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Travestie-Legende Zora Schwarz: Der Tag, an dem ihr Lebensmut auf die Probe gestellt wurde

Als Zora Schwarz ihren Mann bei einem Unfall verliert, denkt sie daran, ihm zu folgen. In der Zeit der Trauer fällt sie jedoch die Entscheidung, das Travestie-Varieté Carte Blanche in Dresden zu eröffnen. Ein Rückblick auf Zora Schwarz wohl schwerste Zeit.

Von Nadja Laske
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Wenn Zora Schwarz in den Spiegel schaut, sieht sie 40 erfüllte Jahre mit ihrem Carte Blanche, von denen sie keins missen will - auch nicht die schweren.
Wenn Zora Schwarz in den Spiegel schaut, sieht sie 40 erfüllte Jahre mit ihrem Carte Blanche, von denen sie keins missen will - auch nicht die schweren. © [c] by Matthias Rietschel

Dresden. Die Nachfolge ist gesichert. Soll sich niemand einbilden, er könne irgendwann einmal das Carte Blanche kaufen und sich selbst im bunten Licht des Varietés sonnen. Schließlich hat Zora Schwarz einen Stammhalter. Der ist jetzt elf Jahre alt, noch kein bisschen pubertierend und ein großer Fan seiner Mama.

"Milian mag es zwar gar nicht, sich zu verkleiden, noch nicht einmal zu Fasching", erzählt die Chefin des Travestie-Theaters in der Dresdner Neustadt. "Aber er liebt Kunst und Kultur und hat zu jeder Show und jedem Kostüm eine Meinung." Noch besucht Milian die Schule. "Ich sage ihm immer: Die Fächer Deutsch, Mathematik, Geografie und Englisch sind entscheidend!" Deutsch und Englisch sichern die Kommunikation, Mathe das Management "und außerdem muss der Mensch wissen, dass die Erde rund ist".

"Ich habe an Selbstmord gedacht"

Für Zora Schwarz läuft sie auch rund. Das war nicht immer so. Vor 23 Jahren kippte sie für die Künstlerin aus den Angeln. Ihr Mann Bernd starb bei einem Autounfall, Zora überlebte. "Danach habe ich zwei Jahre lang an Selbstmord gedacht." Aber nicht unausgesetzt. In lichten Momenten rappelten sich ihre immensen Lebensgeister auf und strebten nach neuen Wegen. "Wir waren bis dahin immer nur auf Tournee gewesen und haben auf allen denkbaren Bühnen gastiert", erinnert sie sich.

Doch dann lernte sie in der schweren Zeit des Verlustes und der Trauer während eines Gastspiels das Leben an Theatern in Erfurt und Leipzig kennen. Dort zu sein, gab ihr Stabilität. "Da hatte ich zum ersten Mal den Wunsch, ein eigenes Theater zu haben." Just hörte sie von einem Areal an der Prießnitzstraße in Dresden, das früher schon ein Theater gewesen war und zum Verkauf stehe.

Zora Schwarz (unten lins) startete ihre Karriere 1984 als noch unbekannte Travestiekünstlerin.
Zora Schwarz (unten lins) startete ihre Karriere 1984 als noch unbekannte Travestiekünstlerin. © [c] by Matthias Rietschel

Rasch hat Zora ein altes Foto zur Hand. Es zeigt einen Teil der Neustadt von oben: "Diese rauchenden Schornsteine gehörten mal alle zur Pfundsmolkerei", sagt sie. Auch ihr heutiges Grundstück mit mehreren Gebäuden ist mit dabei. Als sie es Anfang der 2000er-Jahre übernahm, waren es Ruinen. Noch sehr gut erinnert sie sich an eine Autofahrt nach Dresden. "Die Entscheidung zum Kauf stand kurz bevor, und ich hatte eine riesige Angst!" Vor Panik konnte sie nicht weiterfahren, hielt an, sah in den Spiegel und begann sich selbst zu befragen: Was fürchtest du? Was ist das Schlimmste, was passieren kann?

"Ich habe mir gedacht: Entweder gewinne ich, dann ist alles gut. Wenn ich scheitere, bringe ich mich um." Dann wäre sie bei Bernd, und auch diese Welt würde gut für sie sein. Es sei ihr klar gewesen, dass es nur zwei Möglichkeiten gebe: Die Dresdner lieben oder die Dresdner hassen sie. Doch der bloßen Warnung, diese Einheimischen seien konservativ und Neuem gegenüber nicht eben verschwenderisch mit ihrer Gunst, wollte sich Zora nicht beugen. Sicher scheidet Travestie die Geister. Doch heute weiß sie: Die offenen, neugierigen und fröhlichen überwiegen weit.

Der Historische Theatersaal der Pfundsmolkerei. Zora übernahm ihn als Ruine und ließ ihn ausbauen.
Der Historische Theatersaal der Pfundsmolkerei. Zora übernahm ihn als Ruine und ließ ihn ausbauen. © [c] by Matthias Rietschel

"Meine allererste Show hier vor 20 Jahren habe ich in einer Art Trance erlebt. Ich war wie ohnmächtig vor Lampenfieber." Der Start gelang, das Haus war ausverkauft, von Anfang an und nahezu unausgesetzt bis heute. Auch nach der Corona-Zäsur seien die Besucher, viele Stammgäste darunter und reichlich Touristen, zurückgekehrt.

Denkt Zora Schwarz heute zurück, ist sie voller Demut und Dankbarkeit: "Ich danke Gott für das Leben, das ich leben darf. Selbst wenn man mir sonst etwas böte, ich würde nichts anders haben wollen oder machen." Dass sie heute Luxus genießt, sei schön, aber davon ausgegangen sei sie nie. "Als ich nach Dresden kam, hatte ich finanziell keine Not, eine Wohnung und ein Auto." Damit war sie zufrieden.

Zu jener Zeit hatte sie eine Handvoll Mitarbeiter, heute zählt sie rund 50. "Meine längsten Kollegen sind hier von Anfang an dabei, ein Koch und ein Hausmeister halten mir seit 20 Jahren die Treue." Nicht nur Ensemble und Organisationsteam sind gewachsen, auch die Projekte. Als größte Highlights nennt Zora ein Gastspiel am Deutschen Theater München, das Open Air bei den Dresdner Filmnächten und die Gala auf dem Theaterplatz vor Semperopernkulisse.

Vier Tage lang Jubiläumsparty

Das Opernhaus gab die Vorlage für die Gestaltung ihres Theaters - ihre eigene Miniatur-Semperoper, plüschig und verziert. Sie wird im Herbst eine kleine Schwester bekommen. Denn Zora Schwarz lässt gerade ihre früheren Theaterräume ausbauen. Dort war zuletzt ein Fitnessstudio beheimatet. Nun plant sie das "Petit Carte Blanche" für eigenständige Shows. Noch steigt man über Baumaterial und braucht etwas Fantasie. Im Geiste aber begrüßt Zora schon die ersten Gäste.

Zuvor aber kommen sie zu einem Fest, das Zora Schwarz und ihr Team vier Tage lang im Juni feiern werden - 40 Jahre Carte Blanche, vier Jahrzehnte seit Gründung als reisendes Ensemble. Mehrere Künstler, darunter Elke Winter, Gene Pascale, Joy Peters und Susen Duevale hat sie dafür engagiert. Am 6. Juni startet sie im Carte Blanche eine Cocktailnacht, am 7. Juni eine White Night, am 8. Juni sind alle Dresdner und Gäste der Stadt zum Hoffest mit Tag der offenen Türen eingeladen, Künstler treten im Hof auf, es gibt Speisen vom Grill und Getränke an der Bar.

Der 9. Juni gehört Kindern und Familien. "Wir geben ein Prinzessinnen-Open-Air zum Zuschauen und Mitmachen." Am Nachmittag stellt sie ihre eigene Show vor und am Abend erleben die Gäste die Sixx Paxx aus Berlin. Ein volles Jubiläumsprogramm also, wie Zora Schwarz es nennt: "So richtig Ramba-Zamba!"