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Semperoper bereitet Uraufführung "einer vollkommen irren Welt" vor

Komponist Detlev Glanert bringt in Dresden die Oper "Die Jüdin von Toledo" heraus. Die rieche nach Rauch, sei wegen Corona groß besetzt und sei auch gut zu verstehen.

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So stellt sich der Komponist die Theaterwelt vor: Szene aus der Detlev-Glanert-Oper „Joseph Süß“, die 2014 in Erfurt herauskam und zu einem der größten Erfolge des Komponisten wurde.
So stellt sich der Komponist die Theaterwelt vor: Szene aus der Detlev-Glanert-Oper „Joseph Süß“, die 2014 in Erfurt herauskam und zu einem der größten Erfolge des Komponisten wurde. © picture alliance / dpa | Martin

Er ist ein Phänomen: Detlev Glanert. Keinem anderen deutschen Komponisten ist es in der jüngsten Vergangenheit in vergleichbarer Frequenz und mit ähnlichem Erfolg gelungen, relevantes modernes Musiktheater zu schaffen. Und ein breites Publikum zu erreichen.

Nun laufen an der Semperoper die Proben zu seiner neuen Oper „Die Jüdin von Toledo“. Sie handelt von der tragischen Liebesbeziehung des Königs von Kastilien zur jungen Jüdin Rahel. Die Uraufführung ist für den 10. Februar geplant. Ein Gespräch mit dem 63-Jährigen über seine leidenschaftliche Musiksprache, Ähnlichkeiten mit Beethoven und Probenbesuche, um Explosionen zu verhindern.

Hat ein sonniges Gemüt und ist sympatisch: Detlev Glanert.
Hat ein sonniges Gemüt und ist sympatisch: Detlev Glanert. © Bettina Stöß

Herr Glanert, Sie sind mit zwölf großen Musiktheaterwerken sowie unzähligen Orchester- und Vokalkompositionen unglaublich produktiv. Wie das?

Unglaublich produktiv? Nein, das weise ich strikt von mir. Ich bin mittelmäßig produktiv, und zwar ziemlich genau im Schnitt von Komponisten wie Beethoven und Verdi, also nicht so enorm produktiv wie Telemann, aber auch nicht so langsam wie Webern. Also ich liege nach der Zahl meiner Stücke ziemlich genau im Mittelfeld.

Und dann vergraulen Ihre Arbeiten noch nicht einmal die Zuhörer, wie so oft in der Moderne! Was ist Ihr Antrieb?

Genau, der Zuhörer soll andocken, das ist meine einzige Referenz überhaupt. Ich schreibe ja nicht Musik im luftleeren Raum oder für Spezialisten, sondern ich schreibe für Menschen von heute.

Wie suchen Sie die Stoffe aus?

Also, die Stoffe kommen zu mir. Ich nehme ja sehr oft Stoffe aus der Vergangenheit, weil man durch die zeitliche Distanz Prozesse besser überblickt. Das ist wie mit der Distanz zum Wald. Wenn sie drin sind, sehen Sie den Wald nicht vor lauter Bäumen. Und meine Stoffe können in der Vergangenheit spielen, müssen aber ein bestimmtes auch heutiges Problem behandeln.

Die Jüdin von Toledo“ spielt im 12. Jahrhundert. Was ist da aktuell?

Es ist die Thematik, wie die Politik, die Machtgier in das Privatleben eingreift. Wie sie verändert und brutalisiert. Das ist eigentlich das, was ja seit Jahrhunderten an diesem Stoff so interessant ist. Es gibt an die 40 Bearbeitungen von ihm. Franz Grillparzers Drama ist natürlich eine der interessantesten Fassungen, weil sie diesen Übergriff des Politischen in das Privatleben thematisiert, wenn der König in Rahel seine große Liebe zu finden glaubt und sie dann für den Machterhalt opfert. Solche Geschichte funktioniert heute genauso.

Wie vertonen Sie solche Stoffe?

Ich brauche einen bestimmten Geruch jener Zeit, in der die Handlung spielt, im Falle der „Jüdin“ das Spanien im Jahr 1195. Welche Farben prägen im übertragenen Sinne das Geschehen? Welcher Geruch liegt in der Luft zwischen den Menschen? Dieses Herausfinden ist tatsächlich die Hauptarbeit. Am Szenario haben wir, Librettist Hans-Ulrich Treichel und ich, bestimmt zwei, zweieinhalb Jahre gearbeitet. Komponiert habe ich die Oper dann in gut 18 Monaten – eine Musik, die diesem Stoff vollkommen adäquat ist und die auch keine Verdoppelung von anderen Stoffen bedeutet. Meine letzte Oper davor war „Oceane“ nach Fontane. Die hat einen vollkommen anderen inneren Geruch. Das ist mehr Bewegung, und es ist teilweise sehr viel süßer, während die „Jüdin“ schwarze Blöcke hat, quasi Rauch. Man darf nicht vergessen, dass damals ständig Kriege tobten.

Ort der Uraufführung: Dresdens Semperoper.
Ort der Uraufführung: Dresdens Semperoper. © René Meinig

Wie klingen schwarze Blöcke?

Ich nutze dunklere Farben, mehr dunkle Akkorde. Die Grundstimmung ist harsch, die Akzente sind stärker, es gibt weniger Lyrisches, mehr Dramatik. Ich brauche keine komplizierten Dinge, um mich auszudrücken. Als ich jung war, habe ich auch die schrägsten Tollheiten geschrieben. Bis ich merkte, das ist irgendwie nicht realitätsnah. Aus Überzeugung habe ich mir elektronische Musik verboten, denn es gelingt mir nicht, sie wirklich zu fühlen.

Die Partitur haben Sie 2020 abgeschlossen, wegen Corona ist erst jetzt die Premiere. Wann geben Sie das Stück frei?

Ich mache tatsächlich bis jetzt Revisionen und Änderungen – bei Details. Es sind immer wieder Dynamiken, schnelle Noten, kurze Noten – auch je nach den Möglichkeiten der Sänger und der Bühne. Deswegen bin ich schon sehr zeitig bei den Proben dabei. Ich habe genau drei Chancen. Zu Probenbeginn kann ich sicher noch was ändern und Dinge entschärfen, die zu Explosionen führen könnten. Wenn das Orchester probt, bis zu einem gewissen Punkt auch noch. Das klingt jetzt arrogant, aber ich bin der Einzige, der alle Elemente dieser Oper kennt. Bis zu den Endproben habe ich zwar kein Entscheidungsrecht, aber ich habe Rederecht.

Ihre „Jüdin“ haben Sie in der Pandemie geschrieben. Hört man das Virus?

Indirekt ja. Beim Schreiben war ich so wütend auf das Virus, dass wir uns nicht sehen durften, Abstand halten mussten, dass ich bewusst eine große Orchesterbesetzung mit ausführlichem Schlagwerk gewählt habe. Ein gemischter Chor ergänzt die sechs Gesangssolisten und -solistinnen.

Werde ich als Laie die Oper verstehen?

Der Interessierte und Offene wird es. Die Oper ist ja im Grunde eine Utopie der Zusammenführung von verschiedenen Künsten wie Bild, Sprache, Musik und Tanz. Das macht das Großartige aus. Es ist eine Kunst, die vollkommen irre ist, weil sie davon ausgeht, dass diese zusammengesetzten Künste einen Mehrwert schaffen. Wir wissen nicht, ob dem so ist, aber die seit 400 Jahren totgesagte Oper lebt immer noch. Es ist gut, Hilfestellungen etwa mit Publikumsgesprächen zu geben. Man stößt, so ist meine Erfahrung, auf offene Ohren. Nach bestimmten Stücken gibt es beim Zuschauer einen enormen Bedarf der Rede und des Austausches.

Im Mai kommt von Ihnen ein Konzert für Schlagwerk heraus. Können Sie denn Schlagwerk?

Nein, ich kann ja nur Kontrabass und ein bisschen Klavier. Ich war früher Kontrabassist. Aber was ich ganz gut kann, ist das Reindenken in Instrumente. Und ich lasse mir gerne was von den Instrumentalisten sagen und zeigen. So wie jetzt in der „Jüdin“, da kommt eine Ud, ein arabisches Zupfinstrument, zum Einsatz. Sie ist mir wichtig, weil sie die Bevölkerungsgruppe der Mauren repräsentiert, die im Stück zwar nicht vorkommt, aber es historisch gesehen müsste. In dem Teil Spaniens, wo die „Jüdin“ 1195 spielt, gab es ein Drittel Mauren, ein Drittel Juden und ein Drittel Christen. Man redet über sie, aber sie haben keine tragende Rolle. Ich fand, sie müssen mindestens akustisch auftauchen, und somit fängt die Oper mit der Ud an und hört mit ihr auf.

Welches Projekt treibt Sie nun um?

Als Nächstes kommt ein Doppelkonzert für zwei Geigen und Orchester, und danach ein großes Orchester-Stück. Eine neue Oper sehe ich erst mal nicht am Horizont. Ich habe ein bisschen das Gefühl, dass die Theater nach Corona vorsichtig geworden sind, auch weil sich das Publikum ändert. Aber auch das ist lokal sehr unterschiedlich. Ich bin ja auch in verschiedenen Beiräten und kenne interessante Statistiken. Es gibt Flecken in Deutschland, wo nur Konfliktstücke laufen und die leichte Muse überhaupt nicht. Ein Bundesland weiter ist es genau umgekehrt. Im Allgemeinen ist das Abonnementsystem komplett zurückgegangen, fast alle haben aber lange Schlangen an den Abendkassen. Die Leute entscheiden sich erst im letzten Moment.

Sind niederschwelligere Angebote eine gute Reaktion auf die Probleme des Theaters?

Ich halte es für gefährlich, das Niveau in bestimmten Punkten zurückzuschrauben. In England ist neuerdings in den Konzertsälen das Essen und Trinken erlaubt. Das geht gar nicht, schon aus Sicherheitsgründen, falls die Gläser auf den Boden fallen. Ich finde es auch respektlos. In dem Punkt bin ich leider vollkommen konservativ, denn Konzert- und Opernsäle sind geschützte Räume. Das ist etwas ganz Seltenes und Exklusives. Das heißt, Sie haben die Gelegenheit, sich ausschließlich auf einen Vorgang zu konzentrieren, der sehr komplex und anspruchsvoll ist. Ja, das ist ein Privileg. Und dafür zahlen Sie viel Geld.

Was ist die Lösung?

Auf keinen Fall anbiedern. Das Publikum merkt, wenn man sich anbiedert und es so unterfordert. Das Publikum muss sich auch mit komplexer Musik befassen dürfen, um zu lernen, was gute Musik ist und was nicht. Wissen Sie, wie viele Sinfonien bisher komponiert worden sind? Etwa 27.000. Gespielt werden davon maximal 80, weil nur die sich bei Publikum und Interpreten durchgesetzt haben. Sicher gibt es manchmal Wiederentdeckungen, das aber selten.

Das Gespräch führte Bernd Klempnow.

  • „Die Jüdin von Toledo“ kommt unter der Musikalischen Leitung von Jonathan Darlington und in der Regie von Robert Carsen am 10. Februar heraus.
  • Aufführungen gibt es am 15., 18. und 26. 1. sowie am 1. und 8. 2.; Kartentel. 0351 4911705