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Marius Müller-Westernhagen: Mit Pfefferminz bleib’ ich dein Prinz

Deutschrocker Marius Müller-Westernhagen räumt seit Jahrzehnten ab. Am Mittwoch wird er 75 und kommt im Sommer für ein Konzert nach Dresden.

Von Andy Dallmann
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Marius Müller-Westernhagen vor einem Jahr bei einem TV-Auftritt in Hürth. Im August wird der Musiker, der am Mittwoch 75 Jahre alt wird, bei den Dresdner Filmnächten am Elbufer spielen.
Marius Müller-Westernhagen vor einem Jahr bei einem TV-Auftritt in Hürth. Im August wird der Musiker, der am Mittwoch 75 Jahre alt wird, bei den Dresdner Filmnächten am Elbufer spielen. © dpa

Der „Pfefferminzprinz“ klebt förmlich an ihm. Ebenso ein Song wie „Dicke“. Beide Nummern gehörten in den 80er-Jahren zum festen Repertoire einer jeden Party im Dresdner Studentenclub Bärenzwinger. Damals, als Partys noch Disco hießen und die Mauer unüberwindlich schien, hatte Marius Müller-Westernhagen längst auch flächendeckend den Osten erobert. Zumindest im Bärenzwinger konnten alle seine Hits mitsingen. Was regelmäßig zur spontanen Bildung eines wild tanzenden Chores führte, der jedoch eher brüllte, als dass er sang.

Damals hatte Westernhagen noch keine Ahnung, wie beliebt er in der DDR war. Das änderte sich sofort nach deren Untergang, als der Deutschrocker erste Konzerte wie etwa Anfang 1990 in der Werner-Seelenbinder-Halle in Berlin-Prenzlauer Berg gab. Als er im Oktober 2015 in der Dresdner Messe spielte, blieb der Eindruck für ihn wohl eher ambivalent.

Marius Müller-Westernhagen beim Dresden-Konzert am 22. Oktober 2015 in der Messe.
Marius Müller-Westernhagen beim Dresden-Konzert am 22. Oktober 2015 in der Messe. © Agentur

Auf Facebook schrieb er zwar: „Vielen Dank Dresden – eine wunderbare Stimmung voller Energie bei euch.“ Doch ein Jahr später monierte er in einem Spiegel-Interview: „Meine Frau hatte damals schon gesagt: Sag nichts. Aber ich konnte die Schnauze natürlich nicht halten und habe irgendwann gesagt: Hört mal zu, hier kommen Leute her, die verlieren ihre Existenz, das sind Ärzte, das sind Ingenieure, das sind Architekten, die wollten nicht weg aus ihrer Heimat, die hatten ein gutes Leben, bis der Krieg anfing. Und dann denkt mal an unsere Geschichte, wie wir hier von einem Tag auf den anderen die Juden verjagt haben. Getötet haben. Und wir sagen, wir helfen euch nicht? Wo sind wir denn!? Die Reaktion war erst mal: Totenstille. Da war kein Jubel. Es gab sogar Pfiffe. Das fand ich erschreckend.“

Nachtragend ist der Musiker, der am Mittwoch 75 Jahre alt wird, offensichtlich nicht. Denn im Sommer legt er mit einem Konzert in Dresden nach. Auf seiner großen Open-Air-Tour zum eigenen Jubiläum tritt er am 24. August bei den Filmnächten am Elbufer auf. Auch ein Song wie „Freiheit“ wird dann kaum im Live-Repertoire fehlen. Mit dem hatte sich Westernhagen 1987 zwar auf die Französische Revolution und deren Scheitern bezogen, allerdings zugleich die inoffizielle Mauerfall-Hymne geliefert und diese clevererweise im Dezember 1989 in einer stimmungsvollen Live-Fassung aufgenommen und umgehend noch einmal als Single veröffentlicht.

Alle Hits, also natürlich auch „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“, „Dicke“ und „Freiheit“ finden sich nun auf der bereits vergangene Woche erschienenen Box „Westernhagen 75“ mit 75 Songs aus den Jahren 1974 bis 2023. Doch sind erfolgreiche Songs für Marius Müller-Westernhagen keine heiligen Kühe, etwa mit Blick aufs Programm der Tour. „Es werden immer neue Sachen dabei sein“, sagt der Musiker. „Es wird auch immer der Wille da sein, mit den alten Songs kreativ zu sein, sie interessant zu machen für uns und für das Publikum. Das würde ich mir auch nie nehmen lassen.“

Der Sohn des Schauspielers Hans Müller-Westernhagen kommt 1948 in Düsseldorf zur Welt. Sein Vater gehört dort zum Ensemble der Städtischen Bühnen unter Gustaf Gründgens, auf dem Spielplan steht auch „Marius“ von Marcel Pagnol. Marius Müller-Westernhagen entdeckt noch vor der Musik die Schauspielerei. Bis Ende der 80er werden es Dutzende Produktionen. Bekannt wird er vor allem 1980 als fernfahrender Ruhrpott-Sprücheklopfer in „Theo gegen den Rest der Welt“.

Die musikalischen Schritte beginnen in der zweiten Hälfte der 60er-Jahre. Müller-Westernhagen beschreibt die Anfänge später im Song „Mit 18“: „Die Gitarren verstimmt, doch es ging tierisch los, wir hielten uns für Genies.“ Das Debüt-Album „Das erste Mal“ hat 1975 nur wenig Erfolg. Das ändert sich drei Jahre später, „Mit Pfefferminz bin ich dein Prinz“ bildet die Grundlage für eine lange Karriere. „Erstaunlich gute Songs, das hätte ich nicht gedacht“, urteilt der Musiker Jahrzehnte später über die Blues-Version „Das Pfefferminz-Experiment“.

Mit „Sekt oder Selters“ und „Stinker“ belegt er seine Qualitäten in Text und Musik. Ohne den Müller des Doppelnamens wird der Musiker mit Alben wie „Westernhagen“, „Halleluja“, „JaJa“, „Affentheater“ und „Radio Maria“ zum Superstar. Es ist die Zeit in den 90ern, in der er als erster Künstler Fußball-Stadien füllt, jeweils Zehntausende singen dort mit ihm „Freiheit“. Der Erfolg hinterlässt Spuren. Der Theo-Kumpeltyp wird für manche zum durchgestylten Armani-Rocker.

„Ich habe gesagt, ich will diese Stadiontourneen nicht mehr machen“, sagt der Künstler rückblickend, schon länger wieder als Müller-Westernhagen. „Es gibt irgendwann keine künstlerische Weiterentwicklung außer größer, immer größer, irgendwann sind die Stadien dann zu klein dafür.“ Zudem steige der Druck. „Ich hatte das Gefühl, ich verliere mich.“ Müller-Westernhagen nimmt sich eine Auszeit, um „nachzudenken und zu reflektieren“.

Auch privat gibt es nicht nur Höhen. „Das Leben ist eine Aneinanderreihung von Fehlern.“ Es gelte, daraus zu lernen, zu reflektieren, sich dem zu stellen und zu wachsen. „Ich habe mich immer bemüht, bei mir zu bleiben“, sagt Müller-Westernhagen. Er ist in zweiter Ehe mit der US-amerikanischen Sängerin Lindiwe Suttle verheiratet. Das Paar lebt in Berlin.

Mit den Jahren folgen vergleichsweise mäßig erfolgreiche Alben wie „In den Wahnsinn“ oder „Nahaufnahme“. Zuletzt wird 2022 „Das eine Leben“ gefeiert. Die neue Box „Westernhagen 75“ folgt dem weiten Bogen über das musikalische Werk des Künstlers. Es finden sich remasterte Originalaufnahmen, überraschende Studiomitschnitte („Da ist wahrscheinlich das Mischpult mitgelaufen“) oder auch Neuinterpretationen vom „Pfefferminz-Experiment“. Die Version von „Dicke“ etwa, im Original als Fat-Shaming kritisiert und damit aus Sicht des Musikers missverstanden, stammt aus dem Übungsraum. „Ich fand die Version sehr schön, die war sehr spontan und anders. Leute zu überraschen, das finde ich immer gut.“

Eine Weile will Müller-Westernhagen noch bei der Musik bleiben. „Ich arbeite sehr hart, auch körperlich, um mich fit zu halten, versuche auch, mich geistig fit zu halten – und habe das Glück, dass das im Augenblick noch funktioniert“, sagt er. „Aber du weißt doch nicht, was ist in zwei Jahren, was ist in drei Jahren.“

Im nächsten Jahr ist erstmal Tour, von Mai an stehen rund 20 Konzerte auf dem Plan. Dann gibt es wohl auch „die Songs, die für Leute viel bedeutet haben, die sie sozialisiert haben, die sie emotionalisiert haben“. Einige davon könne er nur noch mit einer gewissen Ironie singen, wolle das aber dennoch tun. Er sei schließlich auch Entertainment, die Fans zahlten Eintritt. Müller-Westernhagen, dann 75: „Wenn sie ,Sexy’ hören wollen, dann will ich ,Sexy’ singen.“

"Ich sage nicht, dass alles früher besser war“

Mit Blick auf die Veränderungen in fast 50 Jahren Musikkarriere sagt er: „In meiner Zeit als junger Mensch entstand Musik auf der Straße, Bewegungen, neue Musikrichtungen kamen von der Straße. Heute kommen Musikrichtungen auch zustande durch die Einflussnahme der Industrie.“ Man versuche praktisch, Kunst zu kontrollieren. „Wirklich Wertvolles kann nur aus dir kommen und nicht aus der Meinung von Marketingleuten. Das ist kein künstlerischer Ansatz. Das sind alles Sachen, die meine Generation nicht interessiert haben, sondern wir wollten uns ausdrücken. Wir dachten, wir haben was zu sagen und das werden wir auch sagen und es ist auch scheißegal, wem das gefällt oder wem das nicht gefällt oder ob das korrekt ist oder nicht.“ Das halte er für einen gesünderen Ansatz. Leider ist es so, dass man möglichst schnell und möglichst viel Geld verdienen will. Ich kann das nicht ändern und ich sage auch nicht, dass alles früher besser war.“

Wie lange er selbst noch als Musiker aktiv sein will, lässt er offen. „Ich werde nie sagen, wir machen jetzt eine Abschiedstournee. Das ist inzwischen so ein Marketingtool, das ich ekelhaft finde, das ist Verarschung der Fans.“ Er werde irgendwann verschwinden und irgendwann werde die Zeit über ihn hinweggehen, wie über jeden. „Ich will den Leuten nicht ewig auf den Wecker gehen.“ (mit dpa)

  • Die Album-Box: Westernhagen 75 (75 Songs: 1974–2023). Warner Music
  • Das Dresden-Konzert: 24. August, Gelände der Filmnächte am Elbufer; Tickets gibt’s in allen DDV-Lokalen und hier.