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Lieben wir zu vernünftig?

Das Dresdner Staatsschauspiel analysiert, warum wir so gefühllos auf Partnersuche sind. Und warum Beyoncé sich von Jay-Z trennen sollte.

Von Tim Ruben Weimer
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Wo bleibt das Gefühl der Liebe im spätkapitalistischen Zeitalter? Das Thema im Kleinen Haus am Dresdner Staatsschauspiel.
Wo bleibt das Gefühl der Liebe im spätkapitalistischen Zeitalter? Das Thema im Kleinen Haus am Dresdner Staatsschauspiel. © Sebastian Hoppe/Staatsschauspiel Dresden

Dresden. Wann waren Sie das letzte Mal verliebt? Und? Haben Sie es gespürt? Diese Schmetterlinge im Bauch, diese Zuneigung zu der "einzig wahren" Person, mit der Sie am liebsten jede freie Minute Ihres Lebens verbrächten? Wie, das haben Sie nicht? Bei der Partnerwahl stellen sich bei Ihnen irgendwie so gar keine Gefühle ein? Dann sind Sie vielleicht genauso eine "lauwarme Herdplatte" wie Leonado DiCaprio.

Den schien es nämlich auch nicht groß zu jucken, als er einem Bikini-Model nach dem anderen einen Korb gab, nur um sich ein anderes zu suchen. Ist das vielleicht ein grundlegendes Problem unserer spätkapitalistischen Gesellschaft? Ist uns das Gefühl für Liebe abhandengekommen?

Das Stück basiert auf dem Comic "Ich fühl's nicht" von der Schwedin Liv Strömquist, einer der einflussreichsten feministischen Comiczeichnerinnen.
Das Stück basiert auf dem Comic "Ich fühl's nicht" von der Schwedin Liv Strömquist, einer der einflussreichsten feministischen Comiczeichnerinnen. © Sebastian Hoppe/Staatsschauspiel Dresden

Dieser Frage geht Regisseurin Katrin Plötner in ihrer ersten Dresdner Inszenierung im Kleinen Haus des Staatsschauspiels nach: "Ich fühl’s nicht". Obwohl die sieben Schauspieler durchaus auch ein Plädoyer für die sich selbst aufopfernde und bedingungslose Liebe halten, kommt an diesem Theaterabend nicht allzu viel Romantik auf. Denn das Stück ist hochwissenschaftlich.

Besonders in der ersten Hälfte ackern die Figuren eine soziologische Theorie nach der anderen durch, ein Beispiel jagt das nächste. Da ist die Soziologin Eva Illouz, die behauptet, wir konsumierten unseren Partner heute wie ein Produkt im Supermarkt. Auf Dating-Apps suchten wir vor allem ein Abbild unseres Selbst und würden blind für die Andersartigkeit des anderen, meint der Philosoph Byung-Chul Han. Sprich: Wir sind alle Narzissten. Und der Psychoanalytiker Erich Fromm kritisiert, durch die Perfektionierung unseres Aussehens konzentrierten wir uns viel zu sehr darauf, geliebt zu werden, statt selber Liebe zu geben. Bestes Beispiel ist der "kleine Prinz", der seine Rose nur dadurch zu etwas Besonderem macht, dass er sie selber großzieht. Wer den Ausführungen sehr genau lauscht, wird hier und dort vielleicht doch ein Fünkchen Romantik erhaschen.

Warum schafft es Leonardo DiCaprio nicht, mit einem seiner Bikini-Models länger zusammenzubleiben?
Warum schafft es Leonardo DiCaprio nicht, mit einem seiner Bikini-Models länger zusammenzubleiben? © Sebastian Hoppe/Staatsschauspiel Dresden

Doch das ist gar nicht so einfach. Denn die Inszenierung ist vielschichtig. Während die Figuren erstaunlich reibungslos abwechselnd in die Rolle des Theorien-Erklärers hinein- und wieder hinausgleiten, ploppen im Hintergrund immer wieder kleine Mini-Szenen auf, die das Erzählte illustrieren oder kommentieren. Stellenweise bekommt die Inszenierung den Eindruck einer Uni-Vorlesung – allerdings keiner schlechten. Wer über die kleinen Pointen zu lange lacht, läuft Gefahr, den nächsten Gedankengang bereits verpasst zu haben. Häufig quillt die Bühne über vor mehrdimensionaler Aktion, der Blick huscht hin und her, gleichzeitig ist der Kopf noch damit beschäftigt, den letzten Gedankengang zu reflektieren. Peinliches Husten geht durch die Reihen, als einer der Schauspieler plötzlich mit entblößtem Glied auf der Bühne steht. Nur während der musikalischen Einlagen kommt das durchgängig hohe Erzähltempo zum Erliegen. Einmal kurz durchatmen.

Die Szenerie wechselt ständig von Sokrates, der patriarchalen Familie bis hin zu Beyoncé, die glaubt, binnen einer Minute einen neuen Liebhaber finden zu können. Dadurch ist schnell vergessen, was noch vor fünf Minuten das Thema war. Der Inszenierung fehlt eine klare Erzählstruktur. Das liegt auch daran, dass im Comic der schwedischen Feministin Liv Strömquist, der die Grundlage für das Stück war, mehr erzählt als gezeichnet wird. "Mit zunehmendem Alter habe ich angefangen, viel gesprächigere, umständlichere, eben lange Comics zu gestalten", gibt Strömquist selber zu. "Das ist wirklich eine Schwäche", auch die der Inszenierung. Dagegen gibt Strömquists leicht kindlicher Humor auch der Aufführung immer wieder die dringend gebrauchte Leichtigkeit.

Deshalb zum Schluss auch Standing Ovations, was zum großen Teil auch am DiCaprio-Darsteller Jannik Hinsch liegen dürfte, der den Ton-Steine-Scherben-Rausschmeißer "Halt dich an deine Liebe fest" mit solch einer Authentizität vortrug, als würden alle rationalen Liebesverlust-Erklärungs-Theorien des Abends plötzlich von ihm abperlen. Gute Unterhaltung bot der Abend allemal und wenn auch nur ein Bruchteil des Tiefsinnigen hängenblieb, eine Gewissheit blieb auf jeden Fall: Es gibt Hoffnung für die Liebe!