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"Wir erleben sehr oft, dass HIV-positive Dresdner stigmatisiert werden"

Wer sich mit HIV infiziert, hat so gute Therapiechancen wie nie zuvor. Die Angst vor einem Beziehungsende oder dem Jobverlust sind trotzdem hoch, sagt Christian Willno von der Dresdner Aidshilfe zum Welt-Aids-Tag.

Von Julia Vollmer
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Sozialpädagoge Christian Willno arbeitet bei der Dresdner Aidshilfe. Medizinisch hat sich bei der Behandlung HIV-Infizierter viel getan, sagt er. Gesellschaftlich sieht das anders aus.
Sozialpädagoge Christian Willno arbeitet bei der Dresdner Aidshilfe. Medizinisch hat sich bei der Behandlung HIV-Infizierter viel getan, sagt er. Gesellschaftlich sieht das anders aus. © Sven Ellger

Dresden. Es war der 1. April 2014. An diesem Tag erhielt Philipp das Testergebnis. Positiv. "Ein schöner Aprilscherz." Philipp erinnert sich noch genau. Der Diagnose "HIV-positiv" war eine lange und schwere Krankengeschichte vorausgegangen, die ihn fast das Leben gekostet hätte.

Details mag der Dresdner nicht erzählen. "So kurios es klingt, aber die Diagnose HIV hat mir mein Leben gerettet. Noch am Tag der Diagnose haben mir die Aidshilfe Dresden und mein Schwerpunktarzt eine Menge Unterstützung gegeben", sagt Philipp. Er ist "Baujahr Ende der 1980er-Jahre", wie er sagt. Und erzählt über sich: "Ich bin schwul, aber kein Szenegänger." Seinen Nachnamen will er lieber für sich behalten.

"In den ersten schweren Momenten gaben mir der engste Kreis meiner Familie und sehr gute Freunde großen Halt. So habe ich von Anfang an, was den Umgang mit HIV anbelangt, viele positive Erfahrungen gemacht", sagt er.

Wie und wo er sich infiziert hat, soll privat bleiben. "Ein Jahr nach der Diagnose fühle ich mich wieder lebendig und kann mit HIV sehr gut leben. Die Unterstützung in meiner Stunde Null hat mich bewogen, Buddy zu werden", so Philipp. Also Ansprechpartner für andere HIV-Positive Menschen bei der Dresdner Aidshilfe. Er will den Betroffenen zeigen, das der Lebensweg auch mit HIV weitergehen wird.

Zahl der Neuinfektionen geht zurück

Und diese Unterstützung ist nötiger denn je. "Wir erleben immer noch sehr oft, dass HIV-positive Dresdner stigmatisiert werden", erzählt Christian Willno von der Aidshilfe auf dem Bischofsweg. In seinen Beratungen sitzen Betroffene, die sich nicht trauen, ihrem Arbeitgeber oder Partner von der Infektion zu berichten. "Manchen haben Angst, dass sie dann verlassen werden", erzählt er. Die Sozialarbeiter bieten Tests an, klären über die Relevanz von Verhütung auf und hören zu, wenn die Menschen von ihren Sorgen berichten.

"Wie viele HIV-Infizierte aktuell in Dresden leben, lässt sich nicht sagen", sagt Frank Bauer, der Leiter des Dresdner Gesundheitsamtes. Die Daten würden anonym über gemeldete HIV-positive Tests erhoben. "Zu- oder Wegzüge HIV-positiver Menschen nach oder aus Dresden werden nicht erfasst. Genauso verhält es sich mit den an oder mit HIV-Gestorbenen", sagt Bauer. Insgesamt wurden in Dresden seit dem Jahr 2001 492 positive HIV-Tests gemeldet. 2021 gab es 17 gemeldete Neuinfektionen, in diesem Jahr 22 bisher.

Virusweitergabe wird bei Therapie verhindert

"Hauptsächlich infizieren sich Männer, die Sex mit Männern haben. Es finden aber auch über heterosexuelle Kontakte Infektionen statt", so Bauer weiter. Bundesweit lasse sich ein Rückgang von HIV-Neuinfektionen erkennen, das gelte auch für Dresden.

"Die Zahlen im Jahr 2020 und 2021 sind coronabedingt gesunken. Zum einen wird es vermutlich in dieser Zeit weniger sexuelle Kontakte gegeben haben", sagt Bauer. Zum anderen waren die Testmöglichkeiten nicht in vollem Umfang vorhanden. Der Rückgang habe aber, so der Gesundheitsamtschef, auch mit neuen, medizinisch gestützten Präventionsstrategien zu tun. So seien HIV-infizierte Menschen unter einer Therapie in fast allen Fällen nicht infektiös. "Voraussetzung ist hier das Senken der Viruslast unter die Nachweisgrenze - was fast immer gelingt", betont er.

Spezialist auf dem Gebiet ist der Dresdner Arzt Andreas Jenke, der seine Praxis in der Neustadt hat. "Im laufenden Jahr behandelten wir bis jetzt fast 400 Menschen mit einer HIV-Infektion. Insgesamt steigt die Zahl der Patientinnen und Patienten unserer Praxis weiterhin an", sagt er. Er beobachtet aber ebenfalls einen Rückgang der Neuinfektionen dank der guten Therapiemöglichkeiten. "So können HIV-Positive unter einer effektiven Behandlung das Virus nicht mehr übertragen. Nach Schätzungen des RKI sind etwa 84 Prozent aller Betroffenen in Deutschland erfolgreich behandelt."

Mit HIV kein Einstieg in den sächsischen Polizeidienst

Medizinisch gibt es also bedeutende Fortschritte. Anders sieht es in vielen Fällen noch im Berufsleben aus. "Bis heute ist es Realität, dass Menschen mit einem HIV-positiven Status vom Polizeidienst in Sachsen ausgeschlossen sind. Dies kommt einem in Deutschland nichtexistenten Berufsverbot für Menschen mit HIV gleich", sagt Sandra Bischoff von der Aidshilfe in Leipzig anlässlich des Welt-Aids-Tages am 1. Dezember.

Die Aidshilfen sind Interessensvertreter und Anlaufstellen, wenn Menschen mit HIV Diskriminierung erfahren. "Aus Antidiskriminierungsperspektive ist der pauschale Ausschluss von Menschen mit HIV-Infektion vom Polizeivollzugsdienst nicht haltbar", sagen auch Maleen Täger und Antje Barten vom Antidiskriminierungsbüro Sachsen.

Fragt man das für den Polizeidienst in Sachsen und damit auch für Dresden zuständige Innenministerium, heißt es dort: "Beamtinnen und Beamte dürfen in der Polizei des Freistaates Sachsen mit einer HIV-Infektion grundsätzlich weiterarbeiten." Auf die Frage, wie es sich mit Neueinstellungen verhält, ist die Antwort eher ausweichend. "Es gilt die Polizeidienstvorschrift 300 Ärztliche Beurteilung der Polizeidiensttauglichkeit und der Polizeidienstfähigkeit (PDV)". In dieser taucht das Wort HIV allerdings nicht auf. Sie beinhaltet allgemeine Vorgaben, wie die "witterungs- und ortsunabhängige Einsatzfähigkeit, auch mehrtägig ohne Medikamenteneinnahme". Tägliche Medikamente einzunehmen, ist aber auch Alltag für Menschen ohne HIV, etwa mit Diabetes. Oder für Frauen, die die Pille nehmen.