieht in ihnen eher „sich selbst erfüllende Prophezeiungen“ der Gegenwart als tatsächliche Blicke in die Zukunft. Letztlich geht es um das Hinterfragen von Sinn, Methoden, Zielen und Gefahren von Zukunftsprognosen, deren computergesteuerter Verfahren sich die Künstlerin bei der Bildgenerierung selbst bedient: „Diese Simulationen sind ja nicht wahnhafte Abbilder einer eingebildeten, nicht vorhandenen Realität, sondern die Werkzeuge, mit denen die morgige Realität hergestellt wird.“Erstmals geriet „This is the Future“ im Rahmen der Vorbereitungen des deutsch-russischen Ausstellungsprojektes „Träume von Freiheit. Romantik in Russland und Deutschland“ in den Fokus unseres Interesses. Nicht nur die Rolle der Natur, die in Pflanzen projizierten Hoffnungen, schienen uns passend, sondern auch die Erzählung um die Protagonistin. Heja berichtet, wie die Insassinnen eines türkischen Frauengefängnisses gegen alle Vorschriften heimlich Pflanzen züchten. Für uns wäre diese Arbeit damals ein wichtiger zeitgenössischer Verweis auf die Tatsache gewesen, dass auch die Romantiker in Deutschland und Russland ihre Träume von Freiheit in unfreien Zeiten träumten. Dass Hito Steyerl einer Teilnahme an der Ausstellung im Putin-regierten Russland jedoch bereits 2020 trotz ihres grundsätzlichen Respekts für das Ausstellungsprojekt nicht zustimmte, vermittelt einen Eindruck von der stets konsequenten Haltung der Künstlerin. Die 1966 in München geborene Hito Steyerl ist eine der bedeutendsten zeitgenössischen Künstlerinnen und eine kritische Stimme in aktuellen politischen Diskursen. In ihren Arbeiten setzt sie sich mit audiovisuellen Medien und digitaler Kommunikation, Datenkapitalismus und -technik in der globalisierten Welt auseinander. Dabei verbindet sie sinnliche Präsenz mit einem hohen theoretischen Niveau, ist unterhaltsam und nicht selten ironisch-humorvoll. Auch technisch faszinieren ihre Arbeiten. So weicht die Videoprojektion am Ende von „This is the Future“ völliger Transparenz und gibt den Blick auf die Installation „Power Plants“ frei. Von der filmischen Illusion ins Hier und Jetzt katapultiert, sehen wir LED-Screens mit KI-gesteuerten Pflanzen. Aus einer dystopischen Brache erwächst neues Leben, ein utopischer Paradiesgarten mit anspruchslosen Pflanzen, denen verschiedene Heilkräfte zugeschrieben werden: ‚Malva Neglecta‘ wirkt gegen Autokraten, ‚Sisymbrium altissimum‘ gegen Hass und Hetze in den sozialen Medien.

Hilke Wagner leitet das Dresdner Albertinum seit 2014.
Hilke Wagner leitet das Dresdner Albertinum seit 2014. © sächsische zeitung

Hito Steyerl, Filmemacherin, Autorin und Künstlerin, kommt ursprünglich vom Dokumentarfilm und bezeichnet sich selbst als Dokumentaristin. „Mich interessiert die Realität oder die Art, wie Realität momentan technologisch oder politisch generiert wird.“ Auch das macht diese Installation für das Albertinum so bedeutsam. Erworben wurden beide Werke auf unseren Wunsch von den Freunden der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden e.V. Museis Saxonicus Usui (MSU). Sie sind dauerhaft im ersten Obergeschoss des Albertinums zu sehen. Damit ist das Albertinum das erste deutsche Museum, das eine Installation von Steyerl durchgängig zeigt.

Dass der MSU, der große Förderverein der SKD, dies ermöglicht hat, dafür sind wir sehr dankbar. Kunst der Gegenwart anhand relevanter Beispiele für die Gegenwart zu bewahren, gehört zu unseren musealen Aufgaben. Dies ist jedoch nur mit Hilfe unserer Förderkreise und anderer Förderer möglich. Neben MSU leistet hier für das Albertinum insbesondere die „Gesellschaft für Moderne Kunst in Dresden“ seit Jahrzehnten Immenses, sowie in kleinerem Maße auch „Paragone“, der Freundeskreis der Skulpturensammlung, und die „Freunde des Albertinums“. Unsere eigenen Ankaufsmittel sind meist für eine andere, geradezu historische Aufgabe gebunden: Für den Ankauf von Werken, die die Sammlung im Rahmen der Nazi-Aktion „Entarte Kunst“ 1937 verlor. Während man mit dem Schließen dieser in die Sammlung gerissenen Wunden im Westen direkt nach Kriegsende begann, bleibt dies für ostdeutsche Sammlungen eine Hauptaufgabe. Bei den hier aufgerufenen Preisen geht auch das nur mit Drittmitteln, aber schon der Eigenanteil bindet unser Budget meist auf Jahre. Umso wichtiger ist daher die Unterstützung durch unsere Freundeskreise. Es ist ein wunderbarer Ausdruck bürgerlichen Engagements – für unsere Sammlung, die ja den Bürgerinnen und Bürgern gehört: Denn für sie und kommende Generationen pflegen, bewahren, vermitteln und erweitern wir mit Freude und Hingabe!

  • Hilke Wagner ist Direktorin des Albertinums und der Skulpturensammlung ab 1800 in den SKD.