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Vor dem Rasiermesser sind alle gleich: das Musical "Sweeny Todd" in Dresden

Fressen und gefressen werden: Sondheims Musical „Sweeney Todd“ an der Staatsoperette ist weniger blutig als didaktisch.

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Ein Lob auf das Messer: Hinrich Horn spielt die mordende Hauptfigur Sweeney Todd im gleichnamigen Musical-Thriller an der Staatsoperette Dresden.
Ein Lob auf das Messer: Hinrich Horn spielt die mordende Hauptfigur Sweeney Todd im gleichnamigen Musical-Thriller an der Staatsoperette Dresden. © Pawel Sosnowski

Von Jens Daniel Schubert

Man braucht schon starke Nerven für „Sweeney Todd“. In diesem Musical wird zu flotter Musik aus einem Verzweiflungsmord mit ungewöhnlicher Leichenentsorgung ein florierendes Geschäft, bei dem die Kasse klingelt und scheinbar alle auf ihre Kosten kommen. „Nur die im Dunkel, die sieht man nicht“.

Mit Brechts Zitat, dass erst das Fressen und dann die Moral kommt, beginnt der Abend. Im abschließenden Fanal stehen die Menschen, die in der Tiefe und normalerweise unsichtbar schuften, um das System am Laufen zu halten, auf. Die Live-Kamera schwenkt ins Publikum.

Die Operette macht ambitioniertes Musiktheater ohne die Musicalbühne zu verlassen. Sie bietet dichte, bewegende Musik, eine menschlich berührende Geschichte in einprägsamen, großen Bildern. Das Premierenpublikum schien einhellig begeistert.

Ein Bösewicht wird zur Pastetenfüllung

„Sweeney Todd“ ist eine Rachegeschichte a la „Der Graf von Monte Christo“. Nur dass der aus unschuldiger Verbannung heimkehrende Held bettelarm ist. In Brecht’scher Logik fehlt ihm daher auch die moralische Größe des literarischen Vorbilds. Er zieht die Rache durch. Vor dem Rasiermesser sind alle gleich. Keiner ist unschuldig.

Nicht ganz zufällig begegnet Sweeney Mrs Lovett. Die Geschäfte der Pastetenbäckerin laufen schlecht. Kein oder nur minderwertiges Fleisch machen die Pasteten schlecht, daher verkaufen sie sich nicht und es gibt kein Geld, bessere zu backen. Lovett hat Sweeney sein Rasiermesser aufbewahrt. Das mehr ist als ein Produktionsinstrument, mit dem er sich seinen Lebensunterhalt verdienen kann, sondern sofort zum Rachesymbol avanciert.

Grund für Rache gibt es genug. Sweeneys Frau ist vom Richter missbraucht und in den Wahnsinn getrieben worden. Die inzwischen 15-jährige Tochter wird als Mündel im goldenen Käfig gehalten. Nun wachsen im Richter die Gelüste und sie soll ihn heiraten. Dabei gibt es einen jungen Liebhaber, der mit Sweeney nach London kam. Er verliebt sich von der Stelle weg in das Mädchen, stößt auf Gegenliebe und die beiden werden am Ende irgendwo am Horizont eine Hoffnung der sonst völlig verdorbenen Gesellschaft.

Grundidee ist, dass ein gemordeter Bösewicht eine gute Pastetenfüllung ergibt und der Laden der Mrs Lovett nun brummt. Doch mit der steigenden Nachfrage nach Pasteten braucht es mehr Opfer, denen Sweeney die Kehle durchschneidet. Das Morden wird perfektioniert, der Kreislauf des „immer mehr“ ist in Gang gekommen. Nun hat nicht nur jeder eine Leiche im Keller, sondern hier sind alle Opfer wie Täter. Kapitalismus eben.

Historischer Fall war Vorbild

All das ist angelegt bei Sondheim, der einen historischen Fall aus dem viktorianischen England seiner Geschichte zugrunde legt, als makabre Parabel über die mörderische Gesellschaft. Aber Sondheim macht Musical, nicht Agitprop. Er baut die Story geschickt. Die Rache gebiert die Geschäftsidee, der wachsende Wohlstand begründet das kleine Glück, die große Liebesgeschichte wird zum Motor und retardierenden Faktor. Der Zuschauer tappt in die Verständnisfalle, das Verbrechen wird salonfähig. Dazu kommt eine suggestive, dichte Musik, eingängig und bewegend, ohne die schlichten Ohrwürmer, die sonst gattungstypisch sind.

Peter Christian Feigel kann diesen Sound mit dem Operettenorchester souverän entfalten, kostet seine Wirksamkeit aus und führt die Sänger sicher durch die manchmal gefährlichen Klippen. Die Sängerinnen und Sänger, ob solistisch oder im Ensemble, leisten ganze Arbeit, tragen die Geschichte, überzeugen mit solider Qualität und einigen hörenswerten Highlights.

Kristallisationspunkt des Abends sind Hinrich Horn als stimmlich vielseitiger Sweeney und Silke Richter als Lovett. Sie ist herrlich pragmatisch, mütterlich liebevoll, überzeugend geschäftstüchtig, anrührend komisch – eine pralle Figur. Mit großem spielerischem Einsatz und überzeugendem Gesang punktet auch Dimitra Kalaitzi als verrückte Bettlerin mit einem zu ahnenden Geheimnis.

Inszenierung zielt auf Brecht

Martin G. Berger inszenierte. Seine offen gesellschaftskritische Sicht gibt der Inszenierung das besondere Etwas. Allerdings bleibt er differenzierter Figurenführung einiges schuldig. Wenn sich, beispielsweise, der Richter seine Gelüste gegen Johanna vergegenwärtigt, greift er sich selber abwechselnd in die Hose und schlägt sich mit der Bibel an den Kopf, geißelt sich mit dem Gürtel der heruntergelassenen Hose. Das ist so vordergründig, wirkt beim Darsteller Elmar André so aufgesetzt, dass man peinlich berührt ist.

Berger schafft es nur selten, den Verlauf des Stückes aus glaubwürdigen Figuren und ihren Beziehungen herzuleiten. Allerdings gelingen ihm im hervorragend ausgeleuchteten Bühnenbild von Sarah-Katharina Karl einige wirkungsvolle, einprägsame Bilder. Mit dem Orchester auf der Bühne, großen Gitterwänden und Rosten entstehen Assoziationsräume, die der Fabel von Oben und Unten, von Zwängen und Scheinfreiheiten zuspielen.

Die teilweise schrill-schrägen Kostüme und Requisiten holen das Stück aus der viktorianischen Zeit ins Heute, ohne das Spiel und Handlung sich dadurch spürbar ändern. Die Operetteninszenierung will viel, mehr, als im Musical-Thriller angelegt ist. Sie schafft nicht alles. Auf der Strecke bleibt die unterhaltsame „schwarze Operette“.

Wieder am 24. und 25. 10., 11. und 12. 11. sowie 16. und 17. 12.; Kartentel. 0351 32042222