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Dresdner Autor zwischen Schreibtisch und DJ-Pult

Marcus Wächtler schlägt sich die Nächte zum Vergnügen anderer um die Ohren. Er ist DJ im Club Downtown in Dresden. Nun sorgt er außerdem für Bettlektüre.

Von Nadja Laske
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Das gar nicht so geheime Nachtleben des Marcus Wächtler zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist in seinem einzigen Liebesroman nachzulesen. Ansonsten widmet sich der Autor gern fantasievoll der Historie.
Das gar nicht so geheime Nachtleben des Marcus Wächtler zwischen Fiktion und Wirklichkeit ist in seinem einzigen Liebesroman nachzulesen. Ansonsten widmet sich der Autor gern fantasievoll der Historie. © Sven Ellger

Dresden. Klingt wie fürs Phrasenschwein: Hobby zum Beruf gemacht. Aber ehrlich - wem gelingt das? Rockstars. Designern. Reiseführern. Nicht gerade Leuten wie du und dich. Dabei gibt es in dieser Stadt tatsächlich einen, der ist irgendwie genau so und ein doppelter Glückspilz: Marcus Wächtler verdient sein Geld mit gleich zwei Steckenpferden. Wobei das mit Glück nur bedingt und viel mehr mit Machen und Können zu tun hat.

Einfach loszulegen, das hat Marcus Wächtler schon als Schüler für die klügste Methode gehalten und Clubnächte organisiert. Clevererweise mit Musik, die er selbst gern hörte und die in der heimischen Freiberger Partyszene auch bei Dunkelheit völlig unterbelichtet war: Gothic und alles was sonst noch düster klingt.

Musik aufzulegen, wurde für den heute 44-Jährigen auch im Studium ein willkommener Ausgleich und Geldquell. In Dresden ist Marcus Wächtler heute unter anderen als DJ im Club Dowtown bekannt. Gästen durchtanzte Nächte zu bescheren, gehört auch auf privaten Feiern, Betriebsfeten und Hochzeiten zum Portfolio. Im Gegensatz zu anderen DJs, die sich selbst als Musiker und Künstler verstehen, sagt Marcus Wächtler seinen Kunden im Vorgespräch gerade heraus: Ich spiele, was Sie hören wollen. Zugunsten zuverlässiger Buchungen darf das nicht nur subkulturig, sondern auch unverhohlen mainstreamig sein.

Hopsende Herzen

Für Geschichte und Politik war Marcus Wächtler einst nach Dresden an die Uni gekommen. Mit Historischem befasste er sich aber nicht nur für Scheine und Prüfungen. In Verbindung mit seiner blühenden Fantasie bot das längst Vergangene reichlich Stoff, der erzählt sein wollte. In einer frostig verschneiten Februarnacht des Jahres 2014 - so ist es überliefert - setzte er sich erstmals an den Schreibtisch und schrieb einfach los.

"Es kann eine Straße sein, ein ganzes Viertel, ein altes Gebäude, irgendein Setting, das in meinem Kopf die Gedanken loslaufen lässt", erzählt er. Wie von selbst formieren sich Figuren, Szenen, Geschichten. So entstand sein erster Dresden-Roman "Grüne Dresdner". Inzwischen ist der Bücherturm seiner Druckwerke einen guten halben Meter hoch.

Nie hat sich Wächtler auf ein bestimmtes Genre festgelegt. Seine Romane, zum Teil auch ganze Romanreihen, haben nur eins gemeinsam: Sie alle sind von der Geschichte inspiriert. Sie bilden keine verbriefte Historie ab, lehnen sich jedoch an reale Orte und zeitgeschichtliches Geschehen an. Auf den ersten Krimi folgte der Liebesroman "Herzen hopsen nicht", die Story eines DJs, der sich im Zuge seines unterhaltenden Jobs selbst kaum unterschiedlichster Formen der Unterhaltung erwehren kann, sehr Menschliches und menschliche Abgründe erlebt.

Danach wechselte Marcus Wächtler ins märchenhaft Fantastische mit historischen Entlehnungen. Es entstand der erste Teil von "Das Ende der alten Welt", einer "pseudohistorischen Fantasy-Reihe", wie er es selbst nennt. Das war 2017. Inzwischen ist der Dreiteiler komplett. Doch der Autor schrieb ihn nicht in direkter Folge, sondern ließ die Gedanken dazu zwischendurch bei der Arbeit an anderen Büchern auslüften. Mit der Krimi-Reihe "Erzfieber", "Erzglitzern", "Erzzauber", "Erzfest" und "Erzfeindschaft" setzte er seiner Heimatstadt Freiberg ein Denkmal.

Schließlich kehrte 2021 die Figur des DJ Finn noch einmal in Neuauflage zurück. "Es ist die Geschichte eines Mannes, der zwar ständig mit Frauen umgeben ist, doch nie die Richtige findet und die untrüglichen Glücksgefühle seiner Jugend vermisst", erzählt Markus Wächtler. Die Schmetterlinge haben den Bauch des Beziehungsmelancholikers verlassen und kehren einfach nicht mehr dahin zurück - weder mit noch ohne Vögelei hinterm Mischpult.

Auch vor einem Politthriller macht Wächtler nicht Halt. In "Deutschland, deine Aluhüte" lässt er einen jungen Staatsbeamten in einer undurchsichtigen Geheimbehörde mit den Grundfesten seines Geschichtsbewusstseins hadern und an der Gesinnung sächsischer Dorfbewohner verzweifeln. Es dürfte sein am wenigsten erfolgreiche Buch gewesen sein, für das Applaus und Pfiffe nicht immer von der richtigen Seite kamen. Es ist halt nicht leicht, sich über Verschwörungstheorien allseits verständlich lustig zu machen.

Flüchtige Phrasen

Als Marcus Wächtler nach zweieinhalbjähriger Schreibzeit sein erstes Buch veröffentlichen wollte, schickte er das Manuskript an rund 100 Verlage. "Daraufhin bekam ich zwischen 30 und 40 Absagen, die meisten Verlage meldeten sich gar nicht zurück", erinnert er sich. Endlich gewann er den Südwestbuchverlag.

Danach hat Wächtler seinen eigenen Verlag gegründet, den Verlag Edition Elbflorenz, in dem alle seine Bücher erscheinen. Dafür arbeitet er mit der Verlegerin Katja Völkel zusammen, die seine Manuskripte lektoriert. "Dass danach von geschriebenen 140.000 Wörtern nur höchstens 110.000 übrig sind, ist normal", sagt er. Als Autor müsse man seinen Stolz herunterschlucken und sich von Selbstverliebtheiten verabschieden können - zugunsten des Produktes.

Zombies und andere Untote schlummern noch in Marcus Wächtler. Er wird sie zum Leben erwecken. Die Geschichten liegen auf den Straßen und Plätzen dieser Stadt, sie lungern auf Parkbänken, verkriechen sich in Kellern, springen von Mauern, spazieren durch Parks, somnambulen auf Dachböden. Er braucht sie nur einzusammeln.

Doch für alle reichen Wächtlers Tage nicht aus. Seine Nächte gehören den Vergnügungsfreudigen in Clubs und Sälen, da ist der Schriftsteller als DJ gefragt. Was kann spannender sein? Astronaut und Tiefseetaucher in einer Person? Hollywoodstar und Nobelpreisträger? Wozu - wenn man so viel Chaos in sich hat, um einen tanzenden Stern gebären zu können.

www.editionelbflorenz.com