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Neue Farbfotos vom Alten Dresden vor und nach der Zerstörung

150 bisher kaum gezeigte oder gänzlich unbekannte Aufnahmen zeigen die Normalität des Alltags ebenso wie brisante Situationen mitten im Zweiten Weltkrieg.

Von Peter Ufer
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Über dem Zwinger
stiegen am 15. Februar 1945 noch Rauchwolken aus den warmen Trümmern in die kalte Februarluft.
Über dem Zwinger stiegen am 15. Februar 1945 noch Rauchwolken aus den warmen Trümmern in die kalte Februarluft. © Walter Hollnagel

Zwei junge Frauen laufen in luftigen Kleidern heiter über die Dresdner Vogelwiese. So zeigt es ein Foto aus dem Jahr 1943. Dass sich die beiden auf dem Rummel an der Elbwiese am Johannstädter Ufer vergnügen, mag aus heutiger Sicht angesichts des Zweiten Weltkrieges verwunderlich wirken. Doch das gehört damals zum Alltag.

Das eigentlich Verblüffende ist etwas anderes: Dass 80 Jahre später solch ein Farbfoto aus Dresden auftaucht, fällt unter die Kategorie besonders wertvoll. Die Momentaufnahme mit den Menschen, den grünen Kleidern, Uniformen und Zelten der Fahrgeschäfte, den roten Wimpeln mit Hakenkreuzen, den weißen Kinderwagen und Luftballons wirkt wie aus einem Historienfilm.

Alltag in der Diktatur Zwei Frauen auf der Vogelwiese, die Hakenkreuz-Fähnchen sind für sie Normalität.
Alltag in der Diktatur Zwei Frauen auf der Vogelwiese, die Hakenkreuz-Fähnchen sind für sie Normalität. © Sammlung David Williams

Doch nichts ist inszeniert oder konstruiert, sondern alles original. Auch bunte Porträts von Soldaten auf Fronturlaub im Dresdner Zwinger im Jahr 1943 gehören zu den seltenen farbigen Abbildungen aus dieser Zeit. Genauso echt ist die Ansicht eines Gemüsestandes vor dem Kaufhaus „Schumann & Co“ auf der Kesselsdorfer Straße oder die des brennenden Japanischen Palais.

Das Japanische Palais brannte noch, als der Reichsbahn-Fotograf Walter Hollnagel am 15. Februar 1945 durch das zerstörte Zentrum Dresdens ging.
Das Japanische Palais brannte noch, als der Reichsbahn-Fotograf Walter Hollnagel am 15. Februar 1945 durch das zerstörte Zentrum Dresdens ging. © Walter Hollnagel

Wie ein großes Familienalbum zeigt 78 Jahre nach der Zerstörung Dresdens ein neuer Bildband Perspektiven auf die Stadt aus der Zeit zwischen 1937 und 1946. Das Besondere daran: Hier handelt es sich nicht um kolorierte Schwarz-Weiß-Abzüge oder Postkarten, sondern um den Abdruck von farbigen Diapositiven.

Erst ab 1935 boten Filmhersteller wie Kodak und ab 1936 Agfa überhaupt Farbfilme für Kleinbildkameras für Amateure an. Noch in den 1940er-Jahren kosteten die Filme verhältnismäßig viel Geld, was unter anderem neben Kriegsverlusten erklärt, warum so wenige Farbfotos aus der Zeit existieren. Die nicht immer überzeugende Druckqualität und etwas überbordende Gestaltung des Buches rücken in den Hintergrund, denn die Blicke in die Vergangenheit der Stadt sind faszinierend.

🔴 Hier gelangen Sie zum Multimedia-Essay: Dresden, 13. Februar 1945🔴

Obwohl es keinen Mangel an Dresden-Bänden mit der Rückschau auf die Zeit um 1945 gibt, sind diese Motive größtenteils neu und lassen gerade durch ihre amateurhaft wirkende Sehweise staunen. Sie weist einerseits auf die Banalität des Alltags von Ausflüglern auf der Brühlschen Terrasse 1943 hin, andererseits aber ebenso auf die historisch brisante Situation einer Zusammenkunft von Flüchtlingen an einer Bushaltestelle am Kraftwerk Mitte Ende 1944.

Eine Zeitungsverkäuferin vor dem „Palast Hotel Weber“ am Postplatz, im Hintergrund der Zwinger.
Eine Zeitungsverkäuferin vor dem „Palast Hotel Weber“ am Postplatz, im Hintergrund der Zwinger. © Sammlung Michael Sobotta

Der Paderborner Autor Ulrich Vogt greift bei der Veröffentlichung von rund 150 bisher unbekannten Farbfotos auf das Archiv von David Williams zurück. Der Sammler historischen Filmmaterials lebt in Hanover in Pennsylvania. Den -Amerikaner lernte Vogt vor über zehn Jahren im Internet auf einer Plattform von historischem Zelluloid aus den 1930er- und 1940-Jahren kennen.

Williams war von 1979 bis 1981 als amerikanischer Soldat auf dem Luftwaffenstützpunkt in der Nähe von Bitburg in der Eifel stationiert. In seiner Freizeit schlenderte der Hobbymilitärhistoriker über die Flohmärkte der Umgebung, um Fotos und Dias aus dem Zweiten Weltkrieg zu suchen. Dabei sackte er alles ein, was er kriegen konnte, und so gelangten die Fotos aus dem Dresdner Alltag in seine Sammlung.

Eleganz in Trümmern: Auf der vom Schutt befreiten Wilsdruffer Straße erwachte das Leben wieder.
Eleganz in Trümmern: Auf der vom Schutt befreiten Wilsdruffer Straße erwachte das Leben wieder. © Sammlung Stefan Hertzig

Als 2021 Autor Ulrich Vogt seinem amerikanischen Freund erzählt, seine Tochter Maria sei nach Dresden gezogen, merkt Williams an, dass er ja allerhand Fotos aus Dresden besitze. Eher zufällig also kommt der Schatz jetzt an die Öffentlichkeit. Ulrich Vogt nimmt die Fotos, sortiert, beschreibt, ordnet ein, vergleicht mit Motiven aus der Gegenwart, mit Postkarten und anderen Sammlungen. All das fügt er zu einer einmaligen Zeitreise, die eine wichtige Ergänzung für die Dresdner Alltagsgeschichte ist.

Ulricht Vogt, Dresden in Farbe - Farbfotografien von der Vorkriegszeit, Kriegszeit und frühen Nachkriegszeit bis zur Gegenwart, Thelem Universitätsverlag und Buchhandlung, 151 Seiten, 29,80 Euro