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Dinglingers Weinberg: Ein Besuch auf Dresdens umstrittensten Weinberg

Caroline Hollenders und ihr Mann haben Dinglingers Weinberg gekauft und saniert. Hier spricht sie über die Zeit des jahrelangen Streits und was heute aus dem Refugium des Hofjuweliers von August dem Starken geworden ist.

Von Olaf Kittel
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Caroline Hollenders auf der Weinbergsmauer vor dem sanierten Palais, das früher Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger gehörte.
Caroline Hollenders auf der Weinbergsmauer vor dem sanierten Palais, das früher Hofjuwelier Johann Melchior Dinglinger gehörte. © kairospress

Dieser Ausblick ist atemberaubend: Von der Terrasse des barocken Anwesens neben den Dresdner Elbschlössern reicht der Blick bis in die Sächsische Schweiz, vom Blauen Wunder bis in die Innenstadt, die Elbe liegt zu Füßen. Das Ehepaar Hollenders kam vor 30 Jahren aus Frankfurt am Main nach Dresden und kaufte nach viel öffentlichem Wirbel „Dinglingers Weinberg“, einst vom Hofjuwelier August des Starken geschaffen.

Frau Hollenders, Sie sind Wissenschaftsjournalistin, Ihr Mann ist als Dresdner Notar bekannt. Wie und wann haben Sie Ihr Herz für den Wein entdeckt?

Den ersten Kontakt zum Weinbau hatte ich als Biologiestudentin in Freiburg. Dort habe ich oft und gern bei der Weinlese geholfen. Ich erinnere mich an herrliche Nachmittage in den Weinbergen, aber auch an eiskalte Tage mit klammen Fingern. Abends gab es dann ein deftiges Essen in der warmen Stube der Winzer und eine Flasche Wein als Leselohn. Das ist bis heute das Vorbild für unsere Weinlesen – es sind fröhliche Erntefeste mit vielen freiwilligen Helfern aus unserem Freundeskreis und gemütlichem Ausklang am Kamin.

Und wie sind Sie auf die Idee gekommen, in Dresden einen Weinberg zu kaufen?

Ganz ehrlich: Da stand nicht der Wein im Vordergrund, sondern das wunderbare und für Dresden so bedeutende Denkmal, das nun mal „Dinglingers Weinberg“ heißt. Als wir es entdeckten, schlief der Weinberg einen langen Schlaf, wir haben ihn wiedererweckt.

Wie sind Sie auf dieses Grundstück aufmerksam geworden?

Wir haben hier ganz in der Nähe gewohnt, sind immer mal vorbeigekommen und haben uns in dieses Fleckchen Erde verliebt.

Dass da ein ziemlich großer Weinberg dazugehört, hat Sie nicht abgeschreckt?

Im Gegenteil. Man sah von der anderen Elbseite zwar nur noch einen zugewachsenen Hang und im Winter ein paar Mauern, die einmal Weinbergmauern gewesen waren, aber als Landschaftsökologin reizte es mich sehr, außer dem Denkmal auch den historischen Weinberg und damit ein Stück historische Kulturlandschaft wiederzubeleben.

Dann gab es einen langen Rechtsstreit, der hohe Wellen schlug. Die Zeit schrieb damals vom „Weinberg der Zwietracht“. Wie kam es aus Ihrer Sicht dazu?

Es ist eine Zeit, über die ich ungern spreche. Sie ist zum Glück vorbei. Damals, Mitte der 90er-Jahre, war die erste Einheitseuphorie vergangen. Man unterstellte Menschen, die aus dem Westen in den Osten gekommen waren, mancherlei, was nicht so schön war. Wir wollten nur ein Denkmal sanieren – aber man hat es uns nicht geglaubt. Es war zu viel Skepsis unterwegs. Dabei wussten wir schon damals, dass uns die Sanierung viel Zeit, viel Kraft und viel Geld kosten würde. Nicht geahnt haben wir, dass wir im Vorfeld so viel Zeit und Kraft brauchen würden, um überhaupt beginnen zu können.

Der sanierte Weinberg über der Elbe in Dresden mit seinen etwa 3.000 Rebstöcken der traditionellen Sorten Riesling und Traminer.
Der sanierte Weinberg über der Elbe in Dresden mit seinen etwa 3.000 Rebstöcken der traditionellen Sorten Riesling und Traminer. © kairospress

Im Haus wohnte damals Hans Nadler, der hoch geschätzte sächsische Denkmalpfleger. War dies das Hauptproblem?

Ich denke, der alte Herr ist auch missbraucht worden. Es tut mir leid, dass er nicht mehr miterlebt hat, was aus diesem Haus geworden ist. Letztlich hat es sieben Jahre gedauert, bis wir endlich anfangen konnten. Bis dahin, als das Haus noch bewohnt war, haben wir bauhistorische Untersuchungen vorgenommen und den Weinberg angelegt. Aber diese lange Zeit hat der Bausubstanz nicht gutgetan. Und uns auch nicht.

Haben Sie Fehler gemacht?

Wer kann schon von sich sagen, dass er fehlerfrei ist? Möglicherweise haben wir kommunikative Fehler gemacht. Aber wir konnten damals einfach nicht durchdringen mit unseren Absichten. Wir wurden eine lange Zeit von denen, die über uns schrieben, nicht einmal befragt. Vielleicht klang es zu altruistisch: Es kann doch nicht sein, dass Leute so viel Geld in ein Denkmal-Projekt stecken wollen. Nach dem Motto: Sind die denn verrückt geworden?

Würden Sie es noch einmal angehen?

Zum Glück verblassen ungute Erinnerungen – und letztlich ist es ja gelungen. Ich spreche lieber über die Dinge, die wir jetzt hier machen.

Gern. Inzwischen ist viel Wasser die Elbe hinabgeflossen, Sie haben seither eine traumhafte Barockanlage wiederhergestellt. Ist jetzt Frieden eingekehrt?

Ja. Manchmal kommen sogar Besucher vorbei und sagen: Früher habe ich schlecht über Sie geredet, ich tue das nicht mehr.

Wie lange dauerte die Sanierung?

2004 konnten wir beginnen, aber dann kam noch manche böse Überraschung zum Vorschein. Schwamm im Festsaal zum Beispiel. Im Jahr 2006 sind wir eingezogen, da war gerade mal ein Zimmer fertig. 2007 war die Sanierung des Hauses abgeschlossen, dann ging es mit den Pavillons weiter. Ganz fertig wird man bei einem solchen Anwesen ja nie. Auch der barocke Festsaal, der einzige original erhaltene in der Stadt Dresden, ist wieder hergestellt. Und die Windrose an seiner Decke, deren Zeiger mit der Wetterfahne auf dem Dach verbunden ist, zeigt wieder die Windrichtung an. Zar Peter der Große soll im Jahr 1711 bei Dinglinger zu Besuch und so begeistert von diesem Instrument gewesen sein, dass Dinglinger ihm eine Kopie schenkte, die es noch heute in St. Petersburg gibt.

Der original erhaltene barocke Festsaal mit der Windrose an der Decke, deren Zeiger mit der Wetterfahne auf dem Dach verbunden ist.
Der original erhaltene barocke Festsaal mit der Windrose an der Decke, deren Zeiger mit der Wetterfahne auf dem Dach verbunden ist. © kairospress

Der Weinberg war zu diesem Zeitpunkt schon wieder aufgerebt?

Ja, das war unsere erste Maßnahme. 1999 bekamen wir die Genehmigung. Wir mussten zunächst den Wildwuchs beseitigen und nach und nach die Trockenmauern wiederherstellen. Bis 2008 hatten wir damit zu tun. Viele der 3.000 Weinstöcke haben wir selbst gepflanzt. Heute ist der Weinberg knapp einen Hektar groß. Für die täglichen Arbeiten haben wir einen ausgebildeten Winzer eingestellt.

Welche Weine bauen Sie an?

Zwei traditionelle Sorten, Riesling und Traminer, die mit den leichten Böden hier gut zurechtkommen.

Welche Qualitätsansprüche haben Sie?

Hohe, sehr hohe. Wir reduzieren deshalb die Menge oft stark und lassen den Wein lange reifen. Unser allererster Traminer war gleich eine Auslese. Ausgebaut werden die Weine in Proschwitz. Das Geschehen im Weinberg zu beurteilen, traue ich mir als Biologin zu, vor der Arbeit des Kellermeisters aber habe ich großen Respekt.

Wie wird denn der Wein vom Jahrgang 2022?

20 und 21 waren sehr gute Jahre, im vergangenen Jahr hatten wir aber nur einen kleinen Ertrag. Wir haben gerade, wie unsere Nachbarn auch, ein Engerlingsproblem. Die gefräßigen Larven der Mai- und Junikäfer sitzen tief in der Erde und haben nur eine Aufgabe: zu fressen. Sie bevorzugen leichte, warme, sonnige Böden. Das haben wir alles – und an die stets hungrigen Schädlinge kommt man kaum heran.

Wo kann man denn Ihre Weine kaufen und wo trinken?

Kaufen zum Beispiel bei Edelrausch, trinken unter anderem im Restaurant Alte Meister und im Bülow Palais.

Können denn Weinfreunde auch mal ein Glas hier bei Ihnen trinken?

Ich habe immer mal wieder Führungen mit Weinprobe für Gruppen veranstaltet. Vor Corona. Jetzt überlegen wir neu, wie wir damit umgehen.

Können Sie sich vorstellen, bei einem Tag des offenen Weinbergs dabei zu sein oder einen Tag der offenen Tür zu veranstalten, damit Dresdner die barocke Anlage entdecken und Ihren Wein probieren können?

Ja, sicher. Es ist hier so schön geworden, dass wir unsere Freude darüber gern mit anderen teilen. Dafür schaffen wir immer wieder Gelegenheiten. So könnte ich mir auch vorstellen, Mitte September einen solchen Tag zu veranstalten. Ganz spruchreif sind die Pläne aber noch nicht – ich werde sie rechtzeitig auf unserer Website www.dinglingers-weinberg.de kundtun.

Dinglingers Erbe

Johann Melchior Dinglinger wurde 1664 in Biberach geboren. Er lernte das Goldschmiedehandwerk in Ulm. 1692 kam er als Geselle nach Dresden, wo er 1698 zum Hofjuwelier Augusts des Starken ernannt wurde. Er arbeitete bis zu seinem Tod 1731 in Dresden, war fünfmal verheiratet und hatte 23 Kinder. Dinglinger gilt als einer der bedeutendsten Goldschmiede des Barocks, schuf unter anderem den „Hofstaat zu Delhi“ mit seinen 132 Figuren. Dinglinger wohnte am Neumarkt und besaß ein Landhaus mit Weinberg in Loschwitz, Dinglingers Weinberg, auf der heutigen Schevenstraße.

Dr. Caroline Hollenders (69) hat Biologie und Chemie studiert und im Fach Landschaftsökologie promoviert. Sie hat viele Jahre als Wissenschaftsjournalistin für die Frankfurter Allgemeine Zeitung gearbeitet, auch noch von Dresden aus. Sie ist verheiratet mit dem Notar a. D. Dr. Christoph Hollenders (71), der jetzt wieder als Rechtsanwalt tätig ist. Zusammen hat das Paar das barocke Anwesen „Dinglingers Weinberg“ saniert und den historischen Weinberg wieder aufgerebt. Beide haben 2020 eine Stiftung gegründet, mit der Projekte in Afrika und Asien, Musik und Denkmalschutz gefördert werden.